Pressefreiheit in Griechenland
Am 9. April 2021 wurde der Journalist Giorgos Karaivaz erschossen. Die Regierung in Athen kündigte rasche Aufklärung an. Doch von einem Ergebnis bis heute keine Spur.
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Bei Recherche Mord
22:26 Minuten
Die Pressefreiheit in Griechenland wird systematisch eingeschränkt: mit unsicheren Arbeitsbedingungen, Behinderung von Recherchen, Klagen gegen Medienschaffende. Und der Mord an dem Journalisten Giorgos Karaivaz ist immer noch nicht aufgeklärt. Warum?
Ein Stadtpark irgendwo im Süden von Athen. Der Interviewpartner wartet schon. Überraschend hat er nun doch einem Treffen zugestimmt – unter bestimmten Bedingungen: Er wolle auf gar keinen Fall namentlich erwähnt werden und dass in irgendeiner Form Rückschlüsse auf seine Identität gezogen werden können. Nur dann sei er bereit, seine Sicht zum Mord an dem Investigativreporter Giorgos Karaivaz darzustellen.
Rückblick: Es ist der neunte April 2021, 12 Uhr mittags: Giorgos Karaivaz sitzt im Fernsehstudio des Privatsenders Star Channel. Regelmäßig ist der Polizeireporter zu Gast in einer Unterhaltungssendung, um seine Einschätzung zu aktuellen Kriminalfällen zu geben.
Ein Mord ohne Vorwarnung
Alles scheint wie immer: Die Sendung ist gegen zwei Uhr nachmittags zu Ende und Karaivaz macht sich auf den Heimweg in den Athener Süden. Doch der 52-Jährige kommt nie zuhause an, denn der Journalist wird kurz vorher brutal ermordet.
Die Polizei rekonstruiert den Tathergang so: Gegen halb drei parkt Karaivaz sein Auto auf dem üblichen Parkplatz in der Nähe seines Hauses. Nur wenige Meter davon entfernt warten zwei Männer auf einem Motorroller – wie Aufnahmen einer Überwachungskamera später zeigen werden.
Wie eine Hinrichtung
Der Fahrer trägt einen weißen Helm mit getöntem Visier, schwarze Kleidung. Der zweite Mann sitzt hinter ihm und ist ebenfalls dunkel gekleidet, mit einer Mütze und einer schwarzen Maske im Gesicht. Als Karaivaz aus dem Auto steigt, fahren sie auf ihn zu.
Was dann passiert, beschreiben Augenzeugen hinterher so: „Der andere hat geschossen, geschossen, geschossen. Er hat auch nicht aufgehört, als das Magazin schon leer war.“
Mit welcher Brutalität und Kaltblütigkeit die Täter vorgegangen sind, wird im Autopsiebericht deutlich, den die Behörden in Auszügen veröffentlicht haben. Eine Kugel steckt in der Handfläche – weil er wahrscheinlich noch versucht hat sich zu schützen. Sechs Kugeln stecken in der Brust, eine im Nacken. Als Karaivaz schon am Boden lag, ist der Schütze vom Roller abgestiegen und hat ihn aus nächster Nähe noch zwei Mal in den Kopf geschossen: Der Investigativjournalist wurde buchstäblich hingerichtet.
“Die Art und Weise wie es gemacht wurde, ist absolut professionell, weil die Tat mit Ruhe und gleichzeitig mit Härte ausgeführt wurde“, sagt Nikos Rigas, Vizepräsident der Polizeigewerkschaft kurz nach der Tat im griechischen Staatsfernsehen.
Auftragskiller aus dem Ausland?
Demnach sei es sehr wahrscheinlich, dass es sich bei den Tätern um Auftragskiller, möglicherweise sogar aus dem Ausland handelt. Die Nachricht von Karaivaz‘ Tod ruft internationale Reaktionen hervor.
