Gesetzgeber will Pharmakonzerne zügeln
Im ersten Jahr nach der Markteinführung eines neuen Arzneimittels können Pharmafirmen die Preise beliebig festlegen - oft seien diese viel zu hoch, sagen Kritiker. Jetzt will Gesundheitsminister Hermann Gröhe eine Preisbremse einführen.
Allzu lange haben die Pharmafirmen viel Geld kassiert für Innovationen, die gar keine sind, sagt Johann Magnus von Stackelberg, der stellvertretende Vorsitzende des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung GKV.
"Wir identifizieren jetzt diese Scheininnovationen und die bekommen jetzt die gerechten Preise. Aber das Schöne ist auch, wir identifizieren jetzt auch die neuen Arzneimittel, die einen Zusatznutzen für unsere Patienten darstellen. Und hier erreichen wir faire Preise in Verhandlungen."
Zuständig für die Bewertung ist der gemeinsame Bundesausschuss, kurz G-BA, das oberste Organ der medizinischen Selbstverwaltung. Vertreten sind darin Krankenkassen, Kliniken und Ärzteschaft. Über 100 neue Arzneimittel hat der G-BA in den vergangenen fünf Jahren geprüft.
Die Krankenkassen sparen 900 Millionen
Das Ergebnis: Für ein Drittel der Arzneimittel konnte überhaupt kein Zusatznutzen nachgewiesen werden, für viele ein geringer, nur zwei Präparate bekamen die Höchstnote.
Die Folge: Die Preise sinken, die Krankenkassen sparen viel Geld, im vergangenen Jahr 900 Millionen Euro.
Darüber freut sich GKV-Manager von Stackelberg, nicht aber Hartmut Gerbsch, der Geschäftsführer des Bundesverbands der pharmazeutischen Industrie, BPI. Viele Arzneimittel werden zu schlecht benotet, sagt er.
"Da ist zum Beispiel die Frage, ist ein Arzneimittel, das bislang nur als Spritze verfügbar war und jetzt auch als Tablette, also die Einnahme wesentlich erleichtert, ist das eine Verbesserung im Sinne des AMNOG – Klammer auf: nach den heutigen Spielregeln nicht, Klammer zu – weil das AMNOG sagt, die Wirkung ist ja die gleiche. Und da haben wir den Dissens, dass aus unserer Sicht viele Präparate durch das Raster fallen und den Stempel: "kein Zusatznutzen" bekommen, wo wir aber einen sehen."
Überhöhte Preise für Scheininnovationen
Auch GKV-Manager von Stackelberg ist mit dem neuen Gesetz nicht ganz zufrieden. Der Grund: Wenn ein Hersteller ein neues Medikament auf den Markt bringt, dann kann er im ersten Jahr selbst den Preis festlegen, die Kassen müssen bezahlen, selbst dann, wenn das Präparat keinen Zusatznutzen aufweist.
Ein Freifahrtschein für die Hersteller, um selbst für Scheininnovationen zwölf Monate lang überhöhte Preise durchzusetzen, kritisiert Wolf Dieter Ludwig, Chefarzt an einer Krebsklinik in Berlin und Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft:
"Immer dann, wenn kein Zusatznutzen nachgewiesen werden kann, sollte man sich überlegen, ob man den Preis nicht absenkt, nämlich auf das Niveau der Vergleichstherapie. Und zwar vom ersten Tag. Das heißt, der Hersteller müsste das Geld, das er zu viel eingenommen hat, einfach weil er mit überhöhten Preisen in den deutschen Markt gegangen ist, zurückzahlen."
Inzwischen ist auch Gesundheitsminister Hermann Gröhe aufmerksam geworden. Er will eine Preisbremse einführen, um zu verhindern, dass die Pharmakonzerne in den ersten zwölf Monaten allzu schamlos abkassieren. Einen Gesetzentwurf hat Gröhe schon auf den Weg gebracht. Die Idee: Steigt der Umsatz eines Medikaments auf über 250 Millionen Euro im Jahr, soll künftig rückwirkend der Preis gelten, den Kassen und Hersteller ausgehandelt haben.
"Innovationsfreudigkeit und langfristige Finanzierbarkeit gehören zusammen. Und ich glaube, eine solche Umsatzschwelle ist ein guter Beitrag zu einer fairen Balance. Das verhindert, dass die Kosten für Hochpreismedikamente ins Kraut schießen."
Immer höhere Preise durchgesetzt
Warum sollen Medikamente, die großen Nutzen stiften, nicht auch hohe Preise erzielen, fragt dagegen Hartmut Gerbsch und verweist auf das Präparat Sovaldi, ein sehr teures Medikament gegen Hepatitis C, mit dem der US-Konzern Gilead im vergangenen Jahr 495 Millionen Euro Umsatz erzielte:
"Hepatitis ist plötzlich heilbar, das war früher nicht der Fall, die Behandlungszeiten sind kürzer, die Nebenwirkungen wurden massiv reduziert. Und unter dem Strich spart man auch sehr große Kosten bei den Folgebehandlungen, bis hin zu Einsparungen von Lebertransplantationen, sodass man unter dem Strich sagen kann, das rechnet sich auch für das System. Auch wenn es im ersten Jahr sehr hohe Umsätze generiert hat, ist das immer noch ein guter Deal."
Der Arzt und Pharma-Experte Wolf-Dieter Ludwig sieht das ganz anders. Trotz des seit dem 1. Januar 2011 geltenden Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes, kurz ANMOG, gelinge es den Pharmakonzernen immer höhere Preise für neue Medikamente durchzusetzen.
Preisabsprachen zwischen den Herstellern
"Es ist so, dass eigentlich eine Preisabsprache zwischen den Herstellern existiert, die mit den neuen Wirkstoffen gerade in der Onkologie in einen Bereich kommen, der für uns früher undenkbar gewesen wäre. Wir sprechen hier von Jahrestherapiekosten von 50 bis 100.000 Euro pro Patient. Als ich als Arzt in den 80er Jahren begonnen habe, haben wir 50 bis 100 Euro pro Patient ausgegeben."
Das Problem: Die Mittel sind begrenzt. Geld, das wir für Medikamente ausgeben, fehlt vielleicht an anderer Stelle, etwa in der Palliativmedizin, sagt Ludwig.
Wie viel sind uns neue Medikamente wert? Was dürfen sie kosten? Eine gesellschaftliche Frage, die man nicht nur den Verhandlungen hinter verschlossenen Türen überlassen darf, sagt GKV-Verhandlungsführer Johann-Magnus von Stackelberg.