Pressefreiheit

Die gefährliche Arbeit von Journalisten in Belarus

08:40 Minuten
Eine Zeitung, verbreitet von der Tell the Truth-Bewegung des oppositionellen belarussischen Kandidaten Andrei Dmitriev vor der Wahl im Jahr 2020.
Eine Zeitung, verbreitet von der "Tell the Truth"-Bewegung des oppositionellen belarussischen Kandidaten Andrei Dmitriev vor der Wahl im Jahr 2020. © Getty Images / Tanya Kapitonova
Jan-Henrik Wiebe im Gespräch mit Katja Bigalke |
Audio herunterladen
Im Ranking der Pressefreiheit stand Belarus schon vor dem mutmaßlichen Wahlbetrug durch Präsident Lukaschenko auf Platz 153 von 180 Staaten. Nun ist die Arbeit für Journalisten noch schwieriger. Was los ist, erfahren Belarussen aus Telegram-Gruppen.
Es gibt den starken Verdacht, dass es in Belarus massiven Wahlbetrug gegeben hat. Präsident Lukaschenko will weiterregieren, obwohl er – so die Organisation "Reporter ohne Grenzen" – nur 10 Prozent der Stimmen erhalten hat, während seine Herausforderin Svetlana Tikhanovskaya auf 70 Prozent der Stimmen gekommen sein soll. Seitdem gibt es in dem Land Proteste auf den Straßen und Gewaltexzesse durch die Polizei. Die Berichterstattung über solche Themen war in Belarus noch nie leicht, doch die Lage für Journalistinnen und Journalisten ist inzwischen noch schwieriger geworden.

Unser Reporter Matthias Finger hat mit Journalistinnen und Journalisten in Belarus gesprochen, um einen Überblick über die Lage vor Ort zu bekommen. In den Telefonaten erlebte er dramatische Geschichten von Selbstzensur und Angst vor der Regierung.

Auf Twitter hat sich der freie Journalist Jan-Henrik Wiebe als Quelle für Informationen aus Belarus etabliert. Er ist Teil des Rechercheteams von funk und Mitglied bei Libereco, einer Menschenrechtsorganisation mit Fokus Belarus und Ukraine. Wiebe hat in Minsk studiert, spricht die Sprache und hat immer noch direkte Kontakte ins Land, die ihm Informationen zukommen lassen, die er dann auf seinem Twitteraccount veröffentlicht. Mit uns hat er über seine Perspektive auf die Situation in Belarus gesprochen.

Fürs Internet nach Litauen

Katja Bigalke: Sie beobachten die Lage jetzt seit den Wahlen in Belarus. Wie läuft die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten in dem Land?
Jan-Henrik Wiebe: Ich weiß von Kollegen, dass es vor Ort sehr schwer ist. Mir hat einer erzählt, dass er weder Bilder noch Videos versenden kann. Er kann seine Redaktion in Deutschland über SMS und Anrufe erreichen. Das schränkt natürlich extrem ein. Man kann nicht mehr einfach seinen Text verschicken, sondern muss kreativ werden. Sie sind dann zur litauischen Grenze gefahren und haben dort das litauische Handynetz genutzt. Aber das ist etwa eine Stunde Fahrt zur Grenze und dann wieder zurück. Das raubt viel Zeit, die man auch auf der Straße in Minsk verbringen könnte, um die Proteste zu beobachten.
Bigalke: Und wie sieht es mit den inländischen Journalisten aus? Also sind die Bedrohung ausgesetzt oder werden unter Druck gesetzt?
Wiebe: Sie sind nicht nur aktuell, sondern auch schon davor massiven Bedrohungen ausgesetzt gewesen. Die müssen gucken, was sie sagen. Manche sind da ein bisschen vorsichtiger, andere sind offener. Die besonders Offenen sind bei Sendern angestellt, die im Ausland sitzen und auch vom Ausland finanziert sind. Dort haben sie ein bisschen mehr Rückhalt. Aber die, die ihre Redaktion nur in Belarus haben, sind sehr vorsichtig.

