Primatenforschung im Zoo

Die Affen-WG von Leipzig

07:28 Minuten
Das Orang-Utan-Weibchen Padana trägt ihr neugeborenes Baby auf dem Arm.
Die meiste Zeit verbringen die Wissenschaftler im Pongoland des Leipziger Zoos mit dem Beobachten der Tiere. Hier: ein Orang-Utan-Weibchen mit Baby. © picture-alliance/ dpa / Jan Woitas
Von Sven Kochale |
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Auch 20 Jahre nach seiner Eröffnung gehört Pongoland im Leipziger Zoo zu den größten und modernsten Affenanlagen in Europa. Und es ist ein Paradies für Verhaltensforscher. Hier können sie die Tiere fast wie in freier Wildbahn beobachten.
Es herrscht Aufregung im Wohnzimmer der Schimpansen. Daniel Hanus wird hellhörig und bleibt doch ganz gelassen. Denn er sieht sofort, dass es sich um typische Rituale zwischen zwei Affendamen handelt. "Eine deutliche Unterwürfigkeitsgeste", meint der Primatenforscher. "Auch klar zu sehen an dem Präsentieren des Handrückens, des Kopfsenkens. Und dann wurde das akzeptiert. Die haben sich kurz gegroomt. Damit hat sich der Bund zwischen den beiden weiter gefestigt."
Groomen, also die Fellpflege, kann stundenlang dauern. Dabei werden die Affen nicht nur Schmutz und Ungeziefer los. Beim groomen entspannen die Tiere und pflegen soziale Kontakte. Es geht wie beim Menschen um Freundschaften, Netzwerke und Macht. Und dieses Verhalten erforscht Daniel Hanus vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie im Leipziger Zoo.
Pongoland heißt die Heimat von vier Affenarten: Schimpansen, Gorillas, Orang-Utans und Bonobos wie Kuno. Er sitzt direkt vor einer Scheibe. Als sich der Forscher nähert, steht Kuno auf und grüßt mit ausgestrecktem Handrücken – und mit Augenkontakt.
Das allerdings sei etwas Besonderes, erklärt der Psychologe. "Bei allen anderen Arten ist dieses direkte Starren in die Augen eine Dominanzgeste. Die würden sich nie so anstarren." Die Bonobos seien da eine Ausnahme. "Die kommen und gucken einen direkt an. Das war für mich auch eine Überraschung. Das habe ich bislang tatsächlich nur bei Bonobos so erlebt. Die Bonobos haben von allen auch die größte soziale Toleranz. Wobei man aber auch nicht der Fehler machen darf, sie für super friedfertig zu halten und sie als die Hippies unter den Menschenaffen zu bezeichnen. Auch hier gibt es sehr gewalttätige Auseinandersetzungen stellenweise."

Drei Hektar für bedrohte Affenarten

Pongoland dehnt sich über rund drei Hektar aus. Auf einer solchen Fläche muss so mancher Zoo seinen kompletten Tierbestand unterbringen. In Leipzig ist alles etwas großzügiger. Es gibt Felsen, Gräben, Flussläufe, Kletterseile. Eingebettet in einen botanischen Garten. 54 Menschenaffen würden hier leben, erklärt Zoo-Kurator Johannes Pfleiderer. Allesamt vom Aussterben bedroht.

"Pongoland ist auch 20 Jahre nach Eröffnung noch ein Leuchtturmprojekt und ein Maßstab. Zum einen deshalb, weil wir hier vier Arten zeigen können in größeren Gruppen. Und damit haben wir ein Spektrum, was andere aus Platzgründen nicht haben. Und dann diese direkte Verzahnung mit einem Institut vor Ort. Wir haben das Gebäude darauf ausgerichtet, mit den Testräumen. Dass alles so Hand in Hand geht ist eine Ebene, die anderswo nicht erreicht wird."

Den Fähigkeiten der Affen auf der Spur

Hinter dem trubeligen Besucherareal beginnt der abgeschirmte Bereich der Wissenschaftler. Bis zu 20 Forscher bereiten Experimente vor, die über die Fähigkeiten der Menschenaffen Aufschluss geben sollen. So bietet Forschungsdirektor Daniel Hanus den Tieren etwa Hilfsmittel an – wie einen Stock oder einen Haken. Damit können sie zwar im Augenblick nicht viel anfangen. Aber später könnten sie den Affen von Nutzen sein.

Das psychologisch Interessante den Nutzen vom Zeitpunkt der Wahl zu entkoppeln. "Das ist vergleichbar mit dem Menschen, der nicht hungrig ist und in den Supermarkt geht. Weil wir wissen, wir werden irgendwann hungrig sein. Wir merken, wie schwierig das ist. Gerade wenn man hungrig einkaufen geht. Da kann man sich manchmal nicht vorstellen, irgendwann nicht mehr hungrig zu sein." Für gewöhnlich könnten Menschen das entkoppeln. "Diese Trennung zwischen momentanen Bedürfnissen und potenziell zukünftigen Bedürfnissen kriegen wir relativ gut hin."

Experimente und Beobachtung

Das Experiment zeigt, dass auch Affen diese Entkopplung beherrschen. Der angebotene Haken jedenfalls erwies sich Stunden später als nützlich. Mit ihm gelang es dem Bonobo, sich eine Belohnung zu organisieren. "Das war Wahnsinn bei den Orang-Utans", meint Tierpfleger Daniel Geißler, der immer wieder solche Aha-Momente erlebt hat. Er ist Bereichsleiter in Pongoland und von Anfang an dabei.
"Da wurde eine Plexiglas-Röhre mit einer Erdnuss am Käfiggitter festgeschraubt. Der Affe konnte die Röhre nicht umdrehen, nicht kaputtmachen und er kam auch nicht mit den Fingern an die Erdnuss. Und der Affe musste sich überlegen, wie kommt er jetzt da ran." Die Schimpansen hätten dabei eher wenig Geduld und versuchen es oft eher grobschlächtig. "Die haben das nicht hingekriegt, an die Erdnüsse ranzukommen. Und die Orang-Utans haben den Testaufbau gesehen und haben sofort geschaltet und sind zur Selbsttränke gegangen. Die Affen haben überall im Käfig Selbsttränken mit Wasser. Die haben sich das Maul voll Wasser gemacht und haben das in die Röhre gespuckt. Dann haben sie gesehen, dass das Ding zu schwimmen anfängt. Das Wasser reicht noch nicht. Dann das nächste Maul voll Wasser geholt und reingespuckt. Und dann konnten sie halt oben die Erdnuss rausholen."

Wo der Mensch eine Nebenrolle spielt

Experimente sind das eine. Doch die meiste Zeit verbringen die Wissenschaftler mit dem Beobachten der Tiere. Und Pongoland ermöglicht ihnen dabei eine neue Perspektive. Eine Umgebung, die den ursprünglichen Lebensbedingungen nahekommt. Wo der Mensch nur noch eine Nebenrolle spielt und die Affen weitgehend unter sich sein können.
Langweilig wird den Forschern dabei nicht. Sie haben viel Geduld und noch viele Fragen. Jetzt zum Beispiel wollen sie die verschiedenen Entwicklungsstufen der Menschenaffen genauer unter die Lupe nehmen. In Pongoland geht das besonders gut. Die Kindergartenaffengruppe bekommt stetig Zuwachs.
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