Primo Levi: So war Auschwitz. Zeugnisse 1945-1986
Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner
Hanser Verlag, München 2017
303 Seiten, 24,00 Euro
Mit wissenschaftlicher Präzision
Der Italiener Primo Levi nahm sich Ende der 80er Jahre das Leben. Er hatte Auschwitz überlebt und schrieb später viel darüber. Nun ist ein Sammelband erschienen, der seine eigenen Notizen über seine Zeit im Lager mit Briefen und Prozess-Aussagen verknüpft.
Im September 1943 wird der 24-jährige Turiner Partisan Primo Levi von der faschistischen Miliz verhaftet und in ein Gefangenenlager nahe der Stadt Modena gebracht. Bei den Verhören hatte er sich als Jude bekannt und wird deshalb im Februar 1944 nach Auschwitz deportiert, wo er in einem chemischen Labor der IG Farben-Bunawerke Zwangsarbeit leisten muss.
Über diese Zeit in Auschwitz-Monowitz hat er nach seiner Befreiung das Buch "Ist das ein Mensch?" geschrieben, das bei seinem Erscheinen im Jahr 1947 kaum wahrgenommen wurde, inzwischen jedoch nicht nur in Italien Schullektüre ist und längst als ein Werk der Weltliteratur gilt.
In Levis 1963 publiziertem Buch "Die Atempause", das die nachfolgende Odyssee des Auschwitz-Überlebenden quer durch Osteuropa beschreibt, ist in einer Passage von der russischen Kommandantur im damaligen Kattowitz die Rede, die unbedingt etwas über die medizinische (Pseudo-)Versorgung in Auschwitz-Monowitz erfahren wollte.
Voller Empathie für die Opfer
Später wird der unbestechliche Beobachter Primo Levi in einem Gespräch mutmaßen, das sowjetische Interesse sei womöglich im Geheimen auch davon motiviert gewesen, das heimische Gulag-System zu perfektionieren. Dieser Zeugen-Bericht, verfasst zusammen Levis Freund, dem Auschwitz-Überlebenden und Arzt Leonardo De Benedetti, wurde zum Grundstock einer längeren Untersuchung, welche die beiden bereits 1946 in einer italienischen Medizin-Zeitschrift veröffentlichten.
Nun, 30 Jahre nach Levis Selbstmord am 11. April 1987 in Turin, ist dieses ganz frühe Dokument erstmals auf Deutsch zu lesen - unter dem Titel "So war Auschwitz", in einem Band weiterer Texte, Briefe, Wortmeldungen und Prozess-Aussagen. Und wieder besticht Levis geradezu wissenschaftliche Präzision, die dennoch voller Empathie für die Opfer ist und gerade deshalb in jeder Zeile die weihevolle Phrase meidet.
Er erinnert an grauenvolle Szenen, nachdem der Deportationszug im nächtlichen Auschwitz eintraf, unterscheidet Selbstgesehenes von Gehörtem und beschreibt die Physiognomien und Untaten seiner Peiniger, denn selbst im Lager Monowitz war für die Zwangsarbeiter eine Überlebensdauer von höchstens drei Monaten vorgesehen.
In kristalliner Sprache niedergelegt
Von gleicher skrupulöser Genauigkeit sind die schriftlich niedergelegten Aussagen zu den Höß- und Eichmann-Prozessen oder auch die späteren Wortmeldungen in italienischen Zeitungen, um den Unbeteiligten und Nachgeborenen einen Eindruck von der Realität der permanenten Entwürdigung zu vermitteln. Diese Texte wiederum wurden 1986 zur Basis von Primo Levis letztem großem Werk, der Essaysammlung "Die Untergegangenen und die Geretteten".
Besonders denjenigen, die Levis Bücher bereits kennen, vermittelt der jetzt erschienene Band "So war Auschwitz" noch einmal en détail, in welch kristalliner, transparenter Sprache sich dieser Schriftsteller (und Chemiker) immer weiter vorgearbeitet hat, damit das Sprechen über Auschwitz niemals zu routinierter Rhetorik verkommt.