So twittert beispielsweise EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: „Einen Journalisten zu ermorden ist eine abscheuliche, feige Tat. Europa steht für Freiheit. Und die Pressefreiheit ist vielleicht die heiligste von allen. Ich hoffe, dass die Täter bald zur Rechenschaft gezogen werden.“
Auch Journalistenorganisationen wie Reporter ohne Grenzen fordern rasche Aufklärung. Und in Griechenland? Während der Fall überall die Schlagzeilen bestimmt und auch international Betroffenheit auslöst, braucht der griechische Ministerpräsident verhältnismäßig lange, um zu reagieren: Erst mehr als 24 Stunden nach dem Mord äußert sich Premier Kyriakos Mitsotakis öffentlich dazu. Er verspricht, dass die zuständigen Behörden alles tun würden, um die Mörder zu finden. Der Fall habe absolute Priorität.
"Die Lippen überall sind versiegelt"
Ein knappes Jahr später. Apostolos Lytras sitzt im Büro seiner Anwaltskanzlei in Athen. Vor ihm auf dem schweren Holzschreibtisch steht ein Aschenbecher mit einer halb fertig gerauchten Zigarette. Lytras ist in Griechenland bekannt, weil er in einigen hochkarätigen Fällen als Anwalt in Erscheinung getreten ist. Bei einem gemeinsamen Fernsehauftritt hat er Giorgos Karaivaz kennengelernt.
„Wir haben uns getroffen. Wir waren sogar beide in derselben Show zu Gast, genau an dem Tag als er ermordet wurde, kurz bevor er nach Hause gefahren ist.“
Die Tat sei auch für ihn ein Schock gewesen. Direkt danach habe er der Familie von Karaivaz seine Unterstützung als Anwalt angeboten. Karaivaz‘ Frau und sein Sohn hatten gehofft, dass sie nun, fast ein Jahr später, eine Antwort auf die Frage erhalten würden, wer den Ehemann und Vater umgebracht hat.
Doch: „Die Lippen überall sind versiegelt, wir alle tappen im Dunkeln, es gibt keinerlei Informationen. Nicht einmal Journalisten konnten bislang irgendetwas enthüllen.“
Dennoch in zwei Dingen ist sich Lytras sicher: Zum einen, dass es sich bei der Tat um einen Auftragsmord handelt – diese Einschätzung teilt auch die Polizei. Zum anderen, dass das Motiv mit Karaivaz Recherchen zusammenhängt.
„Ich denke, dass dieser Mord beauftragt wurde und dass dies eindeutig mit seiner journalistischen Tätigkeit zusammenhängt. Auf diese Weise wollte man ihn zum Schweigen bringen und verhindern, dass bestimmte Dinge aufgrund seiner Recherchen ans Licht kommen.“
Karaivaz war ein sehr erfahrener Journalist: Seit mehr als 30 Jahren hat er für verschiedene Fernsehsender und Zeitungen gearbeitet – meist als Polizeireporter. Außerdem hat er gemeinsam mit zwei Kollegen eine eigene Webseite betrieben. Vieles davon sind einfach nur Polizeimeldungen.
War die Polizei in den Mord verwickelt?
Doch immer wieder hat Karaivaz Skandale aufgedeckt. Meist ging es dabei um Korruption innerhalb der Polizei. So hat er in den vergangenen Jahren beispielsweise über Polizisten geschrieben, die gleichzeitig als Personenschützer für griechische Mafiabosse gearbeitet haben oder dass Beamte des Nationalen Inlandsgeheimdiensts EYP illegal die Telefone von Polizisten abgehört haben sollen, die gegen die Mafia ermittelt hätten.
Dass die Polizei im Mordfall Karaivaz bislang keinerlei Ermittlungsergebnisse präsentieren konnte, hat Spekulationen angeheizt, Mitglieder der Polizei könnten in den Mord verwickelt sein. Allerdings ist immer noch völlig unklar, an was Karaivaz kurz vor seinem Tod gearbeitet hat.
Doch es gibt jemanden, der mehr darüber wissen könnte: Es braucht mehrere Anläufe bis derjenige sich zu einem persönlichen Treffen bereit erklärt hat. Allerdings will er unerkannt bleiben. Der Redaktion ist seine Identität bekannt, um sie zu schützen, werden seine Aussagen im Folgenden nachgesprochen.
