Wie vorgefertigte Klänge die Popmusik verändern
Das Intro von Michael Jacksons Hit "Beat it" scheint einzigartig, und stammt doch - aus einem Synthesizer. Seit den 1970er-Jahren nutzen Musiker von Designern vorgefertigte Sounds, sogenannte Presets. Lässt das mehr Raum für Kreativität, oder sorgt es für immer mehr Musik von der Stange?
So gut wie jeder kennt die Akkorde aus dem Intro von "Beat it" von Michael Jackson. Kennt man diesen Klang noch aus einem anderen Zusammenhang? Eigentlich nicht. Man könnte meinen, er sei in mühevoller Handarbeit an irgendeinem Synthesizer designt worden. Aber nein, es ist ein Preset aus dem Synclavier, einem damals sündhaft teuren Synthesizer. Produzent Quincy Jones hat sich also keine große Mühe gegeben, wie viele seiner Kollegen in den 1980er-Jahren, als Presets in Mode kamen.
Der japanische Hersteller Yamaha bringt 1983 den Synthesizer DX7 auf den Markt. Es ist nicht nur einer der ersten Synthesizer, der Klänge abspeichern kann - in der analogen Ära der Synthesizer musste jeder Klang umständlich per Hand neu eingestellt werden, jetzt genügt ein Tastendruck -, der DX7 ist auch der erste Synthesizer, der sich vor allem über seine Presets definiert. Das sind vom Hersteller voreingestellte Klänge. Der DX7 lieferte eine völlig neue künstliche Klangwelt. Robert Henke ist elektronischer Musiker und erforscht seit seiner Jugend die Welt der synthetischen Sounds.
"Da ist ein Slapbass dabei oder irgendwelche Röhrenglocken oder irgendein Rhodes Piano – und der Synthesizer wird sofort damit definiert. Ich spiel jetzt halt das Rhodes vom DX7."
Der DX7 mit seiner typischen metallischen Anmutung prägt wie kein anderer Synthesizer den dekadenten Mainstream-Pop der 80er-Jahre. Ob Al Jarreau, Whitney Houston, Chicago, a-ha oder Howard Jones, sie alle wühlen sich durch seine Preset-Bänke und bedienen sich ungeniert.
Etwa zur selben Zeit suchen in Chicago junge mittellose Produzenten nach einem Weg, mit möglichst wenig Geld R'n'B- und Disco-Hits zu fabrizieren. Sie stoßen in den Second-Hand-Shops auf Bass-Synthesizer und Drumcomputer der Firma Roland, die für ein Spottgeld verscherbelt werden, weil professionelle Musiker nichts mit ihnen anfangen können.
Heute sind diese Geräte sündhaft teuer und legendär, denn mit ihnen wurde in der Folge House und Techno erfunden. Einer der vielen unbeabsichtigten Unfälle in der Musikgeschichte.
Klassische Tonstudios mehr und mehr obsolet
Stefan Goldmann ist bis heute fasziniert. Er hat das Buch "Presets – Digital Shortcuts to Sound" geschrieben. In mehreren Interviews mit Programmieren, Produzenten und Musikern geht er darin der Bedeutung von Presets auf die gegenwärtige Musikproduktion nach.
"Die Firma Roland hat 30, 35 Jahre gebraucht, um zu verstehen, was sie da eigentlich fabriziert haben. Sie dachten, sie haben eine veritable Kontrabass-Emulation auf den Markt gebracht mit der 303. Es gibt nichts, was weiter entfernt ist von einem Kontrabass als der 303-Bass-Sythesizer. Er klingt nach Vogelstimmen, nach menschlichen Stimmen mit zugehaltener Nase, aber nicht nach einem Kontrabass. Und dann gibt es die Drummachines 808 und 909, wo man sich auch so dachte, das sind Klänge für Alleinunterhalter an einer Bar, wo man vielleicht Jazz spielt. Aber es gibt keine brutalere Kickdrum als die 909-Kickdrum. Also völlig vorbei an der Zielgruppe, die man sich imaginiert hat."
