"Jetzt ist die Angst weg"
Micheil Saakaschwili war ein Hoffnungsträger in Georgien, aber er hat seine Landsleute, auch die Journalisten bitter enttäuscht. Heute, nach dem Abtritt Saakaschwilis, gibt es in Georgien zwar keine Zensur mehr, trotzdem bleibt eine ausgewogene Berichterstattung die Ausnahme.
Es ist Punkt 20 Uhr - soeben beginnen die Hauptnachrichten des georgischen Fernsehsenders "Imedi". Der Journalist und Moderator Levan Javakhishvili begrüßt die Zuschauer und stellt die Themen des Abends vor - georgische Innenpolitik, etwas Außenpolitik, Kultur und das Wetter. Der Privatsender bietet den Menschen vor den Fernsehgeräten auch heute wieder einen bunten Themenmix.
Levan ist ein großgewachsener, stattlicher Mann mit braunen Haaren und grünen Augen, der, sobald das rote Studiolämpchen angeht, sein smartestes Moderatoren-Gesicht anknipsen kann. Manchmal kann er es selbst kaum glauben, dass er wieder hier im Studio sitzt, in die Kamera schaut und die Zuschauer über die wichtigsten Geschehnisse in Georgien und in der Welt informiert:
"Wieder hier zu sein, ist für mich ein ganz besonderes Gefühl. Ich war ja seit der ersten Nachrichtensendung im Jahr 2003 dabei. Dieser Sender ist mein Zuhause. Es fühlt sich einfach so an, wie nach Hause zu kommen. Allerdings bin ich nur zurück gekommen, weil mich die Besitzer von ´Imedi` persönlich darum gebeten haben."
2001 wurde die Mediengesellschaft "Imedi" vom georgischen Oligarchen Badri Patarkazischwili gegründet, 2003 ging TV-"Imedi" auf Sendung - kurz vor dem Amtsantritt des westlich orientierten georgischen Politikers und damaligen Hoffnungsträgers Micheil Saakaschwili. Der junge und charismatische Politiker wurde im Januar 2004 Nachfolger des zuvor durch die Rosenrevolution gestürzten Präsidenten Eduard Schewardnadse.
Nach der korrupten und politisch instabilen Schewardnadse-Ära hofften die Georgier und mit ihnen die Journalisten auf eine neue Epoche der Freiheit, Demokratie und des wirtschaftlichen Aufschwungs. Wie nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der neunziger Jahre konnten sie auch jetzt wieder kritisch und unabhängig über die Missstände im Land berichten. Es fegte damals ein "Wind of Change" durch Georgien, sagt Levan Javakhishvili. Seine Augen leuchten und man sieht ihm an, dass es eine befreite Zeit gewesen sein muss - nach all den Jahren der Repression.
"Nach Schewardnadse und der Rosenrevolution dachten viele Menschen, wir werden endlich ein normales Leben hier haben. Aber zwischen 2003 und 2004 wurde wieder ein TV-Sender geschlossen. Das war das erste Signal."
Sondereinheit stürmte 2007 den Sender "Imedi"
2007 hatte die Offenheit dann auch bei "Imedi" ein Ende: Der TV-Sender hatte über den Missbrauch von öffentlichen Geldern verschiedener Ministerien berichtet, die Menschen in Georgien gingen auf die Straße, um gegen die Korruption zu protestieren. Der Druck auf den Präsidenten wuchs täglich.
Als sich der Oligarch Patarkazischwili dann auch noch auf die Seite der Opposition schlug, fiel sein Sender gänzlich in Ungnade bei Saakaschwili und dessen regierender Partei "Vereinte Nationale Bewegung". Am 7. November 2007 stürmte schließlich eine vermummte Sondereinheit während einer Livesendung das Fernsehstudio am Rande der Stadt und zwang die Journalisten vor laufenden Kameras, den Sendebetrieb einzustellen.
Levan Javakhishvili geht über die Flure des heute mit meterhohen Zäunen und Kameras gesicherten Medienhauses. In dem Studio, in dem er damals mit einer Kollegin die Abendnachrichten moderierte, ist es heute dunkel, verkramt, vereinzelt stehen alte Kulissen herum. Mit versteinerter Miene zeigt er hinauf zu einer verglasten Wand, durch die man direkt in das Studio schauen kann. Dort standen damals die vermummten Männer mit ihren Gewehren und starrten zu ihnen hinab.
"Wir wurden über die Kopfhörer informiert, dass eine Spezialeinheit in den Sender eingedrungen war. Als ich realisierte hatte, was passiert ist, sagte ich zu den Zuschauern: ´Bewaffnete Männer haben gerade unseren Sender "Imedi" besetzt.` Dann kamen zwölf Maskierte in das Studio, richteten ihre Kalaschnikows auf uns und sagten, wir sollen mit der Sendung aufhören."
