"Bei meinem Vater zu Hause: Wenn ich den mal auf dem Sonntag besuchen komme, dann lese ich mal in seiner Tageszeitung, er liest die 'Süddeutsche Zeitung', sehr passioniert, Und ansonsten spielt das keine Rolle, es sei denn meine Mitbewohnerin kauft mal ne 'Süddeutsche'."
"Es könnte gut sein, dass in fünf Jahren die Zeitung, das Printmedium weg ist und man das gar nicht mehr mitbekommt. Aber aus dem jetzigen Gefühl heraus, würde ich sagen, mir würde was fehlen."
"Ich würde auch aus dem jetzigen Gefühl heraus sagen, dass mir etwas fehlen würde, weil ich es genieße, wenn ich die Möglichkeit habe, eine Printzeitung zu lesen, wenn es dazu kommt."
"Welche Studenten WG kann sich denn ein Süddeutsche-Zeitungsabo leisten? Ich glaube, daran liegt das schon auch."
"Ich würde nicht so pauschal unterscheiden wie Print ist glaubwürdiger und digital ist weniger glaubwürdig."
"Ich hab auf jeden Fall von allen großen Zeitungen die Apps auf dem Handy. Aber das Problem ist halt doch, dass es für viele Artikel, dass man dafür zahlen muss."
"Ich sehe den Paywall Punkt gar nicht so extrem."
Mit Strategie gegen die Zeitungskrise
30:25 Minuten
Das Internet ist schuld: Die Gesamtauflage der deutschen Tagespresse hat sich seit dem Jahr 2000 fast halbiert. Dass damit aber nicht das Ende der Tageszeitung besiegelt ist, zeigen drei Beispiele mit recht unterschiedlichen Überlebensstrategien.
Vater kommt nach Hause, Mutter reicht ihm wortlos die Zeitung, sie ist selbstverständlich noch unbenutzt, ihm gebührt das Erstleserecht. Er setzt sich bequem in den Sessel und schlägt das Blatt auf. Mutter verschwindet aus dem Raum – er will bei der Lektüre ungestört bleiben.
Den Kindern ist es verboten, in der Lektürestunde das Wohnzimmer zu betreten. Überhaupt muss man sehr leise, sein, denn es geht in der Zeitung um schwierige und wichtige Dinge, um Fragen und Probleme weit jenseits des häuslichen Horizonts - wobei dann doch immer erst der Sport kam. So oder so ähnlich bestimmte die Tageszeitung noch vor einigen Jahrzehnten den Feierabend-Rhythmus der deutschen Mittelschicht.
"Wenn jetzt Tageszeitungen wegfallen, würde das glaube ich für mich keine Veränderung darstellen", sagt die Studentin.
Immer mehr Menschen verzichten auf das tägliche Papierrascheln. Seit dem Jahr 2000 hat sich die gedruckte Gesamtauflage der deutschen Tagespresse fast halbiert. Entscheidender Grund für diese Entwicklung ist das Internet. Hier gibt es Nachrichten, vielfach umsonst und immer aktuell.
Zielgruppe aus dem prädigitalen Zeitalter
Gedruckte Zeitungen, so die düstere Prognose, werden künftig nur noch von älteren Menschen aus dem prädigitalen Zeitalter gekauft: Sterben diese, und das wird in den nächsten 20 bis 30 Jahren geschehen, dann sterben mit ihnen auch die Zeitungen, sagen die Pessimisten. Und die Optimisten entgegnen: Dann greifen die Leute eben statt der gedruckten nach der digitalen Tageszeitung. Eines der Kernprobleme der gedruckten Tageszeitung: Junge Leute lesen anders und anderes, das zeigt auch eine kleine Umfrage in einer Hamburger WG.
Wie geht es der Tageszeitung? Das wird quer durch die Branche und von jedem einzelnen Verlagshaus unterschiedlich beantwortet – je nach Interessenlage: Die Patientin atmet zwar noch, aber sie liegt im Wachkoma, sagen die einen. Die Patientin hat die Chance auf vollständige Heilung, wenn sie die nächsten schwierigen Monate übersteht, meinen andere. Die Patientin kann wieder vollständig genesen, wenn sie die notwendigen, hochwirksamen Medikamente nicht verweigert.