Robert Henke: "Das war halt, was man technisch damals als sehr krude Abstraktion schaffen konnte. Und das Lustige ist rückblickend, dass die Abstraktion in ihrer Simplifizierung so gelungen ist, so historisch einmalig gelungen ist, dass sie im Grunde alle Versuche, ein bestehendes Schlagzeugkit abzusampeln, überlebt hat. Da liegt eine große Befreiung drinnen, in dieser holzschnittartigen Darstellung."
Auch deswegen wurden klassische Tonstudios ab den 1980er-Jahren mehr und mehr obsolet. Ein Drumcomputer ist billig, wiegt nichts und liefert zuverlässig immer das, was er soll. Auch Hip-Hop und Pop-Produzenten griffen mehr und mehr auf die simplen Drum-Sounds zurück.
Seitdem wurden die sehr simplen Drumcomputer von Synthesizern und vor allem von Musiksoftware abgelöst, die heute mit gigantischen Preset-Bibliotheken auf den Markt kommen. Ein Produzent kann aus unendlich vielen unterschiedlichen Bass-Drums auswählen. Spezielle Synthesizer-Klänge wie Flächen sind heute sehr komplex, weil die dafür nötige Rechnerleistung heute jeder gewöhnliche Personal Computer PC liefert.
Die Entwicklung dieser Presets ist allerdings aufwendig und anspruchsvoll, erklärt Robert Henke, Mitbegründer der Musiksoftware-Firma Ableton:
"Presets herstellen ist genau so ein Thema wie Instrumentenbau, das ist hochspezialisiert. Ich muss mich zum Beispiel auskennen mit zeitgemäßer Hip-Hop- und R'n'B-Produktion in den USA, um für diesen Markt akzeptable Klänge herstellen zu können. Da herrscht eine Ästhetik, eine bestimmte, also brauchst du auch jemand, der sich in dem Bereich auskennt."
Die unendlichen technischen Möglichkeiten richtig anwenden
Das gilt ebenso für die Klänge von Kino-Soundtracks oder für die Simulation ungewöhnlicher Instrumente. Ein für uns exotisches orientalisches Blasinstrument ist etwa auf dem Balkan sehr gebräuchlich. Um so ein Instrument als Preset zu imitieren, benötigt der Sound-Designer sehr genaue Kenntnisse – ebenso wie die Fantasie um sich vorzustellen, wie sich dieser Klang in drei bis fünf Jahren in der Musikproduktion einsetzen lässt. Eine Art Vorahnung kommender Trends, wie sie auch Modedesigner haben müssen.
Presets sind heutzutage aus den professionellen wie aus den Heimstudios nicht mehr wegzudenken. Es gibt unter manchen Produzenten den Ethos, dass nur ein handgemachter Klang künstlerisch wirklich befriedigend sei. Wenn Stefan Goldmann seine eigene Musik produziert, gilt das nicht mehr:
"Ich kann dadurch mehr Aufmerksamkeit auf andere Aspekte legen, wo ich denke, Musik könnte davon profitieren, wenn ich mich von dieser Sounddesign-Fixierung ein bisschen lösen kann. Man kann dadurch täglich was Neues entdecken, weil sich die Hauptaufgabe verlagert hat. Es ist ein bisschen wie ein Auto mit automatischer Steuerung, wo man nicht mehr nach vorne auf die Straße schauen muss, und plötzlich kann man aus der Bewegung mit dem Auto ganz andere Erlebnisse ziehen."
Ein moderner Stil wie Electronic Dance Music aus den USA, kurz EDM, wäre kaum denkbar ohne bestimmte Programme, die genau die überfetten Klänge liefern, die diese Musik braucht. Wer diese Klänge selber herstellen wollte, wäre damit monatelang beschäftigt.
Für Stefan Goldmann vollzieht sich hier ein ungleicher Kampf gegen die Industrie der nicht zu gewinnen ist. Die technischen Möglichkeiten, sie sind heute unendlich. Sie richtig anzuwenden, ist die neue Aufgabe an den modernen Produzenten.