Predigten für den Führer

Hiddensee streitet über die Rolle seines Pfarrers

Hiddensee - von der Ostsee umgeben
Hiddensee - von der Ostsee umgeben © dpa / picture alliance / Stefan Sauer
Von Dieter Bub |
Auf Hiddensee gilt Owe Gustavs als Nestbeschmutzer. Denn er thematisiert die unrühmliche Rolle seines Großvaters Arnold Gustavs als Inselpastor in der Zeit des Nationalsozialismus: Pfarrer Gustavs pries vor allem den Führer.
"Ehret den König. In unsere Zeit übersetzt sagen wir heute: Ehret den Führer.
Wir können den heutigen Tag nicht begehen ohne des Mannes zu gedenken, der uns dieses heilige Symbol des Hakenkreuzes gegeben hat und der unser Volk einer inneren und äußeren Gesundung entgegenführt. Der 'Gruß Heil' Hitler ist in gewissem Sinne ein Gebet für den Führer und so wollen wir unseren Führer ehren indem wir für ihn beten. Ehret den Führer! Amen."
Der Text aus einer Predigt, mit dem der Hiddenseer Pfarrer Arnold Gustavs nicht allein für die christliche Botschaft warb, sondern vor allem für den neuen Messias des Nationalsozialismus, Adolf Hitler. Anlass war die Weihe einer Reichskriegsflagge.
Der Enkel Owe hatte auf dem Dachboden den Nachlass seines Großvaters gefunden. Die überlieferten Schriften geben Zeugnis von einer großen Verblendung, der nicht nur der Hiddenseer Pastor, sondern hunderte Pfarrer erlegen waren.
"Ich habe das gefunden und stand vor der Frage, was mach ich jetzt damit. Da gab's nur die beiden Möglichkeiten: entweder vernichten, wegschmeißen oder sich selbst der Sache stellen und das eben aufarbeiten und an die Öffentlichkeit bringen und ich hab mich eben für die zweite Option entschieden."
Eine Legende zerstört
Damit hat sich Owe Gustavs auf Hiddensee unbeliebt gemacht wie kein Zweiter: Grund für einen noch immer andauernden heftigen Streit ist eine große Dokumentation unter dem Titel "Reichsgottesdienst". Darin finden sich nicht nur die Arbeiten seines Großvaters, sondern – wie es heißt – "Nationalsozialistisches aus pommerschen Kirchenblättern und dem Jahrbuch Auslandsdeutschtum und Evangelische Kirche". Arnold Gustavs ist für den Enkel ein Beispiel von vielen. Bewusst verschwiegene Geschichte.
"Ich habe eine Legende zerstört. Er verkörperte in vieler Hinsicht das, was viele Hiddenseer natürlich, aber auch Sommergäste mit Hiddensee aber auch in geistiger Hinsicht verbanden."
Bereits zu Beginn der Recherchen war Owe Gustavs von der Gemeinde Hiddensee und dem Greifswalder Konsistorium die Nutzung kirchlicher Archivalien verwehrt worden. Pastor Konrad Glöckner war und ist noch immer der heftigste Kritiker Owe Gustavs. Er bezichtigte ihn "willkürlicher Geschichtsdarstellung", „schlimmer verzerrter Äußerungen", "persönlicher Angriffe" und der "Verunglimpfung".
"Arnold Gustavs war ein Mensch seiner Zeit. Er hat national gedacht. Er hat wie viele andere Pastoren in der Zeit auch die Anfänge des Nationalsozialismus gesehen als eine Zeit, in der sich für die Volkskirche wieder Chancen eröffnen, er ist der Selbstdarstellung auch des Nationalsozialismus erlegen, dass das ein gottesfürchtiges Regime war."
Der Nationalsozialismus als ein gottesfürchtiges Regime? Als wäre Hitlers Macht durch tiefe Religiosität mit Wurzeln in der Evangelischen Kirche legitimiert gewesen?
"Das ist in der Kirche verstärkt worden dadurch, weil die Kirche aus einer langen Geschichte kommend, in der Thron und Altar miteinander verwoben waren, die strikte Trennung von Staat und Kirche in der Weimarer Republik und auch zum Teil sehr kirchenferne Züge dieser Republik erlebt hat als etwas, was der Kirche nicht gut tut, so dass sie mit Hoffnungen in diese Zeit gegangen ist."
Arnold Gustavs war nicht Mitläufer, er war ein glühender Verehrer Hitlers, ein fanatischer Anhänger, der seine Autorität auch außerhalb der Kirche nutzte. Ein Aufruf an die Jugend.
"Und hier darf gerade ich euch, deutsche Jungen und deutsche Mädel, noch ein besonderes Wort reichen. In eurem Herzen ist die Liebe zum deutschen Vaterland und zu unserem Führer Adolf Hitler aufgeglommen und dieses Licht, diese Flamme sollt ihr weitergeben, von einem zum anderen."