Digital-Abos als Schlüssel zum Erfolg
"Man wird sich daran gewöhnen müssen, dass die Auflage von gedruckten Zeitungen wahrscheinlich weiter sinkt. Was überhaupt kein Problem ist, wenn parallel die Zahl der Digital-Abos steigt. Bei uns wächst die Zahl der Digital-Abos im Jahr zwischen 15 und 20 Prozent. Und wenn das so weiter geht, habe ich gar keine Sorge", sagt Lars Haider, der Chefredakteur des "Hamburger Abendblatts".
Hamburger Abendblatt: Gründungsjahr 1948
Damaliger Verleger: Axel Springer
Wahlspruch: "Mit der Heimat im Herzen die Welt umfassen"
Auflage: derzeit rund 170.000
Verkaufspreis: 1,70 Euro
Heutiger Besitzer: die Funke Mediengruppe
Lars Haider sitzt in seinem Büro, hoch über der Hamburger City. Zum Rathaus, dem politischen Zentrum der Hansestadt, sind es nur ein paar Schritte. In den letzten 20 Jahren ist die verkaufte Auflage des Hamburger Abendblatts um rund 45 Prozent gesunken. Keine Panik, wir sehen am Horizont einen deutlichen Silberstreif, entgegnet Lars Haider.
"Mir sagen alle, seit ich Chefredakteur bin: Du bist in einer so schwierigen Branche. Und ich kann das gar nicht empfinden. Es ist total spannend. Vor zehn Jahren habe ich gesessen und Leitartikel geschrieben. Jetzt schreibe ich jeden Tag einen Newsletter, jetzt mache ich einen eigenen Podcast. Jetzt überlegen wir gerade, was wir für Alexa, für WhatsApp machen können als Sprachnachrichten. Ich finde das total spannend. Und deshalb wird es auch Medien wie das Abendblatt geben."
Lars Haiders berufliche Vita ist eng mit dem "Hamburger Abendblatt" verbunden. Vor rund 20 Jahren absolvierte er hier seine Volontärsausbildung, machte dann Stationen bei anderen Blättern, um schließlich im Jahr 2011 als Chef in die Hamburger Redaktion zurückzukehren. Das Zeitungmachen war früher einfacher, räumt er ein:
"Interessanterweise war es damals so, dass man machen konnte, was man wollte, und das meine ich jetzt gar nicht positiv. Man hat einfach das gemacht, was einem gefallen hat. Ohne jetzt – ehrlich gesagt – Rücksicht zu nehmen, ob das auch die Leser interessiert. Sondern: Och, ich hab da mal eine Idee, ich hätte dazu Lust und dann macht man das mal. Und wenn dann mal eine Kritik kam von Lesern, dann hat man das nicht ernst genommen. Wenn ihnen die Zeitung nicht gefällt, dann entziehe ich ihnen hiermit das Abo." Lars Haider stellt fest: "Ich finde die Zeit heute besser, weil wir uns wirklich orientieren an dem, was die Leser haben wollen."
Ehemals ein Geschäft mit üppigen Renditen
Früher galt der Besitz eines Zeitungsverlages als eine Lizenz zum Gelddrucken. Legendäre Verlegerpersönlichkeiten prägten das Bild der Branche: In Deutschland etwa Alfred Hugenberg oder später Axel Springer. In Übersee Tycoons wie Rupert Murdoch oder Randolph Hearst. Üppige Profitraten von 10, 15 oder gar 20 Prozent einzufahren, war der Normalfall im Zeitungsgeschäft.
Und die regionalen Tageszeitungen waren häufig sogar Monopolisten, die in vielen Bereichen die Anzeigenpreise – wenn nicht diktieren – so doch maßgeblich beeinflussen konnten.
"Man muss sich vorstellen, eine Regionalzeitung wie das 'Hamburger Abendblatt' hat 80 Prozent ihrer Umsätze im Wesentlichen durch drei Anzeigenarten gemacht", sagt Lars Haider: "Nämlich durch Wohnungsanzeigen, Stellenanzeigen und KFZ-Anzeigen. In der Zeit, als ich beim Abendblatt anfing, da standen Sonnabend früh um sechs Uhr Leute vor dem Bahnhof und haben händeringend auf das Abendblatt gewartet, haben den Wohnungsteil raus genommen und haben eine Wohnung gesucht."