Gute Kontakte zur griechischen Mafia
Das Treffen findet in einem Stadtpark im Athener Süden statt. Der Mann, hier soll er Christos heißen, wartet bereits. In dem Gespräch geht es zunächst um die Arbeitsweise von Karaivaz.
„Karaivaz hatte sehr gute Kontakte zur griechischen Mafia. Manchmal hat er bestimmte Informationen schon vor der Polizei gehabt.“
Dass die Quellen für Karaivaz‘ Recherchen häufig aus dem Umfeld der Mafia kamen, ist öffentlich bekannt. Genau dafür war er in der Vergangenheit auch schon mehrfach kritisiert worden. Karaivaz war mit manchen Mafiabossen sogar per Du.
Doch der Polizeireporter hat nie ein Geheimnis daraus gemacht. Nur so sei es ihm möglich gewesen, überhaupt einen Einblick zu bekommen, wie tief die Korruption in Teilen der griechischen Polizei reiche, hat er mal in einem seiner Artikel geschrieben. Christos ist überzeugt, dass Karaivaz trotz seiner guten Kontakte zur Mafia keine Grenze überschritten hat.
„Ich denke nicht, dass er sozusagen die Seiten gewechselt hat. Denn dann hätte er Geld gehabt. Aber das hatte er nicht: kein teures Auto, keine Reisen, nichts. Es wurde auch kein Geld auf seinen Konten gefunden und auch kein Bargeld.“
Woran hat er vor seinem Tod gearbeitet?
Was aber angeblich ebenfalls nicht gefunden wurde: irgendwelche Aufzeichnungen, Notizen oder sonstige Hinweise, woran Karaivaz vor seinem Tod gearbeitet haben könnte.
„Ich bin sicher, dass er irgendeine Verbindung zwischen der organisierten Kriminalität und entweder der Polizei oder Politikern oder Geschäftsleuten aufdecken wollte. Deshalb musste er sterben.“
Wer genau aber Karaivaz‘ Tod wollte und warum, bleibt weiter im Unklaren. Doch Christos glaubt, dass sich irgendjemand durch die Arbeit des Polizeireporters wirklich bedroht gefühlt haben muss. Karaivaz habe als besonders furchtlos gegolten. Einmal habe er eine Todesdrohung erhalten. Daraufhin hat er sie mitsamt seiner privaten Adresse veröffentlicht gemacht, um zu demonstrieren: Ich habe keine Angst.
Für Christos steht daher fest: „Dieser Mord war eine Hinrichtung und damit eine Warnung an andere.“
"Es mangelt an Transparenz"
Vor der Tat hingegen habe es dieses Mal keine Drohungen gegeben. Aber ist die Polizei wirklich ahnungslos in diesem gesamten Fall? Oder hält sie bestimmte Informationen zurück, um die laufenden Ermittlungen nicht zu gefährden?
Diese Standardaussage bekommt man zumindest, wenn man bei den Behörden offiziell nach dem aktuellen Ermittlungsstand fragt. Das Problem sei, dass insbesondere in diesem Fall überhaupt kein Austausch zwischen der Polizei und der Öffentlichkeit stattfinde, kritisiert Renate Schroeder vom Europäischen Journalistenverband.
„Wir müssen feststellen, dass die Ermittlungen, entgegen den Versprechungen der Behörden, sehr langsam voranschreiten und es an grundlegender Transparenz mangelt.“
Der Europäische Journalistenverband ist Teil des Netzwerks „Media Freedom Rapid Response“, ein Zusammenschluss verschiedener europäischer Organisationen, die sich unter anderem für den Schutz der Pressefreiheit einsetzen. Das Netzwerk hat Ende März einen neuen Bericht veröffentlicht über die Situation der Pressefreiheit in Griechenland. Dem Fall Karaivaz wurde dort ein eigenes Kapitel gewidmet.
„Wir haben die Situation in den Niederlanden ähnlich eingeschätzt, aber wir hatten das Gefühl, dass es dort viel mehr Ermittlungen und mehr Transparenz gegeben hat.“
Die Niederlande waren schneller
Nur drei Monate nach dem Mord an Giorgos Karaivaz wurde der niederländische Kriminalreporter Peter de Vries in einer belebten Fußgängerzone in Amsterdam erschossen. Zwischen beiden Fällen gibt es einige Parallelen: Auch de Vries war direkt vor seinem Tod zu Gast in einer Fernsehsendung gewesen, bevor er erschossen wurde – alles deutete auf einen Auftragsmord hin. Der 64-Jährige galt ebenfalls als äußert hartnäckig und furchtlos in seinen Recherchen.
