Nach dem Butterberg der Milchsee
In Berlin findet heute ein Milchgipfel statt. Landwirtschaftsminister Christian Schmidt spricht mit Bauern, Molkereien und Handel über die Frage, wie man den Preisverfall bei der Milch stoppen kann. Der CDU-Politiker Oswald Metzger spricht sich trotz aller Probleme gegen staatliche Interventionen aus.
In Berlin geht es heute um die Milch. Landwirtschaftsminister Christian Schmidt spricht mit Bauern, Molkereien und Handel über die Frage, wie man den Preisverfall bei der Milch stoppen kann. Zuletzt bekamen die Bauern weniger als 20 Cent für den Liter. 40 Cent brauchen sie nach eigenen Angaben, um kostendeckend produzieren zu können.
Subventionen, staatliche Kredite und sogar eine Milchsteuer sind in der Diskussion. Der CDU-Politiker Oswald Metzger, stellvertretender Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung, hält von alledem nichts. Es falle ihm schwer, für staatliche Interventionen zu plädieren, sagt er.
Metzger räumt aber ein, dass sich Angebot und Nachfrage auf dem Markt für Milch nicht mehr von allein regeln: Die Landwirte brauchten einen fairen Preis für ihre Leistung.
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: 46 Cent kostet ein Liter Milch im Moment, zumindest, wenn man konventionelle Milch kauft und im Supermarkt oder beim jeweiligen Discounter zur jeweiligen Eigenmarke der Handelsmarke greift. Knapp die Hälfte davon landet am Ende höchstens bei den Milchbauern, und das ist zu wenig. Darüber sind sich alle relativ einig. Nicht ganz so einig sind sie sich dann aber darüber, was man dagegen tun soll.
Darüber wird geredet. Schon in wenigen Stunden beginnt nämlich der sogenannte Milchgipfel. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt hat Vertreter der Milchbauern, der Molkereien und des Handels nach Berlin eingeladen.
Worum wird es da gehen, das ist schon ziemlich sicher, egal, ob es nun ein Ergebnis gibt oder nicht – man wird reden über staatliche Eingriffe, über Subventionen, über erleichterte Kredite, über Steuervorteile und vieles mehr. Ist das jetzt die Lösung – darüber wollen wir jetzt mit dem CDU-Wirtschaftspolitiker Oswald Metzger reden. Er ist der stellvertretende Vorsitzende der Ludwig-Erhard-Stiftung. Schönen guten Morgen, Herr Metzger!
Oswald Metzger: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Lassen Sie mich das mal so zusammenfassen: Die Molkereien sagen, der Handel ist schuld, weil er die Preise drückt. Der Handel sagt, die Molkereien sind schuld, weil sie auf einem Milchsee sitzen, den sie verscherbeln müssen, und die Milchbauern sagen, die Verbraucher sind schuld, weil ihnen die Milch nichts wert ist. Wer ist in Ihren Augen schuld?
Verbraucher greifen im Regal zur billigen Milch
Metzger: Es ist, wie üblich im Leben, eine Mischung von allen Ursachen. Also natürlich stimmt es, dass eine Überproduktion da ist, für die die Bauern verantwortlich sind – keine Frage – und richtig ist auch, dass der Handel natürlich den Milchpreis oft als Benchmark für billig nimmt und die Verbraucher gern, wenn sie in die Regale schauen, natürlich zur billigen Milch greifen.
Insofern ist es natürlich marktwirtschaftlich betrachtet immer schwierig, staatlich zu intervenieren, wenn die Produktionsbedingungen und das Verbrauchsverhalten eigentlich den notwendigen Preis für die Produktion in Deutschland nicht hergeben, aber – jetzt kommt mein Einwand, auch als bewusster Verbraucher – ich finde, Natur und Umwelt und Kulturlandschaft ist ein Gut, das nicht beliebig vermehrbar ist, sondern durch die Bewirtschaftung und von der Bewirtschaftung lebt, und ich möchte kein Land, in dem keine Milchwirtschaft mehr stattfindet, in dem bezahlte Landschaftspflege, frühere Bauern, vom Staat bezahlt werden, damit sie unsere Landschaft erhalten. Das will ich nicht, und das hat einen Preis, den wir auch als Verbraucher zahlen müssen.
