Was bleibt von Obama?
Im Januar wird Barack Obama nach zwei Amtszeiten das Weiße Haus verlassen. Damit verliere Amerika einen der "reflektiertesten Präsidenten", die das Land seit dem Zweiten Weltkrieg gehabt habe, meint die USA-Expertin Constanze Stelzenmüller.
"Am intellektuellen Niveau seiner Überlegungen ist nicht zu rütteln, sagt die Politikwissenschaftlerin und USA-Expertin Constanze Stelzenmüller vom Think-Tank "Brookings Institution" in Washington über den scheidenden US-Präsidenten Barack Obama. Seine Intellektualität habe Obama möglicherweise sogar gelegentlich im Weg gestanden. Aber Obama sei "einer der reflektiertesten Präsidenten, die Amerika seit dem Zweiten Weltkrieg gehabt hat".
Kühl, philosophisch, pragmatisch
Was man immer mehr zu würdigen wisse und von ihm behalten werde, sei Obamas "unglaublich philosophisch-pragmatische Art, die großen Fragen nationaler Kursbestimmung anzugehen: eine Art, in Ruhe, kühl sich alle Argumente anzuhören und eben auch aus eigenen Fehlern zu lernen, von anderen zu lernen", betont Stelzenmüller.
"Das ist das Stichwort der deliberative democracy, die bis auf das 18. Jahrhundert zurückgeht: die Vorstellung, dass man im Austausch mit dem anderen die Politik erst wirklich machen kann, begreifen kann und vor allen Dingen seine eigenen Einstellungen und seine eigene Praxis verbessern kann. Damit steht er in einem enormen Gegensatz zu den Leuten, die jetzt Wahlkampf machen, insbesondere auf der rechten Seite, zu einem Donald Trump oder anderen."
Das politische Handwerk zu gering geachtet
An Obama sei allerdings zu kritisieren, dass dieser sich "zu sehr auf die Schärfe seines Verstandes und seine Energie und sozusagen den Wert seines Werdegangs verlassen, als er ins Weiße Haus gekommen ist". In der ersten Amtszeit Obamas sei deutlich geworden, dass er das politische Handwerk "das, was die Amerikaner 'state craft' nennen, zu gering geachtet hat und das erst im Amt unter Schmerzen nachgelernt hat".
Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: In ein paar Wochen, wenn die Parteitage der Republikaner und Demokraten ja ihre Präsidentschaftskandidaten und -kandidatin gekürt haben, dann geht die heiße Wahlkampfphase los, und da passt es ja jetzt eigentlich ganz gut, noch mal über den amtierenden Präsidenten zu sprechen. Was für ein Typus Präsident ist oder war Barack Obama eigentlich? Er war der erste multikulturell geprägte Präsident, erwachsen geworden in Honolulu, Djakarta, New York und Chicago.
Eine sagenhafte Aufstiegsstory, vom Kind einer alleinerziehenden Mutter über die Elite-Uni ins Präsidentenamt. Er war, so haben ihn ja viele vor allen Dingen in seinen ersten Jahren wahrgenommen, ein kühler, eher intellektueller Redner, ein Analytiker, der den Nobelpreis, den Friedensnobelpreis bekommen hat, 2009 war das. Was also bleibt von ihm? Constanze Stelzenmüller ist Außen- und Sicherheitsexpertin bei der renommierten Denkfabrik Brookings Institution in Washington. Schönen guten Morgen!
Constanze Stelzenmüller: Guten Morgen!
Obama - der Inbegriff des Insider-Outsiders
Brink: Obama wurde ja von manchen, ich habe es schon angedeutet, als Intellektueller bezeichnet. Es wurde ihm auch vorgeworfen. War er das tatsächlich auch in Ihren Augen, oder ist er es?
Stelzenmüller: Absolut. Ich finde, daran kann gar kein Zweifel bestehen, und ich würde mich auch gar nicht einlassen auf Diskussionen darüber, ob es schlecht oder gar böse ist, ein Intellektueller zu sein. Ich glaube, das ist einer der reflektiertesten Präsidenten, die Amerika seit dem Zweiten Weltkrieg gehabt hat. Ich glaube, man kann da noch John Kennedy und Bill Clinton nennen. Aber dass jemand, der mit einem hohen Bildungsgrad, hohem Reflexionsgrad an seine Arbeit gegangen ist – es kann sein, dass ihm das gelegentlich im Weg gestanden ist, aber an dem intellektuellen Niveau seiner Überlegungen ist nicht zu rütteln.
Brink: Was hat ihn geprägt, gerade intellektuell?
Stelzenmüller: Das sind, glaube ich, verschiedene Traditionen. Da ist einmal die Tatsache, Sie haben es ja selber gesagt, er ist sozusagen der Inbegriff des Insider-Outsider, Outsider-Insiders, also jemand, der eigentlich von außen gekommen ist und dann eben das höchste Amt in Amerika sich erarbeitet hat. Und natürlich spielt dabei eine Rolle, dass er einen afrikanischen Vater hat. Das heißt, die Begegnung mit der schwarzamerikanischen intellektuellen und theologischen Tradition hat bei ihm immer wieder eine große Rolle gespielt. Das hat auch in seinen Reden bis jetzt zu den Schießereien in Orlando und auch in Dallas und anderswo, bei seinen Reden zur Rassenfrage immer wieder eine Rolle gespielt sehr deutlich.
