Gespenstische Zwischenwelt
Die Kritiker streiten über Kriegenburgs Inszenierung des israelischen Autors David Grossmann und der zukünftige Chefdirigent der Münchner Philharmoniker gerät wegen Putins Anti-Schwulen-Gesetz unter Druck.
"Der Regisseur Andreas Kriegenburg, vom dem jahrelang Großes zu erhoffen war, scheint sich ziemlich dauerhaft ins Schattenreich der Ex-Genies verflüchtigt zu haben." Dieser Satz ist in der Tageszeitung die WELT zu lesen.
Andreas Kriegenburg hat am Deutschen Theater in Berlin den Text „Aus der Zeit fallen“ des israelischen Autors David Grossmanns inszeniert. Leider versteckt sich der Autor dieser ausführlichen Kritik in der WELT hinter dem Kürzel M.H., und so wissen wir leider nicht genau, wer dort Sätze wie diesen abfeuert: "So war das Allertraurigste an dieser Trauertragödie wieder mal der Schmerz, einen weiteren Großmeister des Theaters verloren zu haben."
Was sich in der WELT noch so liest: "Sehr häufig müssen sich die Akteure durch schwarze Plastikfolie durchboxen, sich darin einwickeln oder sie in Stücke reißen – ungefähr wie auf der Weihnachtsfeier in einem Fetischclub", das klingt in der Wochenzeitung DIE ZEIT schon ganz anders: "Diese gespenstische Zwischenwelt besteht im Deutschen Theater aus Massen an Plastikfolie. Das Material schimmert wie der Leib eines Fisches, Bühnenarbeiter spannen Bahnen durch den Raum, in denen sich die Spieler verfangen. Sie sind nicht bloß aus der Zeit gefallen, sondern befinden sich im fortwährenden Fall."
Das Werk durch die Inszenierung vollendet
Nina May hat sich für die ZEIT diese Kriegenburg Inszenierung angesehen und ist von dem dramatisierten Prosatext Grossmanns, in dem es um den Tod des eigenen Sohnes geht, sehr angetan. David Grossmann selbst, dessen Sohn Uri 2006 im Libanonkrieg fiel, kommt in der ZEIT auch zu Wort: "Andreas hat mein Werk erst vollendet. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass es gespielt werden muss. Ich habe die Menschen beim Schreiben sprechen gehört."
Im Jahr 2015 soll Valery Gergiev Chefdirigent der Münchner Philharmoniker werden. Schon jetzt soll sich der Russe von Putins Anti-Schwulen-Gesetzgebung distanzieren. Auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz, auf der auch Eleonore Büning von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG war.
Gergiev verteidigte Putins Gesetz. Er gab zu Protokoll: Das Wort Homosexualität komme darin gar nicht vor; die Gesetzgebung sei vielmehr als Schutz vor Pädophilie gedacht. Sie verbiete "nichttraditionelle Lebensformen" und untersage es, Kinder damit zu behelligen. "Mit Kindern sollte man eher über Puschkin und Mozart sprechen." Und da schallte es ihm entgegen: "Und Tschaikowsky?" Auf diese Frage mag Gergiev nicht antworten und Eleonore Büning erklärt: "Peter Iljitsch Tschaikowsky ist nur der prominenteste Fall eines russischen Künstlers, der als Homosexueller unter gesellschaftlicher Ächtung litt, der verfolgt und in seinem Schaffen behindert wurde."
Valery Gergiev hat nun aber einen Brief an den Münchner Kulturreferenten geschrieben und versichert, dass er sich an die Anti-Diskriminierungs-Richtlinien der Stadt halten will.
Verwertung des fiktiven Personals
Für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG berichtet Thomas Steinfeld aus Schweden, von einem schweren Fall der Pietätlosigkeit. "David Lagercrantz wird nun, nach dem Willen der Familie des im Herbst 2004 gestorbenen Schriftstellers Stieg Larsson, dessen 'Millennium' genannte Reihe von Kriminalromanen fortsetzen - von den ersten drei, mittlerweile doppelt verfilmten Büchern waren weltweit mehr als 70 Millionen Exemplare verkauft worden."
Bei diesen Verkaufszahlen sind zumindest die Beweggründe klar, auch wenn sich der Ghostwriter Mühe gibt, andere zu formulieren: "'Wir sind der Meinung, dass die Charaktere Blomkvist und Salander unerhört lebenstauglich sind', erklärt David Lagercrantz. 'Sie verdienen es zu leben.' Dann vergleicht er die Protagonisten der drei Romane mit Spiderman, Peter Pan und James Bond."
Das ist natürlich Unfug, und so sollen die letzten Worte hier auch jemand anderem gehören: "Die ehemalige Lebensgefährtin Stieg Larssons, die über den Zugang zum letzten, Fragment gebliebenen, Manuskript verfügt, spricht nun von Gier und erklärt, der Autor selbst hätte eine solche Verwertung seines fiktiven Personals nie gebilligt."