Sie hatten damals Todesangst, sagt Levan Javakhishvili. Keiner von den Redakteuren, Kameraleuten und Technikern wusste, ob sie jemals lebend wieder hinaus kommen würden. Ihre Telefone klingelten unaufhörlich, jeder sah ja live im Fernsehen, was gerade bei "Imedi" passierte. In einer kurzen Ansprache erklärte der Chefredakteur dem Fernsehpublikum die Situation und bat um internationale Hilfe. Der Bildschirm wurde schwarz, das Programm war beendet.
Stunden später wurden die Mitarbeiter frei gelassen, wenige Wochen darauf wurde der Besitzer enteignet. Investigativer und unabhängiger Journalismus wurde in den Folgejahren immer schwieriger. Hintergrundrecherchen waren fast unmöglich, weil keiner Auskunft geben konnte oder wollte. Wenn Kritik irgendwo vorkam, konnten wegen der begrenzten Sendereichweiten nur wenige Menschen diese hören oder sehen.
Drohungen müssen Journalisten in Georgien nicht mehr fürchten
Erst mit dem politischen Machtwechsel in Georgien im Herbst 2012, als bei der Parlamentswahl die Saakaschwili-Partei unterlag, wurde der Oligarchen-Familie Patarkazischwili die "Imedi"-Mediengesellschaft wieder übertragen. Heute regiert in Georgien das Parteienbündnis "Georgischer Traum" des Milliardärs und Ex-Premierministers Bidsina Iwanischwili. Unter dieser neuen Regierung und dem alten Arbeitgeber kehrte auch Moderator Levan Javakhishvili zurück ins Scheinwerferlicht. Drohungen, Einschüchterungen und Enteignung müssen Journalisten und Medienunternehmen im heutigen Georgien nicht mehr fürchten.
"Heute gibt es in Georgien zwar keine Zensur mehr oder andere Beschränkungen, aber dafür haben wir private Sender, die entweder für oder gegen die Regierung, oder für oder gegen die Opposition berichten. Viele Journalisten haben keine eigene Meinung. Sie sind nicht frei in ihrem Denken. Obwohl sie gar keine Angst vor irgendeinem Druck haben müssen. Viele sehen ihre Aufgabe nicht darin, über etwas nur zu berichten, sondern sie wollen selbst mit Einfluss auf die Politik nehmen. Sie sind einfach nicht unabhängig in ihrer Berichterstattung."
In der Liberali-Redaktion wird fleißig in die Tasten gehauen. In dem modernen Großraumbüro in Zentrum von Tiflis sitzen junge und stylisch gekleidete Frauen und Männer vor ihren riesigen Monitoren, an den Wänden hängen großflächige Fotografien von Demonstrationen für Demokratie und Menschenrechte. In wenigen Stunden muss die nächste Ausgabe des unabhängigen und kritischen Politikmagazins fertig sein.
Politikchef Irakli Absandze, ein kleiner, runder und sympathischer Mann mit Nickelbrille und Spitzbart, bespricht mit allen noch einmal die letzten Details. Ein Thema des nächsten Hefts ist der Widerstand der Orthodoxen Kirche gegen ein Obdachlosenheim für Homosexuelle in Tiflis. Das sei genau ein Thema für das "Liberali" steht, sagt Irakli Absandze, der in Deutschland Politikwissenschaft studiert hat.
"Wir schreiben sehr gerne über marginalisierte Schichten in der Gesellschaft, oder die solche Gefahr haben zum Beispiel ethnische Minderheiten, soziale Minderheiten. Wir schreiben gerne über Werte, was uns mit der westlichen Welt vereint, was die sind und woher die kommen. Und wir versuchen möglichst kritisch zu sein. Damit wir unsere Watcher-Funktion wirklich wahrnehmen können. Wir wollen nicht nur eine Informationsquelle für unsere Leserschaft sein, sondern wir wollen auch, dass georgische Politiker uns als Handwerk benutzen."
Investigative Journalisten publizieren im Internet
"Liberali" - das Magazin mit dem rot-weißen Logo und einem großflächigen Foto auf dem Cover wird in den Augen der sieben Festangestellten und der Handvoll freien Mitarbeiter vor allem auch für die so genannten Entscheider in Georgien gemacht. Für diejenigen, die die Geschicke des Landes mitbestimmen. Irakli Absandze selbst kam erst 2012 zu dem Magazin, das 2009 zum ersten Mal erschien. Vorher war er jahrelang bei einem privaten Fernsehsender in der Stadt Poti im Westen des Landes angestellt. Wegen seiner kritischen Berichterstattung wurde er zu Michail Saakaschwilis Zeiten abgehört, bedroht und verhört. Heute sagt er über die Arbeitsbedingungen von Journalisten in Georgien:
"Es ist deutlich besser geworden. Wir haben Luft zum Atmen. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht mehr beobachtet werde, wie zu Michas Zeiten. Das Handy wird nicht mehr abgehört. Alles, was ich schreibe, auch kritische Sachen, sorgt nicht über meine berufliche Zukunft. Ich bekomme keine komischen Anrufe."