Wie stehen die Tageszeitungsverlage heute wirtschaftlich da? Eine einhellige Antwort darauf ist sicherlich nicht möglich, die Branchenstruktur ist zu heterogen. Von "Heut ist ein guter Tag zum Sterben" bis zu "Mir san gsund" müssten die Antworten reichen, jedenfalls dann, wenn denn Wahrhaftigkeit zu den Grundtugenden des Verlagsgeschäfts zählen würde.
Die "FR" hat harten Crash knapp überlebt
Die "Frankfurter Rundschau" – einst ein Flaggschiff des linksliberalen überregionalen Journalismus hat einen harten Crash knapp überlebt und versucht heute als regionale Tageszeitung einen Neustart. Chefredakteurin Bascha Mika glaubt, dass auch in der überschaubaren Zukunft Zeitungen aus Papier Abnehmer finden werden:
"Wenn wir über Print reden sind es immer noch die gedruckten Zeitungen, die die 'Cashcow' sind. Und es ist nicht Online. Wir haben da eine alte Kuh, die ist schon ein bisschen in die Jahre gekommen, sie ist auch nicht mehr so ganz fit. Aber sie gibt immer noch Milch und die können wir verkaufen und wir haben da Kohle und zwar auf die Hand. Und dann gibt es da das Kälbchen, das versuchen wir zu päppeln seit mittlerweile Mitte der 90er-Jahre und es will nicht so richtig wachsen und es gibt immer noch keine Milch. Dann kann ich doch nicht hingehen und die alte Kuh abschlachten oder verhungern lassen, bevor nicht das Kälbchen richtig Milch gibt."
Vom österreichischen Autor Thomas Bernhard ist der Satz überliefert; dass "ein Geistesmensch nicht an einem Ort existieren kann, in dem er die 'Neue Zürcher Zeitung' nicht bekommt". Tatsächlich gehört die Qualitätszeitung – wir könnten jetzt auch die "FAZ" oder die "Süddeutsche" nennen – zu einer intellektuellen Kulturlandschaft.
Das Feuilleton der "FAZ" nicht gelesen zu haben, gilt in manchen Kreisen als makelbehaftete Unterlassung. Das tägliche Streiflicht auf der Titelseite der Süddeutschen nicht in den Himmel zu heben oder in Grund und Boden zu kommentieren, sondern gar nicht gelesen zu haben, liefert den Beweis, dass man irgendwie doch nicht zu den gebildeten Kreisen gehört.
Bestimmte Milieus korrespondieren mit bestimmten Blättern. Da liest einer die "FAZ"? Wird wohl ein humanistisch gebildeter Konservativer mit kaufmännischem Background sein. Da blättert einer in der "taz"? Vielleicht ein abgebrochener Soziologiestudent, der da in einem fair gehandelten Latte Macchiato rührt. Ja, Zeitungslesen hat mit Bildung zu tun, nährt jedenfalls die Vermutung, dass hinter dem Blatt immer ein kluger Kopf zu finden ist.
Die digitalen Geschäfte florieren noch nicht
Die Unternehmensberatung Schickler ist auf das Coaching von Medienunternehmen spezialisiert. Rund 100 Zeitungsverlage haben Alexander Kahlmann und sein Beraterteam in den vergangenen Jahren besucht und mit Ratschlägen versorgt. Er kennt die Branche, deren Blindflecke und Chancen. Die Zukunft ist digital, sagt er - kein Zweifel – aber bevor diese goldenen Zeiten anbrechen, hätten die Verlage noch etliche Aufgaben zu lösen, Hausaufgaben. Wie bringe ich dem digitalen Kunden bei, dass er für Online Produkte echtes Geld zu bezahlen hat?
"Paid Content – also bezahlte Inhalte, das hat bisher noch nicht den erwarteten oder erwünschten Erfolg gebracht" sagt Alexander Kahlmann." Da ist man noch überall am Experimentieren Man hat sich nicht zugetraut, mit Inhalten im Digitalen Geld zu verdienen. Da ist die Branche relativ spät aufgewacht. Das passiert aber jetzt in einem zunehmendem Tempo, dass die Verlage richtig Lust darauf bekommen, neue Angebote auszuprobieren, auch mal mit Angeboten zu scheitern, ohne daraus irgendwelche Selbstbewusstseinsprobleme zu bekommen und sagen – auch unter dem Druck der sinkenden Anzeigenmärkte: Wenn wir im Inhaltebereich irgendwo eine Zukunft haben, dann ist das nur in dem Segment, in dem für Inhalte bezahlt wird. Wenn das nicht klappt, haben wir gar keine Chance."
