Pragmatiker mit Augenmaß

Die Biografie über den Sozialdemokraten Friedrich Ebert eröffnet die Reihe "Makers of the Modern World" des Londoner Verlags Haus Publishing. Der Band will den englischsprachigen Lesern den Politiker näherbringen, der auch Parteivorsitzender und Reichspräsident war.
Mit seinem Buch über Friedrich Ebert bringt Harmer dem geschichtsinteressierten englischsprachigen Publikum von heute eine, wenn überhaupt, dann nur weitgehend diffus wahrgenommene Gestalt nahe, die für das Verständnis nicht nur der deutschen Sozialdemokratie, sondern auch der deutschen Geschichte eine Schlüsselrolle spielt. Als Sohn eines Schneidermeisters kam Ebert am 4. Februar 1871 in Heidelberg auf die Welt, kurz nachdem am 18. Januar im Spiegelsaal von Versailles Preußens König Wilhelm mit peinlichem Schwulst und undiplomatischem Getöse zum Kaiser des neuen Deutschen Reichs gekürt worden war. Im November 1918 wurde dieses Reich nach dem verlorenen Weltkrieg zu Grabe getragen und Friedrich Ebert, der bescheidene beharrliche Parteisoldat der Sozialdemokratie, wurde am 9.11.1918 erst Reichskanzler und dann, am 11.2.1919, als Reichspräsident der demokratisch legitimierte Nachfolger von Kaiser Wilhelm II.

Wie es zu diesem Aufstieg kam, stellt Harry Harmer in seinem Buch in erfrischend klarer Diktion dar. Durch seine eiserne Disziplin als Organisator und visionär-pragmatischer Parteibürokrat gelang es Ebert, sich stetig in der Hierarchie nach oben zu arbeiten. Er machte aus einer relativ locker und amateurhaft verfassten Partei eine schlagkräftige Organisation, die er bis ins kleinste Detail steuerte. Revolutionär in der Rhetorik blieb Ebert Pragmatiker mit dem Augenmaß für das jetzt gerade Mögliche und dem Fernziel: den Arbeitern in der Klassengesellschaft des Kaiserreichs sowohl materielle Sicherheit als auch die vollen Bürgerrechte zu erstreiten.
Zwar hatte Friedrich Eberts Sozialdemokratie ab 1914 im Reichstag durch ihre Zustimmung zu den Kriegsanleihen ihre Unschuld verloren, geriet aber, so Harry Harmer, nach dem Waffenstillstand zu Unrecht in die Schusslinie sowohl vom rechtskonserativ-reaktionären als auch linksradikalen politischen Spektrum. Ebert wollte den Versailler Vertrag auf keinen Fall unterschreiben. Er beriet sich mit den Militärs, allen voran mit Hindenburg, die ihm klar machten, dass es zu dem Ultimatum keine vertretbare Alternative gab. Vor Entsetzen schlotternd und leichenblass mussten schließlich die Vertreter der neuen Republik am 28. Juni 1919 genau an der Stelle den Versailler Vertrag unterzeichnen, an dem 1871 Frankreich bis ins Mark gedemütigt worden war.
Der Vertrag war die Quittung für 1871 und den verlorenen Weltkrieg. Die Ironie des Schicksals war, dass die auch in Weimar weiterhin kaisertreuen Eliten in Militär, Wirtschaft und Bürokratie Friedrich Eberts Sozialdemokraten die von ihnen eingebrockte Suppe auslöffeln ließen, um sie dann schließlich systematisch als Vaterlandsverräter zu diffamieren. Unmissverständlich zeigt Harry Harmer seinen englischsprachigen Leserinnen und Lesern, dass die im Versailler Vertrag festgeschriebene Alleinschuld Deutschlands weder den Tatsachen entsprach noch dass die deutsche Sozialdemokratie sie auch nur im Ansatz vertrat. Bitter gerächt hat sich die Verführung zum imperialistischen Patriotismus, unter dessen Flagge 1914 auch die Sozialdemokratie begeistert in den Krieg zog. Allerdings stahlen sich Ebert und seine Partei 1918/19 nicht aus der Verantwortung. Mit der Unterzeichnung des Versailler Vertrages vermieden sie die Wiederaufnahme des Krieges und schufen die Möglichkeit für eine beharrliche Revision, die ja dann auch erfolgreich auf den Weg gebracht wurde.

Harry Harmer würdigt Ebert als Menschen und als Politiker, der eine richtige realpolitische Vision gehabt habe, aber zwischen links und rechts zerrieben wurde. Besonders würdigt er, dass Ebert nach Kriegsende sich nicht der Verantwortung entzog. Aus diesem Grund bezeichnet Harry Harmer Ebert als einen bedeutenden "Maker of the Modern World".

Besprochen von Hans-Jörg Modlmayr


Friedrich Ebert: Germany by Harry Harmer
Band 1 der auf 32 Bände ausgelegten Reihe Makers of the Modern World: 32 books: 32 perspectives: 32 outcomes
The peace conferences of 1919-23 and their aftermath
Haus Publishing. London. 12 Pfund 99. hardback. 201 Seiten