Rimini Protokoll inszeniert Überwachungsstaat
"Top Secret International (Staat 1)", das neue Projekt der Theatergruppe Rimini Protokoll ist eine Art interaktiver Besuch im Netz der multimedial verwobenen Geheimdienste. Allerdings beeindruckt hier viel mehr der Erlebnischarakter als dass eine mögliche Erkenntnis oder Aufklärung winkt.
"Schützt Dich der Geheimdienst oder musst Du Dich vor ihm schützen?", fragt einmal die Stimme auf dem Kopfhörer. Auf diese Frage aber gibt es keine saubere Antwort.
Selbst einer wie Gerhard Schinderl, Ex-Präsident des Bundesnachrichtendienstes, sagt, Nachrichtendienst sei ein schmutziges Geschäft. Und Schindler ist einer der Experten, die in voraufgezeichneten Statements über Kopfhörer zum Publikum sprechen, darunter auch Geheimdienstler, Anwälte, Investigativ-Journalisten, Politiker…
Jeder wird nur von einer Computerstimmer gelotst
Schauplatz ist die antike Skulpturensammlung Glyptothek in Münchnen. Die Fiktion: Die Zuschauer sind potentielle Agenten, die undercover durch die Museumsräume streifen und sich dabei wechselseitig beobachten. Eine computergenerierte Frauenstimme wie aus dem Navigationsgerät lotst jeden einzelnen individuell. Jeder Zuschauer ist mit eine Art Peilsender ausgestattet. So wird er durchs Museum gelenkt. Das ist mehr als Spielerei. Das Thema Überwachung wird so für den Zuschauer am eigenen Leib erlebbar.
Natürlich wissen wir in der Theorie alle, dass wir mittels unserer eigenen Handys leicht zu orten sind. Hier aber wird die oft nur als abstrakt erlebte Bedrohung konkret nachvollziehbar: Big Brother is Watching You. Zwei Beispiele: Will man vorzeitig von einem Raum in den nächsten wechseln, pfeift einen die Navi-Stimme zurück. Und gegen Ende des Rundgangs bekommt man auf einem Bildschirm den eigenen aktuellen Standort auf einem Museumsgrundriss eingeblendet - mittels eines persönlichen Portraitfotos, von dem man gar nicht mitbekommen hat, wie es geschossen wurde. Eine unheimliche Erfahrung.
Viel Ablenkung und wenig Auseinandersetzung
Und doch sind den Erfahrungen, die man als Zuschauer in "Top Secret International" machen kann, Grenzen gesetzt. Dieser "interaktive Besuch im globalen Netz der Geheimdienste", wie Rimini Protokoll die Produktion im Untertitel selber nennen, will dem Zuschauer ja ein Eintauchen ins Geschehen ermöglichen. Doch der Erlebnischarakter führt nicht zwingend bei jedem Zuschauer zu einer tieferen Reflexion. Dauernd wird man aufgefordert, irgendwo hinzuschauen, hinzugehen. Das erfordert so viel Konzentration, dass man den Aussagen der oft hochkarätigen Experten meist nur oberflächlich folgen kann. Bedauerlich. Die Chance richtig zuzuhören lässt einem "Top Secret International" leider nicht.