Der beleidigte Präsident
Recep Erdogan ist erst seit 14 Monaten Staatspräsident der Türkei, hat aber schon einen Rekord aufgestellt: Die Justiz hat bereits 236 Ermittlungsverfahren wegen "Beleidigung des Präsidenten" eingeleitet. So sollen Kritiker zum Schweigen gebracht werden. Jüngstes Opfer: die Zeitschrift "Nokta".
Eine satirische Fotomontage brachte der türkischen Zeitschrift "Nokta" jede Menge Ärger mit der Justiz. Das sei Präsidentenbeleidigung, lautete zunächst der Vorwurf des Staatsanwalts, später warf er der Zeitung sogar "Unterstützung einer terroristischen Organisation" vor.
Die Fotomontage zeigt den Staatspräsidenten Erdogan, wie er grinsend ein Selfie vor dem Sarg eines türkischen Soldaten macht. Die betreffende Ausgabe der Zeitschrift "Nokta" durfte nicht mehr ausgeliefert werden, dafür sorgte die Polizei. Sie war früh alarmiert worden.
Perihan Maðden, Schriftstellerin und Journalistin, schildert, wie die Jagd auf kritische Medien in der Türkei inzwischen funktioniert:
Hetzkampagnen gegen kritische Journalisten
"Die regierungstreuen Medien und Organisationen der Regierungspartei AKP, sie gehen mit regelrechten Hetzkampagnen gegen kritische Journalisten vor. Und sie zeigen die kritischen Journalisten auch gleich an. Die Justiz setzt das dann sofort um. Und schon steht die Polizei mit einem Durchsuchungsbefehl in der Tür der Redaktion, so wie neulich beim Magazin Nokta."
Anfang September übten sich einige hundert Anhänger der Regierungspartei AKP gar in Selbstjustiz. Als ihnen eine Twitter-Meldung der Zeitung "Hürriyet" über Präsident Erdogan missfiel, griffen sie das Redaktionsgebäude in Istanbul an, schmissen Scheiben ein, beschimpften die Redakteure als Terroristen und ließen sich erst von der Polizei bremsen.
Kurze Zeit später lauerte eine Gruppe Schläger dem prominenten Hürriyet-Journalisten Ahmet Hakan auf und schlug ihn krankenhausreif. Can Dündar, Chefredakteur der linksliberalen Tageszeitung "Cumhuriyet", meint:
"Dieser Druck ist nicht neu. Die Geschichte der Medien in der Türkei ist gleichzeitig die Geschichte politischer Morde, Bombenanschläge und Razzien. Wir befinden uns heute wieder an einem verheerenden Punkt."
Chefredakteur Can Dündar steht selbst unter Anklage. Ihm droht sogar lebenslange Haft. Seine Zeitung hatte in einem Artikel beschrieben, wie der türkische Geheimdienst Waffen an Extremisten in Syrien liefert, das ganze belegt mit Fotos und Videos.
Terrorvorwürfe statt Aufklärung
Anstatt die Vorwürfe über die obskure Waffenlieferung aufzuklären, schlug der Staat zurück: Staatspräsident Erdogan persönlich erstattete Anzeige gegen Chefredakteur Can Dündar. Der Staatsanwalt formulierte eine Anklage wegen Terrorpropaganda und Spionage und fordert lebenslange Haft für den Chefredakteur; noch aber hat der Prozess nicht begonnen.
Regelmäßig lässt die Regierung Nachrichtenportale im Internet oder Twitter-Accounts von kritischen Journalisten sperren. Da geht es meist nicht gleich um den Vorwurf der Spionage, sondern immer häufiger um "Beleidigung des Staatspräsidenten".
Noch einmal die Schriftstellerin und Journalistin Perihan Magden:
"Heutzutage ist in der Türkei alles eine Beleidigung des Staatspräsidenten. Das ist das neue Druckmittel. Es ist so absurd, dass man fast denken könnte, man brauche nur ein Glas Wasser trinken oder schief blicken und schon hat man den Präsidenten beleidigt."
Erdogan ist erst seit 14 Monaten im Amt des Staatspräsidenten der Türkei, hat aber schon einen Rekord aufgestellt: Die Justiz hat bereits 236 Ermittlungsverfahren wegen "Beleidigung des Präsidenten" eingeleitet, die mittlerweile am häufigsten genutzte Waffe, um Kritiker in der Türkei zum Schweigen zu bringen.