Nun hat die Jury die je fünf Nominierten in den Kategorien Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung bekannt gegeben. Was steckt in der Shortlist? Das Urteil von Literaturredakteurin Wiebke Porombka und Sachbuchredakteur Christian Rabhansl fällt durchwachsen aus.
Zur Shortlist meint Literaturredakteurin Wiebke Porombka: "Was vor allem augenfällig ist und wie eine programmatische Entscheidung der Jury erscheint: Unter den Belletristik-Nominierungen ist keiner der Romane, über die in diesem Frühjahr viel gesprochen wurde und die man unter dem Stichwort Identitätspolitik subsumieren könnte. Bücher etwa von Sharon Dodua Otoo oder Mithu Sanyal.
Und auch jenseits dessen wirft die Liste doch größtenteils zusätzliches Licht auf Bücher, die ohnehin im Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung stehen. Christian Krachts 'Eurotrash', Helga Schubert 'Vom Aufstehen' stehen schon auf der Spiegel-Bestsellerliste. Judith Hermanns 'Daheim' wird sicher bald folgen.
Und da ist man dann bei einer Grundsatzfrage, was die Kuratierung einer solchen Liste angeht. Natürlich muss man eigentlich sagen: Es geht, vollends kontextlos, nur um die Qualität einzelner Bücher. Und die sind im Falle dieser fünf Belletristik-Nominierungen ganz hervorragend.
Aber gerade in einer Zeit, in der es neue Bücher und junge Autoren pandemiebedingt so viel schwerer haben als sonst, hätte ich mir schon gewünscht, dass die ein wenig mehr bedacht werden. Friederike Mayröcker etwa ist eine vielfach ausgezeichnete Autorin, die ich natürlich verehre. Aber ich bin mir nicht sicher: Braucht sie eine Leipziger Liste?"
Zur Shortlist meint Sachbuchredakteur Christian Rabhansl: "Eine grundsolide Liste mit fünf guten Büchern, die viele Leserinnen und Leser verdienen. Mir stellt sich trotzdem die Frage: Ergeben gute Bücher automatisch eine gute Liste? Eine Liste von Titeln, die wir jetzt, im Frühjahr 2021, zwingend lesen müssen?
Ich vermisse die Thesen und Themen, die dieses Jahr bestimmen: Bücher zum grassierenden Antisemitismus, wie die Pandemie unsere Gesellschaft gefährdet, zur Rassismus-Debatte, zum Abdriften von Teilen der Bevölkerung in eine geistige Parallelwelt voller Verschwörungen, zum Feminismus und mehr. Bitte nicht missverstehen: Alle fünf Bücher sind gut und haben auf den zweiten Blick dann doch einen Gegenwartsbezug.
In der Zusammenstellung wirkt die Liste auf mich aber allzu zeitlos, als habe sich die Jury ins Grundsätzliche flüchten wollen."
Übersetzung
Ann Cotten – übersetzte aus dem Englischen "Pippins Tochters Taschentuch" von Rosmarie Waldrop
Frank Heibert und Sonja Finck – übersetzten aus dem Französischen (Québec) "Der große Absturz. Stories aus Kitchike" von Louis-Karl Picard-Sioui
Hinrich Schmidt-Henkel – übersetzte aus dem Norwegischen "Die Vögel" von Tarjei Vesaas
Nikolaus Stingl und Dirk van Gunsteren – übersetzten aus dem Englischen "USA-Trilogie. Der 42. Breitengrad / 1919 / Das große Geld" von John Dos Passos
Timea Tankó – übersetzte aus dem Ungarischen "Apropos Casanova. Das Brevier des Heiligen Orpheus" von Miklós Szentkuthy