Ägyptens kritische Stimme
Yasser el Manawahly sieht die Kandidatur des ehemaligen Armee-Chefs Sisi bei der Wahl in Ägypten kritisch - und drückt das mit Musik aus. Er hat bereits gegen Präsident Mursi und die Muslimbrüder angesungen.
Summend sitzt ein Mann in einer Werkstatt und bastelt eine Marionette. Im Hintergrund hängen schon einige fertige Figuren an ihren seidenen Fäden auf einer Bühne. Ihre liebevoll handgenähten orientalischen Gewänder glitzern im Licht. Als die Musik einsetzt und Yasser el Manawahly zu singen beginnt, fangen auch sie an zu tanzen: Folklore auf Ägyptisch – wie es auf den ersten Blick scheint.
Doch dieses Musikvideo ist alles andere als nur nette Volksbelustigung. Auch wenn die Melodie hübsch und harmlos klingt, typisch ägyptisch mit den Tabla-Trommeln, zu denen die Marionetten ihre hölzernen Hüften schwingen. Der Text ist hochpolitisch. Hunderttausende Klicks und die nicht enden wollenden Kommentare dazu auf YouTube bestätigen das. "Rima", so der Titel des Songs, ist musikalische Regimekritik:
"Wir haben ein Sprichwort in Ägypten: Rima macht es wieder alles wie früher. Es kommt immer wieder zu den alten , zu den schlechten Gewohnheiten. Das heißt konkret: es ist verboten, zu reden. Es fallen wieder Schüsse, es gibt Tote, es gibt Gefängnis. Ich will nicht die alte Politik mit einem neuem Gesicht. Vergesst Rima!"
Der Liedermacher ist Skeptiker geblieben
Vor einem Jahr sang Yasser el Manawahly noch gegen Präsident Mursi und die Muslimbrüder bei den Massenprotesten vor dem Präsidentenpalast. Aber auch nachdem Ägyptens Armee-Chef Sisi Mursi gestürzt hat, ist der Liedermacher Skeptiker geblieben. Dass Sisi für das Präsidentenamt kandidiert, sieht Manawahly kritisch:
"Der Punkt ist dabei nicht Sisi. Es geht nicht um die Person, sondern um das alte System. Es ist ein kaputtes System. Wenn wir eine echte Wahl machen würden, würde er auch gar nicht gewinnen, da bin ich sicher. Nur die Oberen wollen Sisi. Die, die gegen Sisi sind, hört man nicht. Die halten ihren Mund."
Yasser el Manawahly will nicht schweigen. Aber die kritischen Töne sind ein Risiko:
"Schon unter Mursi haben sie mir damit gedroht, dass ich ins Gefängnis komme. Und jetzt sagen sie mir das gleiche. Aber ich hab keine Angst."
Der erste Song weltweit über den Internationalen Währungsfonds
Seinen ersten großen Erfolg feiert Manawahly vor zwei Jahren mit diesem Lied. "El Sandouq", der wohl erste Song weltwelt über den Internationalen Währungsfonds. Auch hier blickt der Musiker den einfachen Ägyptern über die Schulter: Der kochenden Hausfrau in ihrer armseligen, engen Küche, der Tochter, die im nicht weniger winzigen Bad nebenan in einer Plastikschüssel die T-Shirts ihrer Geschwister mit der Hand wäscht. Bis plötzlich – wie so oft in Ägypten- aus dem Hahn kein Wasser mehr kommt, der Strom ausfällt, die Flamme am Gasherd erlischt.
"Oh Währungsfond", singt Manawahly ironisch über den erhofften Milliardenkredit, die schwere Wirtschaftskrise und wundert sich über die Unfähigkeit der Mächtigen am Nil: "Wofür hatten wir eigentlich die Revolution?", fragt sich der Ägypter im Armenviertel. "Wofür sind die Menschen gestorben? Erklär mir, was Würde bedeutet." Über Wochen wird das Stück damals in den ägyptischen Fernsehsendern gezeigt. In Deutschland stellt sogar Konstantin Wecker das Video aus Kairo auf seine Website. Yasser el Manawahly bleibt trotz des Erfolgs hauptberuflich Ersatzteilhändler, einer vom Volk:
"Mein Vater hat mir als Kind eine Gitarre gekauft, mehr so zum Spiel, aber es entwickelte sich eine Art Freundschaft. Das erste eigene Lied habe ich mit 17 geschrieben, da kam ich gerade an die Uni. Meine Freunde waren meine ersten Fans. Ich habe über 40 Lieder geschrieben, die sonst keiner kennt. Es ging vor allem um die Liebe, das Leben, mein Motorrad, um meinen Hund, so was. Aber nach der Revolution kamen plötzlich ganz andere Lieder. Es wurde mir wichtig zu sagen, was da passiert. Das waren fast nur noch politische Lieder."
Für die alten Freunde
Yasser el Manawahly ist schon über 40, als Ägyptens Volksaufstand 2011 sein ganzes Leben verändert. Für die alten Freunde, die längst im Ausland leben, nimmt er seine Kompositionen erstmals in einem Ton-Studio auf.
"Im Studio haben sie mir nach der Aufnahme dann gesagt, können wir das bei You tube einstellen? Ich sagte: Bitte, kein Problem. Dann haben sie das im Fernsehen gezeigt. Ich habe das also alles nicht selbst entschieden, das kam einfach so."
Seit Sisi für die Präsidentschaft kandidiert, wurde der Sänger kaum noch ins Fernsehen eingeladen. Und für seine neuen Lieder könnte er tatsächlich hinter Gitter kommen, fürchtet Manawahly. Auch für die vielen politischen Inhaftierten hat der Liedermacher einen Text geschrieben. "Der Keks", lautet der Titel und erzählt aus der Sicht eines kleinen Jungen:
"'Papa, Deine Umarmung fehlt mir. Wer hat dieses Gitter zwischen uns gestellt? Wer hindert mich daran, zu Dir zu kommen? Ich habe dir Kekse gebracht, weil ich dich so liebe.' Diese Worte sollen das Herz der Verantwortlichen treffen. Die haben doch auch Kinder. Und diese Leute sollen wissen, dass die anderen Kinder, die am Gitter stehen, sich quälen müssen. Alles nur wegen der Politik. Was macht ihr denn da?"
Bis jetzt hat Yasser el Manawahly dieses Lied nicht veröffentlicht. Er wartet noch, sagt der Sänger. Und dabei spürt man sie dann doch: Die Angst, die er eigentlich nicht haben will. Noch beim Weggehen, als das Mikrofon längst aus ist, sagt er: "Das Gefährliche ist, dass auch die Mächtigen Angst haben, sogar vor Liedern."