Chemie mit der Nudelmaschine
06:39 Minuten
Es klingt verrückt: Ein Max-Planck-Institut setzt im Labor auf Küchenmaschine und Pizzamehl. Doch die kochbegeisterten Chemiker des Potsdamer KitchenLabs haben ernste Anliegen. Sie wollen die Welt verbessern und Forschung demokratisieren.
Markus Antonietti ist ein erfahrener Forscher: Der Abteilungsleiter am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung bringt es auf mehr als 700 wissenschaftliche Publikationen und 90 Patente. Jetzt steht er im KitchenLab des Instituts und eilt auf eine silberne Teig-Knetmaschine zu.
Hier werde nachhaltige und grüne Wissenschaft betrieben, sagt Antonietti. "Die meisten Rohstoffe kommen aus der Natur und man kann fast alles essen, was wir benutzen."
Deshalb sei der nächste Schritt ganz einfach gewesen: Chemie in der Küche zu machen. Was außerdem den großen Vorteil hat, dass die Küchenmaschinen viel billiger sind, als Gerätschaften aus dem Laborbedarf.
Nudelmehl für die Abgasreinigung
An der Teig-Knetmaschine sind Francesco Brandi und Majd Al-Naji bei der Grundlagenarbeit für ihre Erforschung und Weiterentwicklung von Katalysatoren. Die sind wichtig für eine ganze Reihe von Prozessen, zum Beispiel für die derzeit viel diskutierte Autoabgasreinigung, erklärt der Chef.
Seine beiden Mitarbeiter beschäftigen sich mit Katalysatoren, deren Hauptbestandteil Nudelmehl ist. "Das wandelt sich in Backöfen zum Kohlenstoff über und ergibt einen Katalysator", so Antonietti. Der sei umweltverträglicher und komme ohne teure Rohstoffe wie das Edelmetall Platin aus.
Er habe zwar nicht gedacht, dass er am ehrwürdigen Max-Planck-Institut mal mit seinem heimischen italienischen Pizzamehl hantieren würde, amüsiert sich Francesco Brandi, der in Potsdam für seine Doktorarbeit forscht. Aber er mag das KitchenLab. Es wirke simpel, sei aber effektiv. "Die Chemie ist einfach", ergänzt sein Kollege Majd Al-Naji aus Syrien.
Innovatives Labor mit großem Erfolg
Der Katalysatoren-Teig kommt in einem nächsten Schritt in eine Nudelmaschine, die ganz feine Spaghetti daraus formt und sie dann mit einem rotierenden Messer in kleine Stücke schneidet. Ein Prozess, der normalerweise sehr teuer sei – das Gerät dafür koste um die 70.000 Euro. "Wir benutzen einfach eine Pastamaschine", erklärt der Doktorand.
Das Küchenlabor sei auch bei den Partnerinnen seiner jungen Wissenschaftler sehr beliebt, erzählt Markus Antonietti, weil es sie zu bessern Köchen mache. Die Techniken im Labor helfen beim Kochen zu Hause: "Was dort an Schäumchen und Süppchen gezaubert wird, hat auch seinen Bestandteil im nicht essbaren Bereich."
Antonietti selber überschreitet die Kulturgrenze lieber mithilfe der Punkrock-Band, in der er singt. Das Küchenlabor scheint vielseitige Menschen anzuziehen: Majd Al-Naji ist auch als Springreiter unterwegs. Spaß, Kosten sparen und die Berührungsängste vor der chemischen Forschung abbauen ist das eine.
Andererseits sei das Küchenlabor aber auch ein Ort ganz ernsthafter Wissenschaft, betont Antonietti. "Wir haben in den letzten Jahren so viele Materialien in diesem Labor entwickelt wie in keinem anderen." Was aus einem Gefühl entstanden sei, sei heute eines der erfolgreichsten Laboratorien dieses Instituts.
KitchenLab will die Welt verbessern
Da ist zum Beispiel der Ersatz für giftige Dämmstoffe: Die Potsdamer haben in ihrem Küchenlabor einen Holzschaum entwickelt, der preiswerter und umweltfreundlicher ist. Ein industrieller Partner kümmere sich gerade um die langwierige Zulassung, sagt Antonietti.
Doch es gibt noch mehr: Der Abteilungsleiter schnappt sich einen dunklen, würzig nach Whiskey riechenden Fladen und presst ihn zu einer Kugel, entstanden aus Bioabfall. "Wir haben einen Kochprozess entwickelt, der aus dem Material und dem darin gebundenen Kohlenstoff Schwarzboden macht", erläutert er.
In schlechte Böden eingebracht, könnte der Mutterboden aus dem Labor die Fruchtbarkeit der Erde verbessern und so den Hunger der Welt bekämpfen helfen, meint der Chemiker.
Das sei aber nicht alles: Weil die Experimente im Küchenlabor jeder nachmachen könne, betreibe das Institut damit aktiv die Demokratisierung der Forschung, sagt der 59-jährige Wissenschaftler. Denn ein KitchenLab schaffe Zugang zu Technologie. "Das Schlimmste derzeit ist, dass aufgrund der Hochtechnologie viele Menschen vom Innovationsprozess ausgeschlossen werden."
"Wir schaffen eine eigene Welt"
Und mit Innovationen die Welt zu einem besseren Ort für alle zu machen, das ist dem Vater zweier Kinder durchaus ein Anliegen. Chemiker und nicht beispielsweise Politiker wurde er, weil die Chemie das einzige Fach sei, in dem man Dinge erschaffen könne: "Die Physik beschreibt, die Biologie systematisiert, aber wir schaffen eine neue Wirklichkeit."
Antonietti vergleicht es mit der Kunst. Chemiker seien die kreativen Künstler, Physiker eher die Musiker. "Musiker nutzen die Partitur, aber wir erschaffen uns eine eigene Welt."