Die Versuche Glöckners, Lesungen von Owe Gustavs zu verhindern, sind bisher gescheitert. Sie werden im offiziellen Veranstaltungsprogramm auf Hiddensee angekündigt. Die Termine gehören neben den Tourismus- und Kulturangeboten zu den Besonderheiten auf der Insel. Owe Gustavs kann nicht verstehen, warum die Dokumente über seinen Großvater von dem jungen Pastor auf Hiddensee nicht als Chance genutzt worden sind.
Erinnern an den Widerstand - die Mitschuld wird vergessen
"Was mich wundert ist, dass er in all den Jahren nicht einmal selber die Initiative ergriffen und gesagt hätte 'Herr Gustavs, kommen Sie doch bitte. Ich bin zwar nicht in allen Punkten mit Ihnen einverstanden, aber das Thema ist wichtig.' Ich verstehe das nicht, es ist das Thema unseres Jahrhunderts oder des vergangenen Jahrhunderts. Es geht nicht um die Kirche und deren Ansehen und deren Prestige in der Gesellschaft heute."
Die Evangelische Kirche verweist – zu Recht – immer wieder auf die „Bekennende Kirche" und den Widerstand in ihren Reihen gegen das NS- Regime, auf Pfarrer, die für ihre christliche Gesinnung mit dem Leben bezahlten. Diese Opfer dürfen jedoch nicht die große Mitschuld verschweigen.
"Sie hat mitgeholfen, dass die Nationalsozialisten an die Macht kamen und sie hat vor allem in den ersten Jahren der NS-Herrschaft mit den Nationalsozialisten kooperiert, in der einen oder anderen Form, in der ein oder anderen Intensität. Das ist Forschungsstand. Es ist ja, man könnte fast sagen, ein Skandal, dass zum Beispiel die theologische Fakultät der Universität Greifswald, die auch einen Lehrstuhl für Kirchengeschichte hat, das Thema ‚Nationalsozialismus und Kirche' nicht ein Schwerpunkt geworden ist in der Arbeit."
Eine bisher verpasste Chance – und eine Verantwortung, der sich die Evangelische Kirche zu großen Teilen nicht gestellt hat. Die Möglichkeiten dazu bieten sich an:
"Man könnte doch zum Beispiel, um in der nächsten Umgebung von Hiddensee zu bleiben, auf Rügen alle Kirchenchroniken, die auf allen Pfarrämtern geführt werden, sich angucken – da spiegelt sich das doch. Die haben ja Chronik geführt, das mussten sie übrigens."
Owe Gustavs berichtet von einem Gerücht auf Rügen. Dort seien die Seiten von 1935 bis 1945 aus einer Kirchenchronik herausgetrennt worden. Das Verschweigen ist die einfachste Art der Vergangenheitsbewältigung.
Ende der dreißiger Jahre ließen die Nationalsozialisten Arnold Gustavs und seine Mitstreiter fallen. Sie hatten ihre Schuldigkeit getan. Für das „Dritte Reich" gab es fortan nur noch die Religion des Nationalsozialismus. Gustavs blieb auch nach 1945 als angesehener Bürger in Amt und Würden. Er hat sich von seiner geistlichen Verirrung nie distanziert.
"Wir Deutschen danken Gott, dem barmherzigen Gott, der in seiner großen Gnade uns durch Adolf Hitler vor dem Bolschewismus bewahrte. So sehen wir in Deutschland, besonders in der deutschen Kirche den Nationalsozialismus. Ja, Hitler ist ein gottesfürchtiger Mann. Sollen wir Deutschen einen solchen Mann nicht lieben?"
Redaktioneller Hinweis:
Da dieser Beitrag eine Kontroverse über die richtige Einordnung von Arnold Gustavs ausgelöst hat, haben wir in der Sendung RELIGIONEN am 18.10.2015 ein Gespräch mit dem Historiker Christoph Kleßmann zu diesem Themenfeld sowie einen Beitrag zum Stuttgarter Schuldbekenntnis der Evangelischen Kirche gesendet.
Der zitierte Pfarrer zu Kloster auf Hiddensee Dr. Konrad Glöckner hat sich wegen des Beitrags mit einem Offenen Brief an Deutschlandradio Kultur gewandt. Für Deutschlandradio Kultur hat ihm der Hauptabteilungsleiter Kultur Dr. Hans Dieter Heimendahl geantwortet.
Die vollständigen Angaben zu den beiden im Beitrag erwähnten Bänden von Owe Gustavs lauten:
Owe Gustavs: Reichsgottesdienst auf Hiddensee: 1933-1945 – Band 1: Arnold Gustavs - Inselpastor im Dritten Reich: Nationalsozialistisches in pommerschen Kirchenblättern und dem Jahrbuch "Auslanddeutschtum und evangelische Kirche": eine Dokumentation, Edition Andreae Hiddensee, Berlin, 2. Aufl. 2008, 459 Seiten.
Owe Gustavs: Reichsgottesdienst auf Hiddensee: 1933 - 1945 – Band 2: "Unbequeme" Wahrheit : die Diskussion um Arnold Gustavs, Edition Andreae Hiddensee, Berlin, 2014, 103 Seiten.
Owes Bruder Arne Gustavs würdigt den Großvater auf einer eigenen Webseite.
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