Schnell hat es außerdem Hinweise gegeben, die das Verbrechen mit der organisierten Kriminalität in Verbindung gebracht haben. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied: Bereits wenige Stunden nach der Tat konnte die Polizei die mutmaßlichen Mörder von de Vries verhaften. Und schon vier Monate später hat der Prozess begonnen, bei dem nicht nur die Frage geklärt werden soll, wer de Vries erschossen hat, sondern auch, wer den Auftrag für diesen Mord erteilt hat. Nichts davon hat es in Griechenland nach dem Mord an Karaivaz gegeben.
„Das hatte in der Tat eine sehr abschreckende Wirkung und die Unfähigkeit der Regierung, Journalisten insgesamt zu schützen, hat zu viel Misstrauen geführt. In Griechenland wurden keine Verdächtigen festgenommen. Es wurde niemand öffentlich identifiziert. Und wir glauben, dass etwas passieren muss, damit sich das ändert.“
"'Kultur' der Straflosigkeit"
In der Empfehlung der Europäischen Kommission zur Gewährleistung des Schutzes, der Sicherheit und der Selbstbestimmung von Journalisten in der Europäischen Union heißt es:
„Die Mitgliedstaaten sollten alle gegen Journalisten begangenen kriminellen Handlungen, ob online oder offline, auf unparteiische, unabhängige, wirksame und transparente Weise untersuchen und strafrechtlich verfolgen, um das Entstehen einer 'Kultur' der Straflosigkeit bei Angriffen auf Journalisten zu verhindern.“
Denn nicht nur der Angriff selber, sondern auch das Gefühl, dass eine solche Tat ungestraft bleibt, kann Journalisten zum Schweigen bringen – zumindest könnte das eine Erklärung dafür sein, warum die griechischen Medien nach der anfänglichen Aufregung direkt nach dem Tod von Karaivaz nunmehr schweigen.
„Interessanterweise haben wir den Eindruck, dass es auch in der Journalistengemeinschaft zu viel Schweigen gegeben hat, anstatt die Regierung zu zwingen, die Drahtzieher hinter diesem Mord zu finden.“
Der Mord an Karaivaz ist auch in Griechenland ein Extremfall. Doch dass Angst und Unsicherheiten Journalisten verstummen lassen, das zeigt sich auch in anderen Bereichen.
Ein milder Februartag in Athen. Ioanna Papadakou setzt sich an einen Tisch im Außenbereich eines Cafés. Sie ist nur für einige Tage in Athen, denn sie lebt mittlerweile in Brüssel. Doch Papadakou hat hier in den kommenden Tagen einen Termin bei der Staatsanwaltschaft.
Denn während sie woanders womöglich für ihre Recherchen ausgezeichnet worden wäre, muss sich Papadakou in Griechenland vielleicht bald vor Gericht verantworten: Verleumdung, Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Verschwörung – so lauten die Anschuldigungen gegen sie. Kommt es zum Prozess droht ihr schlimmstenfalls sogar eine mehrjährige Haftstrafe.
Novartis soll Ärzte und Politiker bestochen haben
Rückblick: Januar 2017. Ioanna Papadakou berichtet in der Sendung „Checkpoint Alpha“ im griechischen Fernsehen ausführlich über ihre Recherchen zu einem gewaltigen Wirtschaftsskandal, der damals das ganze Land erschüttert hat. Im Zentrum: der Schweizer Pharmakonzern Novartis. Zwischen 2006 und 2015 soll das Unternehmen Ärzte und Politiker bestochen haben.
Ziel der Schmiergelder: Lukrative Verträge, damit die damals hauptsächlich staatlichen Kliniken und Krankenhäuser in Griechenland verstärkt Novartis-Medikamente einkaufen – und das auch noch zu absolut überteuerten Preisen. Aus einem späteren Bericht der Staatsanwaltschaft geht hervor, dass dem griechischen Staat dadurch ein Schaden von etwa drei Milliarden Euro entstanden ist – und das alles, während sich Griechenland mitten in der Finanzkrise befunden hat.
