Präsidentenwahl im Iran

Wird Ebrahim Raisi ein Problem für den Westen?

22:48 Minuten
Ein Mann läuft an der Fassade eines Geschäfts vorbei, die mit Wahlplakaten von Ebrahim Raisi beklebt ist.
Eine Wahl ohne Wahl: Irans Hardliner setzen auf den Sieg von Ebrahim Raisi, ein enger Vertrauter des geistlichen Führers Ayatollah Ali Chameneis. © picture alliance / NurPhoto / Morteza Nikoubazl
Karin Senz im Gespräch mit Isabella Kolar |
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Am 18. Juni wird im Iran ein neuer Präsident gewählt. Hassan Rouhani darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten. Justizchef Ebrahim Raisi soll sein Nachfolger werden. Ein Mann, der mitverantwortlich sein soll für Massenhinrichtungen.
Viele der 59 Millionen wahlberechtigten Iraner wissen nicht, ob sie zur Präsidenten-Wahl gehen sollen. Denn sie haben Zweifel, ob ihre Stimme noch irgendetwas bewirken wird, wo doch schon alles entschieden zu sein scheint.
Nach Angaben von verschiedenen iranischen Umfrageinstituten könnte es deshalb sein, dass nicht einmal 40 Prozent der Wahlberechtigen zur Wahl gehen werden.

Soll Raisi auch Chamenei beerben?

Dies sei ein "herber Rückschlag" für die Führung des Iran, sagt unsere Korrespondentin in Teheran, Karin Senz. Denn: "Der Favorit bei dieser Wahl ist der ultrakonservative Ebrahim Raisi, und es gibt Gerüchte, dass er eben nicht nur Präsident werden, sondern möglicherweise auch den obersten Führer beerben soll. Chamenei ist ja inzwischen schon 82 Jahre alt. Und auch er war einmal Präsident und wurde dann erst zum Obersten Führer. Und da sieht es natürlich nicht gut aus, wenn Raisi vielleicht eine große Mehrheit bei der Wahl bekommt, aber das bei einem Negativrekord bei der Wahlbeteiligung."
Eine Frau an den Wahlurnen macht das Victory-Zeichen. In Zeigefinger ist mit blauer Tinte eingefärbt.
Eine niedrige Wahlbeteiligung bedroht die Legitimität des iranischen Regimes: Wie viele Iranerinnen und Iraner werden den neuen Präsidenten wählen?© picture alliance / Anadolu Agency / Fatemeh Bahrami
Deshalb versuche die Regierung in Teheran, die Leute mit Hilfe von subtilem Druck an die Wahlurne zu bekommen, so Senz. Mit Stempeln im Ausweis, die die Wahlteilnahme dokumentierten und im Falle des Fehlens Nachteile auch im Job bedeuten könnten.
Außerdem betonten prominente Kleriker, dass es "eine religiöse und eine islamische Pflicht" sei, wählen zu gehen.

Eine depressive Stimmung im Land

Karin Senz, die sich häufig im Iran aufhält, empfindet die Stimmung dort im Moment als depressiv. Die Lage, vor allem die wirtschaftliche, werde immer angespannter.
Das sei schon vor den Sanktionen spürbar gewesen; bevor Ex-US-Präsident Donald Trump 2018 aus dem Atomabkommen ausgestiegen ist, woraufhin neue Sanktionen folgten. Aber danach sei es noch viel schwieriger geworden. Die Coronapandemie habe die Situation auch hier zusätzlich verschärft.
Hassan Rouhani läuft an einem Porträt von Ajatollah Chamenei vorbei.
Hassan Rouhani ist seit 2013 der siebte Präsident der Islamischen Republik Iran und tritt jetzt nach zwei Amtszeiten ab.© picture alliance / Anadolu Agency / Presidency of Iran
Viele im Iran machen den aktuellen Präsidenten Hassan Rouhani für all das verantwortlich und sind von ihm enttäuscht, sagt die Korrespondentin. Der Vertrauensverlust gegenüber der Regierung sei deutlich spürbar.
Die erste TV-Debatte der Präsidentenkandidaten hätten laut einem Umfrageinstitut 70 Prozent der Bevölkerung nicht angeschaut. Bei der letzten Präsidentenwahl vor vier Jahren seien es noch doppelt so viele Menschen gewesen.

Ist Raisi für Massenhinrichtungen mitverantwortlich?

