"Krasnojarsk: Eine Endzeitreise in 360°"
Schauspiel Graz
(verfügbar nur im Grazer Stadtgebiet ab 16. Februar 2021)
"Die Recherche-Show"
Volkstheater Wien
Livestream-Termine bis 28. Februar 2021
Auf der Suche nach Spuren der Menschheit
10:19 Minuten
In Graz hatte das Endzeitdrama "Krasnojarsk" seine Online-Premiere - als Virtual Reality-Film für das Publikum zu Hause. Das Wiener Volkstheater streamte investigativen Journalismus über den Konzern Red Bull als Theater-Show.
Seinen Start als Direktor des Wiener Volkstheaters hat sich Kay Voges sicher anders vorgestellt. Ganz unpassend ist es aber nicht, dass der Meister des Digitalen im Theater seine erste Premiere aus Wien nun streamt.
"Die Recherche-Show" ist außerdem ein interdisziplinärer Versuch, Theater und Investigativjournalismus zusammenzubringen. Die Reporter des Magazins "Dossier" haben ihre neue Ausgabe, die am Tag der Premiere erschienen ist, dem Salzburger Milliardenkonzern Red Bull gewidmet.
Legenden und Steuertricks von Red Bull
Das Imperium des Dietrich Mateschitz, das neben dem Flügel verleihenden Energy-Drink auch einen Fernsehsender, diverse Sportveranstalter und Printmedien umfasst, ist mythenumrankt und wenig erforscht. Mateschitz gibt kaum Interviews, auch seine Mitarbeiter nur hinter vorgehaltener Hand.
Während "Dossier" also Tricks mit Steuern und weggelassenen Warnhinweisen aufdeckt, widmet sich die Inszenierung von Ed. Hauswirth (Der Name ist genauso richtig!) eher allgemein der Firmengeschichte und den größtenteils bekannten Legenden rund um Mateschitz und Red Bull. Einige der 3.600 Wort- und Bildmarken, die der Konzern sich schützen ließ, werden in ein Lied verpackt, und für die elf beim Red-Bull-Extremsport ums Leben gekommenen Athleten verliest Martina Zinner ein Gedicht.
Rupert Lehofer übernimmt die Rolle des leichtgläubigen älteren "White Dude", der ob der vielen in Österreich geschaffenen Arbeitsplätze nur ungern Kritik an dem Unternehmen zulässt. Diese beiden und die launige Moderatorin Pia Hierzegger gehören der Grazer Gruppe "Theater im Bahnhof" an, aus dem neuen Volkstheater-Ensemble stößt Julia Franz Richter hinzu. Einer der Rechercheure von "Dossier" wird in den Zoom-Call zugeschaltet und wirbt für den Kauf des Magazins.
Dessen Komplexität erreicht "Die Recherche-Show" zwar nicht, doch schafft sie auf dem Weg der Satire, einen Eindruck von der ambivalenten Rolle des Konzerns in Österreich und der Welt zu vermitteln. Vor allem die coronabedingte Verlegung der Live-Show ins Netz wird dem Format gerecht: Was aussieht wie eine Fernsehshow und klingt wie eine Fernsehshow, darf ruhig eine Fernsehshow sein. Der Zwischenschritt über das Medium Theater wurde hier einfach elegant übersprungen.
Postapokalyptische Fantasie zu Hause
Auch die zweite österreichische "Premiere" des Tages hat mit Theater nur insofern zu tun, als dass der mit 360-Grad-Kameras gedrehte Film "Krasnojarsk" auf einem Stück des Norwegers Johan Harstad beruht und vom Schauspielhaus Graz mit dessen Ensemblemitgliedern gedreht wurde. Geliefert wird er dem Publikum in Graz per Fahrradboten in Form von Virtual-Reality-Brillen, die sie in eine dystopische Zukunftswelt versetzen, in der ein namenloser Anthropologe Spuren der Menschheit sucht.
Dass die Geschichte reichlich konfus ist, die Architektur der postapokalyptischen Fantasie nicht hinreichend erklärt wird, ist letztlich egal: Spektakuläre Bildüberblendungen und das noch völlig ungewohnte Erlebnis von 360-Grad-Filmen, in denen man die Perspektive selbst wählen kann, machen "Krasnojarsk" zu einem aufregenden Erlebnis – und das zu Hause im Bürostuhl.
Ein Trost für das deutsche Publikum: Wenn die Grazer Intendantin Iris Laufenberg das Deutsche Theater übernimmt, bringt sie ja vielleicht ein paar von den Brillen mit. Vielleicht ist VR bis dahin aber auch schon der neue Standard – wer weiß?