„Zu der Zeit, als den Leuten hier die Löhne und die Renten gekürzt wurden und sie kaum überleben konnten, wurde diesem Unternehmen von seinen politischen Freunden mithilfe von überteuerten Medikamenten Gefälligkeiten gewährt – um es freundlich auszudrücken. Zum Beispiel wurden Medikamente, die in anderen Ländern für etwa 50 Euro verkauft wurden, hier für 400 verkauft. Das war die Größenordnung.“
Nach Recherchen von Papadakou und anderen Journalisten sollen mehr als 4000 Ärzte, Beamte und Politiker in Griechenland von Novartis geschmiert worden sein.
Ende 2016 beginnen die Behörden den Vorwürfen nachzugehen. Die Ermittlungen führen bis in höchste politische Kreise. Im Zentrum stehen vor allem die politischen Gegner des damaligen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras: darunter sein Amtsvorgänger Antonis Samaras und der immer noch amtierende Präsident der griechischen Zentralbank Giannis Stournaras.
In den USA wurde Novartis verurteilt
Die Beschuldigten wiederum sprechen von einer Intrige – Ex-Regierungschef Samaras verklagt Tsipras sogar wegen Verleumdung. Die Ermittlungen geraten zunehmend ins Stocken. Auch der Hauptverursacher dieses Skandals, der Novartis-Konzern, gerät zunehmend in den Hintergrund.
„Der griechische Staat, der ja für den finanziellen Schaden aufkommen muss, hat nicht einmal Klage eingereicht. Und das, obwohl es einen juristischen Beschluss gibt, in dem er aufgefordert wird, von Novartis Schadensersatz in Millionenhöhe einzufordern, um den Verlust wiedergutzumachen.“
Nur der ehemalige Vizechef der griechischen Novartis-Tochter wurde wegen Bestechung angeklagt. Dass es auch anders geht, haben die USA gezeigt: Dort wurde der Pharma-Riese aufgrund von Ermittlungen des FBI zu einer Strafzahlung in Höhe von 345 Millionen US-Dollar verurteilt – allerdings nicht für Vergehen in den USA, sondern für die Zahlung von Schmiergeldern in Griechenland.
Rechtliche Grundlage dafür ist der "Foreign Corrupt Practices Act", ein Bundesgesetz, das es den US-Behörden ermöglicht, auch gegen Korruption im Ausland vorzugehen. Währenddessen entwickelt sich der Diskurs in Griechenland zunehmend in die entgegengesetzte Richtung: Auf der Anklagebank sitzen nun nicht mehr länger der Novartis-Konzern und mutmaßlich korrupte Politiker.
Journalisten als Mitverschwörer
Vielmehr handele es sich dabei um eine große Verschwörung. Kopf des Ganzen: der damalige Justizminister, der die Ermittlungen gegen hochrangige Politiker ins Rollen gebracht hat. Und zu seinen Mitverschwörern gehören Journalisten, die mit ihren Recherchen geholfen haben, den Skandal an die Öffentlichkeit zu bringen. Darunter Ioanna Papadakou.
Selbst Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis schließt sich ganz offen diesem Narrativ an. Erst Ende Januar sprach er im Parlament über den Fall und betonte, das Ganze sei:
"Eine Verschwörung, die zusammengebrochen ist und deren Protagonisten jetzt in den Händen der Justiz sind. Einer wird einem Sondergericht überstellt, die anderen sind angeklagt oder werden verdächtigt – nicht wegen ihrer Meinung. Achtung! Nicht wegen ihrer Meinung, sondern weil sie falsche Informationen veröffentlicht haben, um so falsche Anschuldigungen zu konstruieren.“
Für Ioanna Papadakou sind diese Anschuldigungen klar politisch motiviert. Ihrer Meinung nach gehe es darum, ein Exempel zu statuieren:
„Auf der einen Seite wollen sie sich für die Enthüllungen rächen. Und zweitens senden sie damit eine klare Botschaft an alle: Recherchiere nicht, verrate nichts, denn sieh Dir an, was Dir passieren könnte. Du könntest Deinen Job verlieren.“
Denn genau das ist ihr passiert: „Ich habe drei Jobs in zwanzig Tagen verloren. Natürlich hatte das damit zu tun, deshalb habe ich Griechenland verlassen.“
Berufliche Umorientierung als Konsequenz
Mittlerweile hat sie nicht nur Griechenland, sondern auch dem Journalismus den Rücken gekehrt: Sie arbeitet in der Pressestelle der Linksfraktion des Europaparlaments in Brüssel. Und sie sei nicht die einzige Journalistin, die sich beruflich umorientiert habe. Gerade Investigativreporter hätten es mittlerweile besonders schwer in Griechenland.