Kassel: Ja, aber natürlich wird ein normaler Verbraucher, der 46 Cent zahlen kann für die Milch, nicht, sagen wir mal, 80 für eine konventionelle Markenmilch zahlen, wenn die am Ende auch nicht besser schmeckt. Also was wollen Sie da machen? Zur Bio-Milch greift nun mal nicht jeder.
Metzger: Das ist richtig, obwohl in der Nische sich die Landwirte, die sich dort eingerichtet haben, gut einrichten konnten. Wichtig ist aber auch, dass wir vielleicht aufklären drüber, unter welchen Bedingungen Milch produziert wird, nämlich auch Menschen mit niedrigeren Einkommen sind durchaus dran interessiert, dass Milch auf eine faire Art produziert wird.
Hochleistungskühe sehen selten die Weide
Die meisten Verbraucher lassen sich immer noch von der landwirtschaftlichen Idylle im Kopf ansprechen, von Milchkühen, die auf der Weide sind, Gras und Heu fressen. In Wirklichkeit sieht eine Kuh in ihrem fünfjährigen Leben praktisch außer Soja, Mais und Getreide nichts und ist eine Hochleistungskuh unter Bedingungen, die die Verbraucher erschrecken würden, oder wenn Milchkühen praktisch ihre Kälber am ersten Tag weggenommen werden.
Das sind Dinge, das sind kein Schockbilder, das ist die Realität. Wenn sie das wüssten, wäre ihnen klar, dass man für 46 Cent … praktisch eigentlich ein gutes Produkt nur kriegen kann, wenn fair die Tiere gehalten werden, wenn die Landwirte einen fairen Preis für ihre Leistung bekommen.
Kassel: Man redet immer über die 46 Cent, weil das so einfach und klar ist. Natürlich wird ein Großteil der Milch auch in Milchprodukte umgewandelt und auch Käse, Quark und auch andere Sachen sind im Grunde genommen zu billig.
Aber Herr Metzger, wenn Sie das jetzt sagen und dieses Plädoyer halten für eine eher auch ökologische Landwirtschaft – es sagen ja immer konventionelle Bauern, denen man das vorschlägt, wenn sie seit Jahren schon Probleme haben, sagen, ich kann nicht umstellen auf Bio, denn das dauert Jahre und ist viel zu teuer. Wäre da nicht die Lösung zu sagen, wenn der Staat schon Geld rausrückt, dann für so eine Umstellung und nicht zur Unterstützung der konventionellen Milchwirtschaft?
Metzger: Also, ich bin kein Öko-Papst. Ich glaube, wichtig ist auch für die Erhaltung einer regionalen Milchwirtschaft, dass konventionell wirtschaftende kleinere Betriebe mit der nötigen Fläche, wo die Kuh auch gelegentlich noch eine Weide sieht, dass die durch Einkäufe von Kunden, die dann regionale Produkte bevorzugen, dass die auch einen Vorteil hätten, aber wir haben ja die gesamte Struktur in unserer Marktwirtschaft – das ist ein Problem für mich auch als ordoliberalen Marktwirtschaftler –, haben wir inzwischen immer mehr Menge, auf immer kleinere Monopole von Herstellern reduziert.
Das gilt ja nicht nur für die Landwirtschaft, wo es noch 70.000 Milchbauern gibt, 20.000 sind die letzten sechs Jahre vom Markt verschwunden, und wir hatten in meiner Jugendzeit 200.000 und mehr Bauern. Also dieses Bauernleben ist natürlich ein Phänomen, aber so geht es ja den Bäckern, den Fleischern, insgesamt dem Handwerk im Nahrungsmittelbereich. Auch dort findet eine Monopolisierung statt, und ob die sinnvoll ist, das steht auf einem ganz anderen Blatt.
