Ungebetene Gäste
Zensur, Festnahmen, Durchsuchungen: Seit Monaten geht der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hart gegen regierungskritische Medien vor. Das hat auch die größte Tageszeitung des Landes, die liberalkonservative "Zaman" in Istanbul, getroffen. Aber auch die deutsche Ausgabe spürt den Druck.
Fahrt zur Zentrale der "Zaman"-Redaktion in Istanbul. Der Taxifahrer redet unterbrochen. Er schimpft über Staatspräsident Erdogan, über die ganzen Korruptionsaffären. Die regierende AKP kümmere sich nicht um die Armen - Erdogan denke nur an sich und seine Söhne.
Mehmet Özcan, der als Journalist für die deutschsprachige Ausgabe der Tageszeitung "Zaman" in der Düsseldorfer Landesredaktion arbeitet, übersetzt freundlicherweise. Heute will er der Zentrale in Istanbul einen Besuch abstatten.
In der Einfangshalle, einem eleganten Stahl-Glas-Bau im Istanbuler Stadtteil Yenibosna, hängt über mehrere Stockwerke eine riesige Türkeifahne.
"Das muss auf jeden Fall dabei sein, weil die Regierung behauptet ja, das sind Türkeigegner, türkische Feinde, und deswegen präsentiert man das so stolz."
Als Türkeigegner will sich der Verlag keineswegs abstempeln lassen, kritisch berichten will er schon.
Ausweis- und Taschenkontrollen sind obligatorisch. Erst wenn alles geprüft ist öffnet sich das Drehkreuz am Eingang. Und erst dann erkennt der Besucher, links neben der Türkeifahne, eine große Fotowand, auf der dutzende Mitarbeiter mit Protest-Plakaten zu sehen sind.
"Da steht: Wenn alle nicht reden, aber 'Zaman' wird weiter reden. Daneben steht hier: Das ist die Zeit um der Zeitung 'Zaman' Rückendeckung zu geben."
Journalisten immer häufiger angeklagt und verurteilt
Aufgenommen wurde das Foto im vergangenen Dezember, einige Tage nachdem ein großes Polizeiaufgebot in die Redaktionsräume eingedrungen war und den Chefredakteur Ekrem Dumanli festgenommen hatte.
"Er war in seinem Büro ganz oben. Hier war es voll mit Menschen gewesen, die hier protestiert haben, Polizisten neben ihm, der Staatsanwalt neben ihm. So sind sie hier runtergekommen, und seitdem steht das hier."
Der Vorwurf: Dumanli würde ein terroristisches Netzwerk betreiben. Als Beweis wurden ihm vor Gericht zwei Kommentare und ein Artikel aus dem Jahr 2009 vorgelegt.
"Nach vier Tagen ist er wieder freigelassen worden, aber es wird noch gegen ihn ermittelt."
Für viele ist die Zeitung "Zaman", übersetzt "Zeit", die wichtigste liberalkonservative Stimme in der Türkei. Für Staatspräsident Erdogan ist sie ein Dorn im Auge. Dem Verlag werden enge Verbindungen zu dem moslemischen Prediger Fethullah Gülen nachgesagt. Im vergangenen Jahr hat Erdogan seinem ehemaligen politischen Weggefährten Gülen und seiner ganzen Bewegung öffentlich den Kampf angesagt, und diesen Kampf zu einer der Prioritäten des Staates erklärt.
Mehmet ist froh, dass er einen deutschen Pass hat. Der schützt ihn und seine Familie, sagt er. Denn in letzter Zeit wurden Journalistenkollegen immer häufiger wegen angeblicher "Beleidigung des Staates" oder wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung angeklagt und verurteilt.
"Man wird wegen irgendwelcher absurden Sachen beschuldigt. Aber man sagt nicht offen: Du hast die Regierung kritisiert, deswegen wird gegen Dich ermittelt. Das sagen sie nicht. Also Erdogan möchte auf alle Fälle, dass man ihn nicht kritisiert."
Ökonomisch erdrosseln
Und das bekommt auch die in Deutschland erscheinende Ausgabe zu spüren, erzählt Mehmet.
"Weil in Deutschland ganz viele türkische Firmen Angst haben, uns Werbeanzeigen zu geben. Die haben ja auch Investitionen in der Türkei. Die bekommen ja direkt Anrufe von Regierungsbehörden."
"Wenn erstmals ein Inserent wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt wird, wird es niemand mehr wagen, dort zu inserieren", erklärte der britische Türkei-Experte Gareth Jenkins kürzlich gegenüber der "Frankfurter Rundschau". Jenkins glaubt, dass Erdogan auch Zaman - die von ihm so ungeliebte Zeitung - langsam, aber sicher ökonomisch erdrosseln will. Und so gleicht es fast einem Wunder, dass Zaman noch täglich erscheinen kann.
"Aber auf der anderen Seite werden unsere Journalisten zu Regierungspressekonferenzen nicht eingeladen, in öffentliche Gebäude dürfen wir nicht mehr rein, unsere Journalisten dürfen da nicht rein."
Sollte Erdogan und seine regierende AKP bei den Parlamentswahlen im Juni die Zweidrittelmehrheit erlangen, kommen noch schwerere Zeiten auf den Verlag zu. Das befürchtet auch Baha Güngör, langjähriger Leiter der türkischen Redaktion der Deutschen Welle.
"Erdogan wird auf jeden Fall, wenn er auch noch das Präsidialsystem durchsetzen kann, ein sehr, sehr starker Mann sein, hart an der Grenze zum Diktator."