Das Privatfernsehen ist der Goliath, gegen den ein monatliches Magazin wie "Liberali" nur verlieren kann. Und so hoffen die investigativen Journalisten hier im Büro mit ihren Kopfhörern im Ohr und ihren Kaffebechern vor der Nase vor allem auf die Wirkung ihrer gut recherchierten Geschichten über korrupte Beamte und homophobe Kirchenvertreter und vor allem auf ihre Leser im Internet. Denn die sind, glaubt man den Analysen, gebildet, gut informiert und vor allem jung - zwischen 18 und 45 Jahre. "Uns liest man im Web", fasst Irakli Absandze kurz und knapp zusammen. Monatlich würden 30.000 bis 40.000 Menschen die "Liberali"-Artikel im Netz anklicken, sagt er. Genau das sei die Hoffnung für den georgischen Journalismus.
Nur wenige Kilometer entfernt von der Imedi-Redaktion steht die Journalistin Edita Badasyan am Rustaweli Prospekt, der zentralen Hauptstraße von Tiflis, vor der glänzenden Fassade des Radison Hotels. Für die russische Internetzeitung "Kaukasischer Knoten" berichtet sie als Korrespondentin aus Georgien und der gesamten Kaukasusregion. Edita kritisiert das Selbstverständnis und die Arbeit vieler Journalisten im heutigen Georgien. Sorgfältige Recherche, Trennung von Meinung und Information sowie eine ausgewogene Berichterstattung seien vielen ihrer Kollegen fremd, sagt die Frau, die auch schon in Deutschland und Russland gearbeitet hat.
"Das Problem, das wir hier noch haben in unserer Medienlandschaft, ist, dass wir kaum objektive Medien haben. Wir haben pro Regierung oder ganz anti Regierung. Etwas Balanciertes haben wir kaum. Wir haben sehr viele Zeitungen, die xenophobe Aussagen haben, gegen Minderheiten, nationale, sexuelle, religiöse Minderheiten. Und diese Zeitungen werden nicht bestraft. Es wird kritisiert, aber das macht nichts. Die können weiter drucken und verkaufen. Es gibt keine Strafen für diejenigen."
Niedriges Gehalt und Blockaden in Behörden
Im Durchschnitt verdient ein Journalist in Georgien 250 bis 400 Euro im Monat, beim Fernsehen kann es bis zu 500 Euro sein - insgesamt liegt das durchschnittliche georgische Monatseinkommen bei 250 Euro. Viele ihrer Kollegen würden für mehrere Redaktionen gleichzeitig arbeiten, erzählt sie, oder nebenher etwas ganz anderes machen, um ihre Familie ernähren zu können. Und neben diesen Alltagssorgen kommen dann auch noch die täglichen Hürden der Recherche dazu. Im Vergleich zu früher seien die Behörden zwar auskunftsfreudiger, aber wenn es um die reine Faktenbeschaffung geht, stoße sie immer noch oft an Grenzen:
"Was wir jetzt brauchen, das ist wirklich noch schwer. Nur so Presseerklärungen und so. Aber jetzt mit Archiven und das alles, das ist noch zu für uns. Man kann über alles schreiben, es ist nur darum, wie man die Fakten kriegt. Natürlich, man kann sich wie ein Schriftsteller etwas ausdenken, aber wenn Du Fakten kriegen willst, das ist ein wenig schwer. Georgien ist nicht so ein großes Land, deswegen bekommen wir sehr viele Informationen von den Leuten. Das Problem ist, das alles nachzuweisen mit Unterlagen."
Dennoch scheint Georgien nach Jahren der politischen Spannungen, der wirtschaftlichen Misere und der Medienrepression auf einem guten Weg zu sein. Nur ein Beispiel dafür ist die Möglichkeit für Journalisten an Informationen über die Zustände in den Gefängnissen heranzukommen. War dies unter Präsident Saakaschwili ein selten gelingendes investigatives Kunststück - damals wurde in den Gefängnissen geschlagen und gefoltert - so ist mit dem heute regierenden Parteienbündnis "Georgischer Traum", dem neuen Präsidenten Georgi Margwelaschwili und dem neuen Regierungschef Irakli Garibaschwili ein Neustart auch im Umgang mit den Medien spürbar. Über den zuständigen ebenfalls neuen Minister sagt Edita:
"Er ist immer offen, er gibt alle Informationen ... Also, was wir brauchen, über Häftlinge. Es wird immer in Gefängnissen protestiert, manche nähen sich den Mund zu, weil sie protestieren. Und trotzdem dieser unangenehmen Sachen, was Ministerium vielleicht nicht so offen zeigen wollte für unsere Gesellschaft. Und wir können wirklich durch PR-Arbeit das bekommen. In welches Gefängnis das passiert ist, warum und wer sind diese Leute. Und früher wir konnten gar nichts wissen. Also, das ist schon ein großer Unterschied. Und ich kann das fühlen, dass sich manche, bestimmte Sachen haben sich wirklich verbessert."