Verlage geben ungern zu, dass sie an der digitalen Verkaufsfront schwächeln, noch immer rote Zahlen schreiben. Aber vermutlich ist das digitale Defizit nicht verallgemeinerbar. Es soll Tageszeitungen geben, deren Onlinestrategie bereits heute gute Ergebnisse liefert. Aber sie bilden eine Ausnahme in der Branche, in der keiner konkrete Zahlen nennen will.
"Es ist aktuell noch ein Investitionsmodell, das muss man ganz klar sagen", sagt Alexander Kahlmann. "Das ist aus meiner Sicht auch nachvollziehbar. Es ist ein neues digitales Geschäftsmodell. Wie das dann am Ende des Tages sinnvoll wirtschaftlich tragbar ist, weiß heute auch noch niemand. Also natürlich, der eine verdient etwas mehr damit als der andere. Und in dieser Phase sind die Verlage. Hier muss man Atem haben, hier muss man unternehmerischen Atem haben, Durchhaltevermögen und nicht erwarten: Ich investiere heute und habe nächstes Jahr da schon meinen Geldfluss. So funktioniert das nicht."
Die Leute wären heute schon zum Bezahlen bereit, aber man muss es ihnen leichter machen, fordert Alexander Kahlmann:
"Wenn allein der Zahlungsprozess für ein digitales Abo nicht über vier Schritte geht sondern in einem Schritt geht, verdoppelt das schon die Umwandlungsraten. Das sind die Dinge, um die es geht. Das sind die Dinge, wo die Leute momentan entnervt aufgeben und sagen: Mensch, das ist doch bei anderen viel, viel einfacher."
Das Digital-Abo kostet mehr als Netflix
"Heute zahlen die Leute im Schnitt 10,20 Euro für ein digitales Angebot des Hamburger Abendblatts", sagt Lars Haider. "Das ist mehr als sie für Netflix bezahlen. Das funktioniert, glaube ich, auch deshalb nur so gut, weil wir so früh angefangen haben zu sagen: Wir nehmen dafür Geld. Alle die, die in den vergangenen Jahren ihre Angebote verschenkt haben, haben jetzt wahrscheinlich ein Problem, die Leser umzustellen."
Die deutsche Zeitungslandschaft bietet große überregionale Tageszeitungen wie die "Frankfurter Allgemeine" oder die "Süddeutsche". Es gibt regionale Titel, beispielsweise den Berliner "Tagesspiegel" oder den "Kölner Stadtanzeiger". Nicht zu vergessen, die kleinen, täglichen Lokalblätter. Zum Beispiel die:
Elbe Jeetzel Zeitung
Gegründet: vor 160 Jahren
Verkaufte Auflage: 11.000 Exemplare
Monatlicher Bezugspreis: 29,40 Euro
Wir fahren nach Lüchow, der Metropole des Landkreises Lüchow Danneberg. Hier sitzen Verlag und Redaktion der "Elbe Jeetzel Zeitung". Die Krise der Zeitungsbranche hat man auch hier im äußersten Nordosten Niedersachsens gespürt, sagt Verlagschef Hanno Saade, aber gefährlich wurde sie ihnen nie.
"Es ist in keiner Weise so, dass wir wirtschaftlich bedroht waren. Ganz im Gegenteil, wir konnten sogar unseren Umsatz und auch das Ergebnis konstant halten", erzält Hanno Saade. "Ich möchte das Klagelied, das die Branche ja oft singt, eigentlich nicht mitsingen. Ich kann für unser Haus sagen, dass wir in den letzten Jahren den Umsatz und auch das Ergebnis stabil halten konnten. Die Umsatzsteigerung gelingt durch Zusatzprodukte, die wir neben der Zeitung am Markt etablieren konnten und in Teilen auch neuer Geschäftsfelder."
