"Power to the People"- Ausstellung in der Frankfurter Schirn Kunsthalle

Ideen von Finnland bis China

Adelita Husni-Bey, The Sleepers, 2012, Öl auf Leinwand, 165 x 350 cm
Auch das Kunstwerk "The Sleepers" von Adelita Husni-Bey ist in Frankfurt zu sehen. © Copyright: Adelita Husni-Bey, Courtesy Galleria Laveronica, Modica
von Rudolf Schmitz |
Kann die Kunst eine neue Form politischer Bewusstheit und Beteiligung gegen Politikverdrossenheit bewirken? Fragen wie diesen geht eine neue Ausstellung der Schirn Kunsthalle Frankfurt nach, die politische Kunst von heute vorstellt.
Der Auftakt ist verblüffend sakral. Im blau gehaltenen Raum sechs Wahlkabinen, von Spots beleuchtet. Sie stammen aus Finnland, Aserbaidschan, Österreich, Japan, Marokko und China und changieren zwischen Beichtstuhl, Umkleidekabine und metallischer Transportbox. Kuratorin Martina Weinhart:

"Man stockt unwillkürlich und denkt: Sind wir schon so postdemokratisch, dass wir die Wahlkabine verpacken müssen, ein Schildchen drangeben und uns nostalgisch daran erfreuen? Fast denkt man das, wenn man Statistiken über Wahlbeteiligungen anschaut. Ich denke, das hat heute wieder eine Dringlichkeit, die wir uns vor ein paar Jahren nicht vorstellen konnten. Dass man das, was wir als gegeben und natürlich empfunden haben - dass wir in einer stabilen westlichen Demokratie sind -, dass wir das verteidigen müssen".

Zweifel an der Demokratie beseitigen

Der Älteste der hier beteiligten Künstler, der 1946 in Antwerpen geborene Guillaume Bijl, hat mit diesem lakonischen Ready-Made eine der stärksten Arbeiten abgeliefert. Sie stimmt außerordentlich wehmütig. Guillaume Bijl:
"Mein Werk ist tragikomisch. Unser demokratisches System weckt grade viele Zweifel. Wenn man an Putin, Erdogan oder Trump denkt. Sie wurden demokratisch gewählt, in einer Wahlkabine. Das Individuum hat die Wahl, und dann gewinnt ein Populist und entpuppt sich als Diktator."
Mark Flood, 5000 Likes, 2015/16, Sprühfarbe auf Leinwand (4344Teile), Das Bild zeigt eine Raumecke in der viel Schilder mit der Aufschrift "Like" auf einem Haufen liegen
Mark Flood, 5000 Likes, 2015/16, Sprühfarbe auf Leinwand (4344Teile), Je 30,5 x 40,6 cm© Copyright: Mark Flood, Courtesy Peres Projects, Berlin, Foto: Matthias Kolb
Diese fast sakrale Aufsockelung des Banalen kennzeichnet viele der hier gezeigten Arbeiten. Normalerweise würde man sagen: Okay, das muss nicht sein, da macht es sich die Kunst mal wieder einfach. Aber bei diesem Thema verwandelt sich die Neigung zur schlichten Wahrheit in Stärke. Denn oft sind die politischen Verhältnisse so unaussprechlich banal, dass man darauf nicht mit feinfühliger Komplexität antworten kann.

Mutige türkische Künstler

Ein Video des türkischen Künstlers Halil Altindere inszeniert einen absurden Kampf zwischen "Schwanensee" tanzenden weißen Ballerinen und einem schwer bewaffneten Polizeikorps. Grobschlächtige Machtpose trifft auf Tanzpoesie. Die in der Schirn vertretenen türkischen Künstler nehmen alle kein Blatt vor den Mund.
Osman Bozkurt zeigt eine zehnteilige Fotoarbeit: Zeigefinger mit auffällig dunklen Flecken. Das sind, so ist zu lesen, Markierungen mit Spezialtinte, eingesetzt anlässlich der türkischen Parlamentswahl von 2002, um Wahlbetrug zu verhindern. Im Nachgang dieser Wahl wurde Erdogan Staatspräsident. Die anfängliche Bildassoziation von blauen Flecken oder Blutergüssen wird mit dieser Hintergrundinformation plötzlich erschreckend plausibel.

Ob es sich um die Herstellung eines Demonstrationstransparents handelt, wie im Video von Nassan Tur, oder um ein Protestbike, ausgestattet mit drei Megaphonen und einem programmierbaren Parolendisplay – die Schirn-Ausstellung zeigt Kunst als Aktivismus und Aktivismus als Kunst. Der amerikanische Künstler Mark Flood hat einen riesigen Stapel mit schwarzweißen Bildtafeln beigesteuert, Titel: "5000 likes".
Julius von Bismarck, Fuguration #5 (May Day Riot Police), Polizisten in schwerer Uniform und mit Helmen stehen bei Nacht vor einer am Boden brennenden Flüssigkeit
Julius von Bismarck, Fuguration #5 (May Day Riot Police), 2009, Inkjet print, 50 x 75 cm© Copyright: Julius von Bismarck, Courtesy alexander levy, Berlin; Sies + Höke, Düsseldorf
Kuratorin Martina Weinhart:
"Also wir kennen es ja aus dem Internet, man kann alles "liken" und je mehr desto besser, und es ist eben eine immaterielle Sache, und er hat es eben umgesetzt physisch in den Raum. Dh. es gibt einen gigantischen Stapel, und da sieht man dann auch mal, was 5000 heißt, mit schwarzen Täfelchen, wo mit Schablone "like" drauf gesprayt ist".

Kunstwerke können geliked werden

Man wird hier körperlich ins Verhältnis gesetzt zu einem abstrakten Gestus, der uns überall abverlangt wird und auch die politische Meinungsbildung bestimmt. Die Schirn-Besucher übrigens können sich dieser Tafeln bedienen, um Werke auszuzeichnen, die ihnen besonders gefallen haben. Eine kleine Geste der Teilhabe, aber immerhin.
Ob jedes dieser Kunstwerke auf eine documenta gehören würde – darüber kann man streiten. Aber in einer Ausstellung, die Pillen gegen die herrschende politische Lethargie verabreichen will, machen sie sich gut.

Die Ausstellung "Power to the People"
in der Frankfurt Schirn Kunsthalle
vom 21.März bis 27.Mai 2018
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