Deshalb schwanken da bei mir zwei Herzen in einer Brust. Also ich bin Marktwirtschaftler, der glaubt, Nachfrage und Angebot regeln sich normalerweise, doch wir kommen immer mehr in eine Situation, wo sich das eben nicht mehr regelt. Wie Sie das sozusagen mit den gesamten kartellrechtlichen Überlegungen unter einen Hut bringen, also Marktwirtschaft funktioniert nur, wenn die Produzenten sozusagen in einem fairen Preiswettbewerb stehen, wenn Märkte nicht monopolisiert sind.
Kassel: Aber theoretisch. Ich meine Theorie ist immer trocken. Theoretisch müsste das doch einfach sein, wenn ein Hersteller von was auch immer feststellt, ich bekomme dafür weniger Geld als ich ausgeben muss, um es herzustellen, kann er das nicht mehr herstellen. Die Sache ist im Grunde simpel, oder?
20.000 Bauern haben aufgegeben
Metzger: Ja klar, aber, ich meine, so funktioniert es ja auch. Die 20.000, die vom Markt gegangen sind, sind ja überwiegend aus wirtschaftlichen Gründen vom Markt gegangen, und wenn sie Gestehungskosten selbst als Großbetrieb mit 900 Kühen und 500 Hektar, 28 Cent Gestehungskosten haben, und Sie kriegen von der Molkerei zwischen 19 und 23 Cent, ist klar, Sie können nicht ein Geschäft betreiben, wo Sie jeden Tag Geld mitnehmen.
Aber dieser Grundwiderspruch, dass man hier mit Natur, Umwelt, mit Tieren, mit der Kulturlandschaft zu tun hat als Produktionsgut im Vergleich zur Autoproduktion oder was auch immer Sie sehen wollen, das macht es einem so schwer. Da kommt natürlich ein emotionaler Aspekt rein. Wenn man in einer ländlichen Gegend lebt und aufgewachsen ist, da sieht man, was die Landwirtschaft auch für eine Funktion hat für unsere ganzen ländlichen Räume und gehabt hat.
Da jetzt plötzlich für staatlichen Interventionismus zu plädieren, fällt mir schwer, obwohl es mit Sicherheit in der Vergangenheit immer staatliche Eingriffe gab. Die Bauern haben nie gelernt, über Jahrzehnte hinweg, mit Marktwirtschaft umzugehen.
In der alten EU-Politik der 60er- und 70er-Jahre gab es Interventionspreise. Man hat zu festen Preisen aufgekauft von der EU. Wenn man viel produziert hat, hat man gewusst, ich kriege mehr, und das hat dann Milchseen produziert, Exportsubventionen, damit man die Überschussproduktion dann in die Drittweltländer verschickt hat. Diesen Mechanismus, den haben offensichtlich viele Bauern inhaliert. Wenn sie weniger produzieren würden, wäre es gut, aber gleichzeitig das Russland-Embargo, die mangelnde Nachfrage aus China – klar, das hat natürlich Probleme gebracht, die andere Branchen auch haben.
Kassel: Ich möchte jetzt einmal noch ein Wort sagen, das uns beiden auf den Lippen liegt, und wir haben es vermieden: Butterberg. Wir sind alt genug, um uns zu erinnern, jetzt haben wir einen Milchberg, wobei das nicht funktioniert mit Flüssigkeiten. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch, auch wenn wir keine Lösung gefunden haben, aber da können wir, glaube ich, unken, die werden die heute beim Milchgipfel vermutlich so richtig auch nicht finden.
Metzger: Agrar-Sozialprogramm werden sie beschließen – ein bisschen Sterbehilfe durch staatliche Beihilfen.
Kassel: Warten wir es ab. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch, Herr Metzger!
Metzger: Bitte schön, Herr Kassel!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.