Telegram ist zur wichtigen Nachrichtenquelle geworden

Bigalke: Und wie machen Sie sich ein Bild von der Situation vor Ort?
Wiebe: Vor allem Telegram, denn das nutzen auch sehr viele Belarussen. Das ist eine sehr gute Möglichkeit, um einen Bild zu bekommen von der Situation vor Ort. Man darf auf keinen Fall alles glauben, was dort geteilt wird, wie in allen anderen sozialen Medien auch. Aber man bekommt schon einen gewissen Eindruck, was vor Ort abgeht.
Bigalke: Es taucht auch immer wieder der Begriff "Nexta" auf. Was steckt dahinter?
Wiebe: "Nexta" ist ein Telegram-Kanal mit Sitz in Polen. Der wird von einem belarussischen oder mehreren belarussischen Aktivisten und Journalisten betrieben, die dort Nachrichten und Informationen verbreiten – vor allem Videos und Bilder. Am Anfang der Proteste hatten sie weit unter einer Million Abonnenten und jetzt sind sie schon bei zwei Millionen. Sie verbreiten Videos, die sie selber in regional Kanälen auf Telegram finden, setzen ihr eigenes Logo drauf und verkaufen das so ein bisschen als ihr Material. Aber es gibt auch Videos, die sie exklusiv haben und die nicht vorher geteilt wurden. Diese Mischung macht es für die Leute spannend, weil sie dort mehr oder weniger geprüfte Informationen bekommen. "Nexta" teilt auch nicht jedes Gerücht und wenn sie falsch liegen, veröffentlichen sie auch eine Korrektur.

Der meiste Journalismus findet online statt

Bigalke: Gibt es denn vor Ort in Belarus eine funktionierende Medienlandschaft?
Wiebe: Also von "Medienlandschaft" würde ich jetzt nicht sprechen. Es gibt ein paar kleine Leuchttürme, beziehungsweise einen großen. Das ist "tut.by". Die Seite gibt es schon seit vielen Jahren und ist vergleichbar mit Medien in Deutschland wie Zeit Online oder Spiegel Online, wo ganz normale Nachrichten erscheinen. Die sind sehr neutral.
Aber außerhalb von "tut.by" kommt da wenig. Entweder sind sie dann sehr klar der Opposition zuzuordnen, oder sie sind staatliche Propagandamedien. Es gibt staatliche Fernsehsender, staatliche Zeitung, staatliche Radiosender. Aber auch bei der Opposition, beziehungsweise bei kritischen Medien gibt es einen Fernsehsender, "Bellsat". Dann gibt es "Radio Free Europe", "Radio Liberty" und natürlich auch ganz viele Onlinemedien. Online spielt sich das meiste ab, würde ich sagen.
Bigalke: Aber viele von diesen Onlinemedien werden im Ausland gemacht?
Wiebe: Genau.

Internetseiten oppositioneller Medien werden geblockt

Bigalke: Es gibt ja auch immer wieder Probleme mit dem Internet. Das wird zwischendurch einfach mal abgeschaltet. Aber es gibt keinen kompletten, andauernden Blackout. Wie sind denn die technischen Gegebenheiten vor Ort?
Wiebe: Also eigentlich war das Internet in Belarus sehr weit verbreitet. Als ich dort meine Auslandssemester gemacht habe, gab es in jedem Café WLAN. Es auch war total normal, dass das dort umsonst angeboten wurde und es wurde von den Menschen sehr intensiv genutzt. Alle hatten damals schon Smartphones, sogar mehr als bei uns zu der Zeit. Aber aktuell ist es so, dass es diese Deep Packet Inspection gibt, wo – ähnlich wie bei der chinesischen Firewall – alles blockiert wird, was dem Staat verdächtig vorkommt. Auch die Internetseiten von oppositionellen Medien werden geblockt. Selbst aus dem Ausland sind sie nicht mehr zu erreichen.
(hte)
Mehr zum Thema