Gott hängt auf der Toilette
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In Berlin fand vor kurzem der erste interreligiöse "Preacher-Slam" statt. Bei dem Predigerwettbewerb waren die Themen fast so divers wie die Auftritte. Um Gottes Liebe ging es zwar immer, aber sie kann sehr unterschiedlich klingen.
Das Urania-Haus in Berlin, unweit des Kurfürstendamms, ist ein traditionsreicher Ort, wenn es darum geht, den Besuchern komplexe Sachverhalte verständlich zu präsentieren. Wissenschaftliche Vorträge und Diskussionsrunden stehen ebenso auf dem Programm, wie Comedy-Shows, Workshops und Ausstellungen. An diesem verregneten Winterabend hat hier ein neues Format Premiere:
"Liebes Publikum, herzlich willkommen in der Urania zu diesem denkwürdigen Abend, zu diesem ersten interreligiösen Preacher-Slam."
Simon Klaas, evangelischer Vikar in Cottbus, Urania-Programmbeirat und Organisator der Veranstaltung.
"Es gibt viele Menschen, die immer wieder versuchen, die Religionen zusammenzubringen, in den Dialog zu bringen und wir tun das auch hier heute Abend."
Ausdruck einer Sehnsucht
Eine gute Predigt sei wie ein Gedicht, heißt es im Veranstaltungsinfo. Ein Gedicht als Ausdruck einer Sehnsucht und an diesem Abend einer Proklamation des eigenen Glaubens und einer sehr persönlichen Auseinandersetzung mit Gott, in welcher Gestalt auch immer.
"Vier Religionen sind heute bei dem Preacher-Slam vertreten: Juden, Christen, Muslime und ein Bahá‘i."
Auf der Bühne werden im Laufe des Abends eine evangelische Pfarrerin, ein Rabbiner, ein Autor und drei Poetry-Slammer stehen.
Slammen gegen gesellschaftliche Ablehnung
Sami El-Ali ist Mitglied einer islamischen Poetry-Slam-Gruppe. Seine Texte machen deutlich: Eine Auseinandersetzung mit Gott kann sehr weit ausgelegt werden.
"Ich setze mich dann doch eher mit so Fragen auseinander, die gesellschaftlich relevant sind, wie zum Beispiel, ob der Islam zu Deutschland gehört.
"Und bitte gib mir nur eine Sekunde und ich spucke alle meine Wörter aus meinem Munde und alle deine Leute werden durch meine Wörter verwundet, deine sogenannte Alternative geht heut vor die Hunde! Ihr seid keine Alternative, nur Alter-naive, verhaltenslabile gespaltene Familie von all diesen Tieren im Walde vertreiben, zu kalt für die Liebe! Und es ist unerhört, dass Nicht-Muslime sagen, dass der Islam nicht dazugehört! Leute, das ist zu gestört! Ich glaub, das können wir selbst entscheiden, denn wir sind Deutsche und Muslime zur selben Zeit. Wir können Dir diese Welt hier zeigen."
Sami El-Ali ist kein Prediger, aber ein Routinier auf der Bühne wie sich zeigt - ebenso wie die erste Frau an diesem Abend.
Leben als Jüdin in Deutschland
"Unsere nächste Slammerin ist Anna Esther, sie ist in Weißrussland geboren und in Baden-Baden aufgewachsen. Und es hat einige Zeit gebraucht, bis sie sagen konnte: Ich bin eine jüdische deutsche Frau."
In einem bewegenden Text berichtet sie von einem Familienerbstück, einem Geschenk ihrer "Bube", jiddisch für Großmutter, einer Holocaust-Überlebenden:
"Dann greift sie in die Schachtel und hält ihn vor mir her: mein erster Davidstern. Es ist 1941 und Bube ist gerade zwei Jahre alt. Doch im Gegensatz zu mir ist Bube kein glückliches, kein unbeschwertes Kind und der Wind, der durch ihre Haare weht, trägt Tausende von Seelen in sich, er trägt sie einfach fort und sammelt sie an einem Ort, den ich gern Himmel nenne würde. Nur bin ich mir nicht sicher, ob es damals einen Himmel gab."
Das Publikum lauscht gebannt den Worten der jungen Frau, die ruhig, sehr persönlich und äußerst eindrücklich vom dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte und ihrem Leben als Jüdin in Deutschland berichtet:
"Höre mich Deutschland, Deutschland höre! Wir sind ein Teil von Dir, ob es Dir gefällt oder nicht. Mein liebes Deutschland, wir gehen nicht."
Die Menschheit als Sand
Nach zwei versierten Slammern tritt Shahnam Izadpanah auf die Bühne. Der Anhänger des Bahá‘i-Glaubens hat sich in mehreren Sachbüchern mit Religiosität auseinandergesetzt.
