Interreligiöser Preacher Slam

Wettstreit im Gotteslob

07:50 Minuten
Eine junge Frau im grauen Kostüm, mit Beanie-Mütze spricht in ein Mikrofon und schaut verklärt.
Hamida Shamat bringt bereits Bühnenerfahrung mit: Sie wirkt im Kollektiv "i,Slam" mit. © Deutschlandradio / Elmar Krämer
Von Elmar Krämer |
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Für zwei Jahre musste der interreligiöse Preacher Slam an der Urania in Berlin pausieren. Nun gibt es das Format wieder. Einen Abend lang feiern Juden, Christen und Muslime Gott, in Text, Gedichten und Gesang.
„In der Kirche weiß ich, dass die meisten mir relativ wohlgesonnen sind und darauf vorbereitet sind, von mir was zu hören", sagt Natalie Georgi, Pastorin in einer Baptistengemeinde in Berlin. "Und jetzt ist das was ganz anderes: Ich weiß gar nicht, wer da sitzt.“ Als Predigerin ist Georgi routiniert, als Slammerin Novizin. „Ich hoffe, ich treffe keine Fettnäpfchen", sagt sie. "Davor hab ich große Angst."
Die Angst ist unbegründet, wie sich zeigen wird. Denn das Publikum wird sich später als ebenso aufgeschlossen erweisen wie ihre Mitslammerinnen und -slammer auf der Bühne. Perfekte Voraussetzungen auch für den Rabbiner Paul Moses Strasko, der sich deutlich hörbar auf eine Abwechslung freut.

Emotionaler als in der Gemeinde

„Die jüdischen Gemeinden haben es nicht sehr gern, sehr emotionale Predigten zu hören", sagt Strasko. "Es ist für sie unangenehm, so muss man immer versuchen, mit Selbstbeherrschung zu predigen. Ich komme aus den USA, ich bin Jude, aber mein ganzes Leben habe ich diese 'Southern Baptist Preaching Art' gesehen und dann auch viel Slam Poetry in den USA, und ich liebe es, manchmal zu predigen mit ein bisschen Energie.“
Eine junge Frau in geblümter Bluse steht vor dem Mikrofon und liest vom Blatt.
Pastorin Natalie Georgi konnte den Preacher Slam für sich entscheiden.© Deutschlandradio / Elmar Krämer
Natürlich ist ein Poetry-Slam ein Wettbewerb. Den ersten Preis kann nur einer oder eine gewinnen, dennoch geht es beim Preacher-Slam immer auch darum, den anderen Religionen zuzuhören und über den eigenen Tellerrand zu blicken.

Diesmal stärker am Glauben ausgerichtet

Für die Muslima Hamida Shamat, die zwar keine Predigerin ist, aber seit Jahren auf Slam-Bühnen auch Glaubensfragen thematisiert, war das der Grund, sich anzumelden.
"Gerade dieses Finden von Gemeinsamkeiten in den drei Religionen, jetzt in dem Fall: Judentum, Christentum und Islam, ist einfach eine Thematik, die mich persönlich sehr beschäftigt", sagt Shamat. "Ich komme aus einer Familie, die von zwei Kulturen und Religionen geprägt ist, und ich habe mich dadurch angesprochen gefühlt und hab mir gedacht: Ich würde mir gern diese Bühne mit anderen Gläubigen teilen.“
Eine junge Frau in silbergrauem Kostüm mit Beanie-Mütze sitzt lächelnd in einem Kinosessel.
Hamida Shamat möchte Gemeinsamkeiten zwischen Islam, Judentum und Christentum entdecken.© Deutschlandradio / Elmar Krämer
Die Pastorin, der Rabbi, die Slammerin und vier weitere Kandidatinnen und Kandidaten prägen einen Abend, der – anders als beim ersten Preacher-Slam vor zwei Jahren – diesmal viel stärker am Glauben ausgerichtet ist.