Den 60-jährigen Justizchef Ebrahim Raisi, den aussichtsreichsten Kandidaten bei der Präsidentenwahl am 18. Juni, kenne man im Iran. Sein Lebenslauf interessiere die Menschen nicht so sehr, aber: "Ich glaube, die Menschen hier beschäftigt tatsächlich weniger, was er im Studium oder sonstwo getrieben hat, sondern was er ihnen eben jetzt bringen könnte oder was mit ihm auch drohen könnte. Er ist übrigens auch 2017 schon einmal bei den Wahlen angetreten gegen Rouhani. Der hat damals noch einmal gewonnen. Was in seinem Lebenslauf sicherlich interessant ist, dass man ihn für Massenhinrichtungen Ende der 1980er-Jahre mitverantwortlich macht. Damals wurden politische Gefangene hingerichtet, vor allem Kommunisten, aber auch Mitglieder der Volksmudschahedin. Das macht ihn aus Sicht des Westens bei solchen Menschenrechtsverletzungen zu einem sehr problematischen Ansprechpartner."
2017 habe Raisi auch einen der bekanntesten Rapper des Iran, Tataloo, getroffen, so Senz. Ziel sei damals gewesen, im Rahmen seiner Wahlkampagne die Jugend für sich zu gewinnen. Eine skurrile Aktion, die in den sozialen Netzwerken verrissen wurde.
Die Entscheidung, wer bei der Wahl kandidieren darf, fällt im Iran der mächtige Wächterrat, der aus zwölf Personen besteht. Nur die Hälfte von ihnen – alles Juristen – wird gewählt. Die anderen sechs werden vom Obersten Führer Chamenei bestimmt. Knapp 600 Menschen hatten sich als Bewerber für die Präsidentenwahl registrieren lassen, darunter auch 40 Frauen.

Irans Politprominenz wurde aussortiert

Die Frist ist Ende Mai ausgelaufen. Nach welchen Kriterien der Wächterrat die Kandidaten aussortiert habe, sei unklar, sagt Senz.
Nicht teilnehmen dürfen demnach Ali Laridschani, ein Berater von Ali Chamenei, außerdem der Vizepräsident des Iran Dschahangiri, sowie der Ex-Präsident und Hardliner Ahmadinedschad, der sich zum wiederholten Mal beworben hat.
Ein Mann mit Bart und ordentlichem Seitenscheitel in den schwarzen glatten Haaren sitzt an einem Konferenztisch und macht mit der rechten Hand das Victory-Zeichen.
Präsidentenbewerbung 2021 nicht angenommen: Mahmud Ahmadineschad war von 2005 bis 2013 Präsident des Iran.© picture alliance / dpa / Sven Hoppe
Übrig blieben laut Entscheidung des Wächterrates noch sieben Kandidaten auf der Liste: fünf aus dem ultrakonservativen Lager beziehungsweise aus dem Lager der Hardliner. Und nur zwei, die nicht zu diesem Lager gehören.
Lediglich der frühere Zentralbankchef Abdolnaser Hemmati habe Chancen, so Senz. Er stehe im Moment in den Umfragen auf Platz zwei hinter Raisi.

Wird sich unter Raisi die Außenpolitik ändern?

Der Iran ist ein großer Player im Nahen Osten und mischt in mindestens vier arabischen Hauptstädten mit: in Sanaa, in Beirut, in Damaskus und in Bagdad. Auf die Frage, ob man mit einem Richtungswechsel in der iranischen Außenpolitik rechnen müsse, antwortet die Korrespondentin: "Man muss wissen, dass der Oberste Führer immer das letzte Wort hat bei der Außenpolitik. Die Frage ist also, wird es da tatsächlich ein komplettes Umschwenken geben? Daran gibt es große Zweifel. Ich glaube, wir werden es auch beobachten können bei den Atomverhandlungen in Wien. Da geht es unter anderem eben auch um dieses außenpolitische Engagement des Iran, das eingegrenzt werden soll, aber eben auch um das Raketenprogramm."
Eine Frau mit langen dunkelbrauen Haaren und dunkelblauem kurzärmligen T-Shirt steht in der Sonne. Im Hintergrund eine schwarze Katze.
Korrespondentin Karin Senz arbeitet im ARD-Studio Istanbul und reist von dort aus regelmäßig in den Iran.© ARD-Studio Istanbul
Karin Senz geht nicht davon aus, dass es bei der Präsidentenwahl im Iran einen zweiten Wahlgang geben wird. Ebrahim Raisi sei der gesetzte Sieger. Wahrscheinlich werde man am Freitag bis tief in die Nacht hinein wählen können, sodass sie mit ersten Ergebnissen im Laufe des Samstags rechnet.
(ik)
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