"Constellations" am St.Pauli-Theater noch vom 27. November bis 30. November, vom 23. Februar 2015 bis 28. Februar 2015 und am 01. März 2015
Ein Stück zum Schwindligwerden
Wilfried Minks inszeniert in Hamburg "Constellations" von Nick Payne. Und er begeistert damit: ein sparsames Multiversum der Möglichkeiten.
Nachdem der "letzte Schrei" unter Autorinnen und Autoren im Theater lange die "Dekonstruktion" war, also die radikale Auflösung von Rollen und Strukturen im Theater-Text, ist derzeit eine andere Entwicklung zu beobachten – verschärftes Augenmerk wird wieder auf die besonders intelligente, ja trickreiche Struktur von im Grunde ganz konventionellen Stücken gelegt.
Die Französin Yasmina Reza etwa erregte viel Aufmerksamkeit mit "Dreimal Leben" – in drei verschiedenen Versionen erzählte sie in diesem viel gespielten Stück ein- und dieselbe Geschichte; mit immer neuem Schluss. Der Engländer Nick Payne geht noch weiter: "Constellations" besteht fast ausschließlich aus immer wieder variierten Miniatur-Szenen; das Stück könnte in jedem Moment eine andere Richtung einschlagen. Der Erfolg in London war groß im vorigen Jahr, jetzt zeigt als erste deutsche Bühne das St.Pauli-Theater in Hamburg die deutsche Fassung, inszeniert vom Altmeister Wilfried Minks.
Die Französin Yasmina Reza etwa erregte viel Aufmerksamkeit mit "Dreimal Leben" – in drei verschiedenen Versionen erzählte sie in diesem viel gespielten Stück ein- und dieselbe Geschichte; mit immer neuem Schluss. Der Engländer Nick Payne geht noch weiter: "Constellations" besteht fast ausschließlich aus immer wieder variierten Miniatur-Szenen; das Stück könnte in jedem Moment eine andere Richtung einschlagen. Der Erfolg in London war groß im vorigen Jahr, jetzt zeigt als erste deutsche Bühne das St.Pauli-Theater in Hamburg die deutsche Fassung, inszeniert vom Altmeister Wilfried Minks.
Gott, oder wenigstens Venus, würfelt halt doch und setzt zum Beispiel eine Quantenphysikerin und einen Imker aufeinander an. Sie lernen einander beim Barbecue kennen, und außer Plattitüden haben sie zunächst nicht viel zu sagen; zumal sie vorzugsweise in Theorien grübelt – Relativität hie, Quanten da. Schon da schwirrt dem Imker der Kopf; und womöglich denkt er ja auch eher nur an "das eine", eben an die Sache mit den Bienen und den Blumen ...
Eine Art quantenmechanisches Multiversum
Nick Paynes Stück lässt ihn (wie patent auch immer er die Sache mit dem Öko-Honig betreibt) eine ganze Weile vor allem staunen über die junge Frau aus dem Physik-Institut an der Uni; und deren strukturelles Denken aber überträgt der Autor nun auf das Stück: in einer Art "quantenmechanischem Multiversum" aus lauter Parallel-Universen ist hier alles möglich – durch ziemlich viele dieser Parallel-Universen treibt er Szene um Szene, jede für sich. Etwa, wenn er, der Im-ker, der Physikerin später den lang erwarteten Heiratsantrag macht – erst hat er ihn sich vorsichtshalber aufgeschrieben, dann (zweite Variante) hat er den Zettel zu Hause vergessen, und schließlich kommt er (drittens) im freien Vortrag nicht wirklich voran und auf den Punkt - und klagt, dass er sich das alles doch bloß hätte aufschreiben sollen ...
So geht das ununterbrochen. Schon der Beginn (das Kennenlernen beim Barbecue) beinhaltet auch die Option, dass er und sie einander ganz und gar uninteressant finden könnten, um aber die Story selber in Gang zu halten, kommen sie dann doch zueinander; natürlich mit sehr unterschiedlichen Strategien und Geschwindigkeiten. Sie verlieren einander wieder, denn in ihr rumort etwas Unausgesprochenes, eine Unruhe, vielleicht eine Krankheit; ihre Mutter ist schon sehr lange sehr krank. Von Sterbehilfe ist die Rede, ganz kurz. Vom Aufhören.
Zusammengeführt durch einen Tanzkurs
Dann aber, noch so ein Zufall wie zu Beginn, führt ein Tanzkurs die beiden wieder zusammen, und jetzt richtig, Ehe-Option inklusive. Zugleich aber erweisen sich die Wortfindungsschwierigkeiten, unter denen sie von Beginn an litt, als Zeichen eines Tumors im Kopf: nur noch ein Jahr hat sie; mit oder ohne Operation. Jetzt denkt sie daran, selber den Schlusspunkt zu setzen. Ende offen. Logisch – im Multiversum der Möglichkeiten ...
Ein Stück zum Schwindligwerden ist das - schon für uns, das Publikum; erst recht aber für Judith Rosmair und Johann von Bülow, die in rasendem Tempo Spielweisen und Haltungen wechseln müssen, von Augenblick zu Augenblick, von Parallel- zu Parallel-Universum. Und schließlich muss die Inszenierung diesem Abenteuer ja gewachsen sein. Nun ist in Hamburg die sichere Hand des Regisseurs Wilfried Minks zu bestaunen, der letzte Zeuge des großen Theater-Auf- und -Umbruchs der 60er Jahre, an Peter Zadeks Seite, ist 84 geworden in diesem Jahr. Und hellwach bleibt er den filmschnittschnellen Perspektivwechseln in Paynes Versuchsanordnung auf der Spur. Für das Spiel des Paares ist, ganz sparsam, ein Klapp-Sofa reserviert; dahinter aber läuft eine Art mathematisch-physikalisches, vor allem aber bühnenhohes Rad sehr langsam von rechts nach links - eine wissenschaftliche Figur, ein Signet des Stücks wie der Welt, abstrakt und beunruhigend.
Der Erfolg für Payne ist absehbar – das Deutsche Theater in Berlin folgt im Januar diesem Hamburger Start, und weitere Auseinandersetzungen mit diesen "Constellations" werden sich allemal lohnen. Minks am Beginn aber war das Beste, was Stück und Autor passieren konnte.