Der inszenierte Prophet
Prophet, Seher, Gesellschaftsanalytiker? Die deutsche Presseresonanz zum neuen Roman "Serotonin" des französischen Autors Michel Houellebecq sei sehr stark mit der PR-Politik seines Verlages verknüpft, kritisiert der Romanist Markus Messling.
Heute erscheint das neue Buch des französischen Schriftstellers Michel Houellebecq in Deutschland. "Serotonin" heißt es. Der Protagonist reist darin ins wirtschaftliche Elend der französischen Provinz. Und wieder wird der Autor als Prophet politischer Entwicklungen gefeiert, in diesem Fall der massiven Straßenproteste der gelbe Westen tragenden Demonstranten in Frankreich.
Dieses Presseecho, das den Schriftsteller als politischen Seher stilisiere, sei insbesondere in den deutschen Medien zu finden, kritisiert der Berliner Romanist Markus Messling. Er selbst halte es für "maßlos übertrieben".
"Autor, mit dem sich viel Geld verdienen lässt"
Zudem sei es sehr stark mit der PR-Politik des französischem Verlags Flammarion verknüpft. Dieser inszeniere das Erscheinen der Romane Houellebecqs seit Jahren als politische Ereignisse.
"Man darf nicht vergessen, dass - trotz aller Kapitalismuskritik - Houellebecq der Autor ist, mit dem sich noch richtig viel Geld verdienen lässt. Je mehr Aura, desto besser fürs Geschäft", kommentiert Messling. Allzu erstaunlich seien dessen Voraussagungen im Übrigen nicht.
Natürlich sei beispielsweise das Erscheinen des Romans "Unterwerfung" am 7. Januar 2015 mit dem islamistisch motivierten Terroranschlag auf die französische Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo "eine wahnsinnig tragische Koinzidenz", die die Polarisierung Frankreichs schlagartig gezeigt habe. Dies sei aber "bloßer Zufall".
Auch die Straßenproteste der Bauern in Frankreich hätten eine lange Geschichte und ihre Verbindung mit dem Aufruhr der "frustrierten Unterschichten" sei nicht wirklich etwas Neues.
"Intellektuelle Stimme" der Bewegung
Messling machte deutlich, dass Houellebecq als Schriftsteller in der Tradition des Gesellschaftsromans weniger für eine "sozialpolitische Analyse" als vielmehr für eine "Politik der Gefühle" stehe. Mehr noch: Houellebecq sei nicht "Prophet", sondern "intellektuelle Stimme" der Bewegung.
"Ich glaube, dass Houellebecq seit vielen, vielen Jahren eben diese Verelendung und vor allen Dingen auch das seelische Leid im Neoliberalismus natürlich glänzend seziert, aber auch mit einer ganz bestimmten politischen Stoßrichtung", meint Messling.
Houellebecq bediene sich einer "Ästhetik, in der im Grunde alles deterministisch in den Abgrund rollt". Bei ihm gebe es "kein Entrinnen aus dieser materialistischen Moderne, aus dieser Gesellschaft, die sich immer mehr vom Menschen verabschiedet".
Seine politischen Positionen, die sich auch ästhetisch seit langem bei ihm fänden, kreisten dabei um einen christlich-abendländischen Kulturbegriff, um Souveränismus, einen bestimmten Begriff des Volkes, um Nationalismus sowie eine Verachtung der EU und Antiparlamentarismus.
(huc)