Kommentar zur Pressefreiheit

Exil-Journalismus gehört zur neuen Medienwirklichkeit

04:25 Minuten
Eine männliche Figur mit der Aufschrift "Presse" auf der Brust liegt auf dem Boden.
Nicht nur in Russland riskieren Journalisten ihre Freiheit oder ihr Leben, wenn sie kritisch berichten © picture alliance / ZUMAPRESS.com / Sachelle Babbar
Ein Einwurf von Angelina Davydova |
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Seit Beginn des Ukrainekriegs haben viele russische Journalisten ihr Land aus Angst vor Repressionen verlassen. Doch Russland ist kein Einzelfall, sagt Angelina Davydova. Exiljournalismus sei ein wichtiger Faktor in der heutigen Medienwelt geworden.
Mein Name ist Angelina Davydova. Bis März 2022 lebte und arbeitete ich als freie Journalistin in St. Petersburg, Russland, ich schrieb für russische und internationale Medien und moderierte auch eine Rundfunksendung über Umwelt- und Klimathemen. Nach dem Beginn der Invasion in der Ukraine im Februar 2022 habe ich beschlossen, Russland zu verlassen.

Freie Meinungsäußerungen wurden zur Gefahr

Es wurde gefährlich, seine Meinung frei zu äußern, Kritik am Krieg und an der Politik zu veröffentlichen, auch in den sozialen Medien. In den ersten Wochen des Krieges wurde eine Reihe von Gesetzen erlassen, die die Meinungsfreiheit einschränkten. Dann musste ich mich entscheiden: Sollte ich in Russland bleiben und zurückhaltender schreiben oder reden? Oder weiterhin kritisch sein und eine Verhaftung riskieren? Oder das Land verlassen?
Ich habe mich für die dritte Option entschieden. Jetzt lebe ich seit mehr als zwei Jahren in Berlin und arbeite für deutsche und internationale Medien und NGOs.

Ganze Redaktionen sind umgezogen

Viele andere Journalisten aus Russland mussten eine ähnliche Entscheidung treffen. Einige zogen nach Georgien, andere nach Litauen oder Polen, viele leben jetzt in Deutschland, es gibt Redaktionen, die sind völlig umgezogen. Wir russischen Exiljournalisten sind kein Einzelfall. Immer wieder treffe ich Kollegen aus anderen Ländern – Belarus, Iran, Afghanistan, Türkei und viele andere, die im Exil leben. In vielen Teilen der Welt steht die Pressefreiheit immer mehr Druck. Wir sind inzwischen so viele, dass Exiljournalismus ein wichtiger Faktor in der weltweiten Medienlandschaft geworden ist.
In einem anderen Land zu leben als in dem, über das man schreibt, ist auf Dauer eine merkwürdige Situation. Einige Journalisten beginnen, für die Medien ihrer Exilländer zu arbeiten oder erweitern die Themen, über die sie berichten. Auch ich habe angefangen, mehr über internationale Themen und andere Regionen, zum Beispiel Zentralasien, zu berichten.
Die meisten meiner Kollegen schreiben aber immer noch für russischsprachige Medien. Sie versuchen, für die Menschen im jeweiligen Heimatland kritische Informationen und Analysen zu liefern. Das Interesse daran gibt es, und wir erreichen unser Publikum online – auch in Russland ist das trotz aller Beschränkungen des Internets nach wie vor möglich. Man muss allerdings auch sagen, dass viele Menschen in Russland es vorziehen, offizielle Medien zu konsumieren oder das Staatsfernsehen zu schauen, in dem Informationen vollständig kontrolliert werden. Oder sie interessieren sich überhaupt nicht mehr für Nachrichten.  

Die Situation für die Presse wir immer schwieriger

Wir Exiljournalisten arbeiten aber nicht nur für das Publikum in den Ländern, in denen wir früher gelebt haben. Wir arbeiten auch für all die Menschen, die ebenfalls die Entscheidung getroffen haben, das Land zu verlassen. Wir arbeiten auch für Journalisten, die in Russland geblieben sind, die nicht gehen konnten oder wollten. Aber die Situation für die freie und kritische Presse in Russland wird leider immer schwieriger. Gerade letzte Woche wurden wieder drei Journalisten verhaftet. Und natürlich arbeiten wir auch für Menschen in Deutschland - und in anderen Ländern auf der ganzen Welt - und informieren sie darüber, wie es in dem Land, das wir verlassen mussten, weitergeht.
Diese Realität ist nicht einfach. Welche Sprache, welche Worte können wir verwenden, um mit unterschiedlichen Zielgruppen zu kommunizieren? Wie können wir etwas bewirken, wenn wir nicht in unserem Land sind? Wie können wir der Welt mitteilen, was in unseren Ländern geschieht? Wie können wir die Journalisten unterstützen, die immer noch in Russland und anderen Ländern leben?
Nur indem wir unsere Arbeit machen. Indem wir lernen, indem wir analysieren, indem wir berichten.
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