"Die Zeit steht für keinen von uns still, dieses Leben gleicht nur Farben auf einem Bild. Sekunden verfliegen, Momente schwinden, auf dass der Mensch die Ewigkeit findet. Heute und morgen, auch das wird vergehen. Kummer und Sorgen, auch das wird vergehen, Sonne oder Regen, auch das wird vergehen. Ruhm oder Elend, auch das wird vergehen. Und was bleibt ist die Liebe zu Gott und der Dienst an der Menschheit. Denn wäre die Welt eine Wüste, wären wir der Sand. Die Menschheit ist nur eine Familie und wir sind alle verwandt."
Der Auftritt des iranischstämmigen Wiesbadeners zeigt: Die Auseinandersetzung mit Gott im Rahmen eines Slams ist nicht nur möglich, sondern auch äußerst unterhaltsam. Für viele im Publikum, die auf moderne Predigten gehofft haben, ist dies vielleicht der erste wirkliche "Preacher-Slam" an diesem Abend.
Predigten werden für einen Anlass geschrieben
"Das war die Stimme eines orientalischen Christen, nun zu einer okzidentalen Christin – Rebekka Weinmann."
Die evangelische Pfarrerin ist 36 Jahre alt und kam von der Predigt zum Poetry-Slam.
"Ich glaube, das ist der Nachteil, den man als Pfarrer gegenüber einem Poetry-Slammer hat, der bei so etwas mitmacht. Ein Poetry-Slammer schreibt Texte fürs Publikum, testet sie immer wieder vor einem Publikum. Mein Text heute ist tatsächlich für heute geschrieben und das ist in der Regel so mit meinen Texten."
Einen Joint rauchen mit Gott
Denn in der Regel schreibt sie Predigten für den Gottesdienst. Ihre Geschichte beim Preacher-Slam heißt "Ich habe Gott in die Toilette gehängt":
"Manche könnten meinen, dass das Gotteslästerung ist. Aber ich dachte, ich tue Gott was Gutes. Auf Partys zum Beispiel, da ist sein Zimmer unglaublich beliebt. Alle wollen sie da rein, selbst meine atheistischen Freunde, die sonst nicht so viel von ihm halten, stehen in Schlangen vor seiner Tür an. Manche drängeln sich sogar vor, weil sie meinen, sie müssten dringender rein als andere. Einige lassen ihm ein halbvolles Bier da. Andere rauchen mit ihm einen Joint. Und ja, Gott sieht auch, wenn du deine Hose runterlässt. Und endlich loslässt. Und alles, was dich belastet, rauskommt. Der ganze Kummer, der ganze Ärger, der ganze Schmerz, die ganze Wut, die ganze Scheiße. Deshalb habe ich Gott in meine Toilette gehängt. Weil ich dachte, ich tue ihm was Gutes."
Geistliche hören anderen selten zu
Und so, wie das Publikum einen Einblick in unterschiedliche Glaubensrichtungen bekommt, bekommen auch die Teilnehmer Anregungen für ihre eigene "Performance", wie Rabbiner Walter Rothschild vor der Veranstaltung erklärt:
"Ein Hauptproblem für alle Geistlichen, egal welcher Religion, ist, wenn man immer im Dienst ist, hat man keine Gelegenheit, anderen zuzuhören. Man hat keine Ahnung, was es für Techniken, Tricks und Witze gibt."
Als der 65-Jährige dann die Bühne betritt, merkt man ihm die langjährige Predigt-Routine an – auch die jungen Poetry-Slammer kleben an den Lippen des Rabbiners, der ebenso wie der Anhänger des Bahá‘i-Glaubens zuvor das Universelle Gottes hervorhebt.
"Das soll das Ziel sein, diese Einzigartigkeit Gottes anzuerkennen, der Gott, der mein Gott ist, der unser Gott ist, aber auch der Gott der gesamten Menschheit ist. Er verlangt von uns nicht mehr, aber auch nicht weniger, als dass wir das akzeptieren. Es ist nicht einfach, aber es ist auch nicht langweilig, ein Mensch zu sein – Gott sei Dank!"
Poesie und Fakten
Nach der Pfarrerin und dem Rabbiner geht der "Preacher-Slam" mit einem Wortfeuerwerk von Yasmin Ayhan zu Ende – wieder mehr "Slam" als "Preacher", aber abwechslungsreich.
"Ich geb euch Poesie und dazu noch ein paar Fakten. Denn jeder hat eine Meinung, aber schweigt dann nach ein paar Takten."
Der erste interreligiöse Preacher-Slam in der Berliner Urania ist ein Wettbewerb, der eigentlich keiner ist, sondern vielmehr dem Titel der Veranstaltung "One Love – One God" Tribut zollt. Und es zeigt sich, dass bei einem Slam auch echte Prediger bestehen können, selbst wenn am Ende zwei Poetry-Slammer gewonnen haben.