Auf einem gemeinsamen Pfad der Wahrheit

Der Organisator Simon Klaas, evangelischer Pfarrer, begrüßt die Gäste zum interreligiösen Preacher-Slam in der Berliner Urania. Das diesjährige Motto lautet „Dein Glaube – Mein Glaube“. Das Los des ersten Auftritts geht an Najah Chehimi, eine junge Studentin muslimischen Glaubens.
„An was fehlt es uns, uns gegenseitig zu akzeptieren, ohne den Respekt füreinander zu verlieren? Teilen wir nicht miteinander die gleiche Timeline von Adam und Eva, Jahre später zu Abraham und den Vätern?" So beginnt Chehimi ihre Predigt. "Sie bestritten denselben Pfad der Wahrheit geschickt vom Allerbarmer. Sie gaben jene Worte weiter, die unser Herr ihnen zuwies, sie übernahmen die Prüfungen und gaben diese weiter an Jakob, Moses und Zacharia, bis die Heilige Maria Jesus – der Friede sei mit allen – gebar."
Eine junge Frau mit Kopftuch spricht in ein Mikrofon in der rechten Hand hält sie ihr Manuskript, den linken Zeigefinger hat sie erhoben.
Ihre Timeline reicht zurück bis zu Adam und Eva: Najah Chehimi startet als erste Kandidatin beim Preacher Slam.© Deutschlandradio / Elmar Krämer
Während Chehimis Vortrag leuchten die Augen von Rabbiner Paul Moses Strasko, vielleicht auch aus Vorfreude, denn er ist als nächstes an der Reihe. „Gott ist tot ...“ – schon mit der Überschrift seines Textes ist dem Rabbiner die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums gewiss. "... erklärte mir Nietzsche." Was sich im Text nun entfaltet, ist ein Gespräch zwischen Philosoph und Rabbiner:
„Herr Nietzsche warf ein, dass dieser Gott der Gott ist, der hinter der Moral des Westens steht: Dieser Gott hat ein Buch mit Regeln, dass alle vorherigen Regeln umkehrte. Das Böse wurde gut, und das Gute wurde Böse. Jede Tat, die jemals begangen wurde, wurde gesehen, aufgelistet und gezählt. – Ach, den Weihnachtsmann-Gott meinst du, sagte ich. An diesen Gott glaube ich auch nicht. Das ist dein Glaube. – Aber wie betet man zu einem Gott, den man nicht sehen kann? Wie betet man zu einem Gott, den man nicht hören kann? Wenn Gott eine universelle Konstante ist, der Maßstab, durch den wir alle verstehen, dass wir Teil derselben Einheit sind – ist das dann nicht dasselbe wie gar kein Gott?"

Abschied vom Bilderbuch-Gott

Die Antwort auf diese Frage eint gewiss Religionen und Konfessionen: Nein. Beim Preacher-Slam lautet Rabbiner Straskos Resümee: „Gott ist tot, weil wir zugelassen haben, dass ein Bilderbuch, das wir gelesen haben, als wir Kinder waren, zum zentralen Bild der Gottheit wird. Natürlich ist dieser Gott tot. Ein Gott, der lebt, wird ein wenig mehr Arbeit erfordern. – Danke!"
Ein Mann mit kurzem weißem Haar und Brille, in einem dunklen Anzug und schwarzem offenem Hemd, sitzt lächelnd in einem Kinosessel.
Rabbiner Paul Moses Strasko ging mit einem philosophischen Dialog ins Rennen.© Deutschlandradio / Elmar Krämer
Die Arbeit, die dem Publikum an diesem Abend abverlangt wird, darf aber auch Spaß machen. Auf dem Preacher-Slam werden religiöse Inhalte aus unterschiedlichen Perspektiven unterhaltsam beleuchtet. Natalie Georgi, die Pastorin einer Berliner Baptistengemeinde, tanzt in ihrem Text mit dem Zweifel durch das Zeitgeschehen und durch Glaubensfragen:
„Manches Mal, da geht mir die Puste aus, und ich brauche eine Pause. Doch dann ermutigt er mich: Komm, tanz mit mir, bleib nicht stehen. Bleib nicht stehen in deinen Gottes- und Glaubensbildern – in deinem: So ist es nun mal. Oder: Was wird sich schon ändern? Der Zweifel ist ein guter Lehrer. Er lehrt mich, alles zu hinterfragen, vor keiner Frage Angst zu haben, nichts als selbstverständlich zu nehmen – und ein Trotzdem glauben. Ich glaube, und deshalb zweifele ich. Und umso mehr ich glaube, umso mehr zweifele ich. Und umso mehr ich zweifle, umso mehr glaube ich – glaube weiterhin an eine Zukunft für uns. An Nächstenliebe, an wahren Frieden, an politische Lösungen, an gelebte Gerechtigkeit, an das Gute im Menschen – ja, und an Gott. Ich glaube!“

Sieben Perspektiven, ein gemeinsamer Kern

Das Motto des Abends „Mein Glaube – Dein Glaube“ erinnert an einen Werbespruch aus den 80er-Jahren, der in Analogie weiterginge „Mein Glaube, Dein Glaube – Glaube ist doch für alle da!“
Beim Preacher-Slam in der Urania zeigt sich einmal mehr: Der Blick über den Tellerrand ist wichtig und lohnt. Siegerin des Abends wurde Natalie Georgi, dicht gefolgt von Rabbiner Paul Moses Strasko. Gewonnen haben aber alle, sagt Strasko:
„Die Leute wollten das hören, die wollten das glauben, verstehen und besprechen und verschiedene Meinungen hören. Und es war auch toll, dass alle sieben Leute von verschiedenen Perspektiven irgendwie einen Kern gefunden haben. Ich fand es unglaublich spannend, und die Leute hier haben gezeigt, wie relevant es sein kann, und wie intelligent es sein kann. Ich bin so, so froh.“

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