Leitbild "Deliberative Democracy"
Das zweite Element – da kommt jetzt, glaube ich, seine juristische Prägung mit hinein – eine große Prägung, enormer Respekt vor der intellektuellen Tradition des amerikanischen Verfassungsrechts, die aus dem 18. Jahrhundert zu uns gekommen ist über die sogenannten Federalists. Das waren die Verfassungsväter, die damals in Zeitungsartikeln sozusagen sich ihre Verfassungsdoktrin erschrieben haben, und da ist ganz besonders zu nennen James Madison mit seiner Theorie der "Deliberative Democracy", also einer Demokratie, die in der Argumentation, im Austausch von Argumenten entsteht.
Dann, sagen wir mal, die philosophische Tradition der 80er-Jahre, in denen er zur Universität gegangen ist, also eines gewissen philosophischen Pragmatismus. Und als Letztes würde ich nennen die Theologie von Reinhold Niebuhr, einem deutschstämmigen amerikanischen Theologen, der einen enormen Einfluss gehabt hat in Amerika zwischen den 30er-Jahren und bis weit in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hinein. Aber ich will jetzt nicht sozusagen das alles im Detail sagen, aber das hat in seinen Reden, insbesondere in der Nobelpreisrede in Oslo auch, also ist deutlich erkennbar gewesen.
Brink: Aber er hat sich ja ganz anders inszeniert dann auch im Weißen Haus als zum Beispiel Kennedy. Das war ja sozusagen – die haben versucht, ein amerikanisches Camelot des 20. Jahrhunderts zu machen. Das haben die Obamas doch anders gelöst.
Stelzenmüller: Ja. Die Kennedys haben sich sehr inszeniert als eine Art von neues intellektuelles – haben versucht, ein neues intellektuelles Mekka in Washington zu bauen, das sie, nicht zu Unrecht im Übrigen, als sehr provinziell empfunden haben, als eine schläfrige Südstaatenstadt, in der die Leute sozusagen eher bedächtig ihrer Arbeit nachgingen, und haben sich mit einer wirklich glanzvollen Riege von Philosophen und Künstlern umgeben vor allen Dingen.
Aber Obama hat sicherlich genauso intensiven, vielleicht noch intensiveren, engeren Kontakt zu all diesen Figuren gepflegt, hat das aber nicht ganz so herausgestellt. Er hat sozusagen das alles etwas kühler gemacht und etwas weniger als theatralische Herrschaftsinszenierung. Er hat sich zum Beispiel einen der besten Verfassungsrechtler dieser Zeit, Cass Sunstein, ins Weiße Haus geholt als Mitarbeiter. Oder er hat sich Samantha Power, die ein berühmtes Buch geschrieben hat über amerikanische Außenpolitik und den Völkermord in Ruanda und in Bosnien, die hat er zur Innenbotschafterin gemacht. Samantha Power hat auch auf die Rede in Oslo, die Nobelpreisrede, großen Einfluss gehabt. Also, er hat sich mit Leuten umgeben, die versucht haben, aus ihrer intellektuell-philosophischen Prägung Handlungsmaximen für die Außenpolitik und die Sicherheitspolitik abzuleiten.
Das politische Handwerk musste Obama erst lernen
Brink: Was bleibt von ihm? Wie würden Sie das bezeichnen?
Stelzenmüller: Ich glaube, von ihm bleibt eine – ich fange mal an mit dem, was er nicht gut gemacht hat. Er hat, glaube ich, sich zu sehr auf die Schärfe seines Verstandes und seine Energie und sozusagen den Wert seines Werdegangs verlassen, als er ins Weiße Haus gekommen ist. Er hat dann vier Jahre im Senat damit verbracht, eigentlich seinen Präsidentschaftswahl vorzubereiten, anders als Hillary Clinton, die in dieser Zeit vor allen Dingen dafür gesorgt hat, sich Freunde in allen politischen Lagern zu machen, im Wissen, dass ein Präsident, der nicht mit dem Kongress arbeiten kann, ein gelähmter Präsident ist. Und das ist in der ersten Amtszeit vor allen Dingen von Obama sehr deutlich geworden, dass er das politische Handwerk, das, was die Amerikaner State Craft nennen, zu gering geachtet hat und das erst im Amt unter Schmerzen nachgelernt hat.
Aber was wir sicherlich von ihm behalten werden und was man jetzt, glaube ich, immer mehr zu würdigen weiß, in den Monaten, in denen seine Amtszeit dem Ende zustrebt bis zu den Wahlen im November und der Übergabe im Januar, ist eine unglaublich philosophisch-pragmatische Art, die großen Fragen nationaler Kursbestimmung anzugehen. Eine Art, in Ruhe, kühl sich alle Argumente anzuhören, in Ruhe, und eben auch aus eigenen Fehlern zu lernen, von anderen zu lernen. Wie schon gesagt, unter diesen – das Stichwort der Deliberative Democracy, die bis auf das 18. Jahrhundert zurückgeht, die Vorstellung, dass man im Austausch mit dem anderen die Politik erst wirklich machen kann, begreifen kann und vor allen Dingen seine eigenen Einstellungen und seine eigene Praxis verbessern kann. Damit steht er in einem enormen Gegensatz zu den Leuten, die jetzt Wahlkampf machen, insbesondere auf der rechten Seite, einem Donald Trump oder anderen. Man könnte natürlich auch in Europa ein paar Beispiele nennen.
Brink: Vielen Dank, Constanze Stelzenmüller von der Brookings Institution in Washington, schönen Dank für diese Einschätzungen!
Stelzenmüller: War mir eine Freude, schönen Tag noch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.