„All die Investigativ- und Rechercheformate gibt es nicht mehr. Im griechischen Fernsehen gibt es derzeit keine investigative Sendung. Das heißt, mit allem, was sie getan haben, haben sie dem investigativen Journalismus in Griechenland insgesamt einen Schlag versetzt.“
Dabei ist die Situation gerade für Investigativjournalisten bereits aus anderen Gründen immer schwieriger geworden. So hat es während der Finanzkrise eine massive Konzentration innerhalb der griechischen Medienlandschaft gegeben: Kleine Verlage oder Sender sind Pleite gegangen oder von größeren Unternehmen geschluckt worden.
Viele Journalisten haben ihren Job verloren – und viele andere hatten Angst, dass sie ihn vielleicht verlieren könnten. Mit Beginn der Corona-Pandemie habe sich die Situation noch einmal verschärft, erklärt Renate Schroeder vom Europäischen Journalistenverband.
„Innerhalb der letzten zwei Jahre haben sich die Arbeitsbedingungen von Journalisten auf ein beispielloses Niveau verschlechtert.“
Auf Presseindex von 180 auf 70 abgerutscht
Aus dem aktuellen Bericht über die Situation der Pressefreiheit in Griechenland durch das Netzwerk „Media Freedom Rapid Response“ – zu dem auch der Europäische Journalistenverband gehört – geht eindrücklich hervor, wie permanenter ökonomischer Druck zur Selbstzensur führen kann: Man vermeidet Themen zu bearbeiten, von denen man glaubt, dass sie dem Chef nicht gefallen könnten.
Diese Angst sei nicht ganz unbegründet, denn in Griechenland gibt es beispielsweise eine sehr große Nähe zwischen den Inhabern von Medienunternehmen und der Regierung, häufig sogar gegenseitige Abhängigkeiten. Erst im vergangenen Jahr sorgte die sogenannte „Petsas-Liste“ – benannt nach dem damaligen Regierungssprecher Stelios Petsas – für einen Skandal.
Während der Corona-Pandemie hat die Regierung 20 Millionen Euro an Medienunternehmen gezahlt, damit sie Anzeigen einer Kampagne schalten, die über die Gefahren des Coronavirus aufklären sollten. Welche Unternehmen Zuwendungen erhalten haben, blieb zunächst unklar.
Erst auf öffentlichen Druck, unter anderem von der Opposition und einigen wenigen Medienvertretern, wurde eine Liste mit den Empfängern der Gelder veröffentlicht. Darunter auch Websites und Blogs, die offiziell gar nicht existieren. Ansonsten wurden nur Medienunternehmen bedacht, die politisch der konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia nahestehen.
„Es gibt keine Transparenz, wenn es um staatliche Zuschüsse geht und auch ganz allgemein, wenn es um die Eigentumsverhältnisse von Medienunternehmen geht“, kritisiert Schroeder.
Aus dem Bericht geht außerdem hervor, dass sich diese Tendenzen seit 2019 deutlich verstärkt haben, nachdem die jetzige Regierung unter Kyriakos Mitsotakis an die Macht gekommen ist. In der Rangliste der Pressefreiheit, die die Organisation Reporter ohne Grenzen jedes Jahr veröffentlicht, ist Griechenland von insgesamt 180 Ländern mittlerweile auf Platz 70 abgerutscht.