Ein mehrfach preisgekröntes Lokalblatt
Das Image der Provinzpostille, des tumben Bauernblatts – unter dem so viele ländliche Zeitungen leiden - hat die "Elbe Jeetzel Zeitung" nicht. Man leistet sich eine große Redaktion und arbeitet mit den Standards der Qualitätspresse. Die Redakteure konnten in den letzten Jahren zahlreiche Preise einheimsen, darunter so renommierte wie den "Wächterpreis der Tagespresse" oder den "Theodor Wolff Preis".
"Auch in der Redaktion haben wir neue Arbeitsweisen eingeführt", sagt Hanno Saade. "Früher war es ja oft so: eine Seite pro Redakteur. Jetzt ist es so, dass wir mit Editoren und Producern arbeiten, beziehungsweise mit Newsdesk, wie man heute sagt. Das heißt, wir geben den Redakteuren bewusst Freiraum zum Schreiben."
Natürlich waren die zurückliegenden Jahre auch für die "EJZ" schwer. Das Anzeigengeschäft war wie überall im Lande eingebrochen, erinnert sich Hanno Saade:
"Damals hatten wir ja zweimal die Woche eine Anzeige von Aldi in der Zeitung. Das ist alles nicht mehr da. Das heißt: Für uns zählt das lokale Geschäft. Das überregionale Geschäft nicht mehr so sehr."
Wenn Aldi und Lidl nichts mehr drucken lassen, dann halten wir uns eben an die örtliche Schlachterei und das Autohaus an der Hauptstraße – so die Strategie der "Elbe Jeetzel Zeitung".
"Meine Medienberater kennen ihre Kunden persönlich. Und die meisten sogar mit Vornamen. Wenn sie mit den Kunden sprechen, dann ist das oft auf Du-Basis, weil sie sich über Feuerwehr und Schützenverein kennen. Und das hilft uns hier sehr beim Verkauf" sagt Hanno Saade. "Die Auslieferung der Zeitung ist ein hoher Kostenblock und der wird natürlich jetzt auch mit Einführung des Mindestlohnes immer höher. Wir haben in den letzten Jahren seit Einführung des Mindestlohnes eine Kostensteigerung von 20 Prozent in diesem Bereich. Und das versuchen wir abzufangen mit einer sehr straffen Bezirks- und Revierplanung. Als der Mindestlohn eingeführt wurde, sind wir tatsächlich alle Reviere und Bezirke selber abgelaufen und haben die Geodaten erfasst. Danach wurde optimiert und Bezirke wurden neu geschnitten. Wir versuchen natürlich jeden Leser hier im Landkreis zu beliefern und das machen wir jede Nacht mit viel Mühe."
Der Branchendienst Meedia kürte die Zeitung bereits zweimal zur "stärksten Heimatzeitung der Republik". Denn von den rund 24.000 Lüchow-Dannenberger Haushalten gehörte "fast jeder zweite zur Elbe-Jeetzel-Kundschaft". Damit war das Blatt die im Verhältnis zur Einwohnerzahl meistverkaufte Tageszeitung aller Kreise Deutschlands. Geholfen dabei hat auch die Demografie, sagt Hanno Saade:
"Wir haben hier leider weniger junge Menschen als im Durchschnitt. Und da ältere Menschen ja bekanntlich eher Zeitungsleser sind, glaube ich, dass das uns ganz gut in die Karten spielt. Ich vermute auch, dass wir wegen der schlechten Internetanbindung im ländlichen Raum als Tageszeitung gute Chancen haben als Informationskanal benötigt zu werden. Wir haben Abos mit langer Haltbarkeit ... . Wenn jemand kündigt, ist es eigentlich fast zu einhundert Prozent wegen Tod oder Wegzug. Es gibt keine Kündigung aufgrund der Qualität des Produktes."
Keine kostenlosen Online-Beiträge im Angebot
Auch wenn der Nutzerkreis überschaubar und die Funklöcher zahlreich sind, Onlinepräsenz ist Pflicht und Gratisartikel sind nicht im Angebot.
"Wir haben 2014 eine Digitalschranke eingeführt", erklärt Hanno Saade. "Mir war es wichtig, dass es ein einfaches Modell ist für unsere Nutzer. Sodass wir uns entschieden haben, wir machen eine harte Bezahlschranke. Alle lokalen Artikel sind abgeschlossen. Man muss natürlich auch ehrlich sagen: Insgesamt betrachtet ist der Digitalumsatz nur ein kleiner Anteil vom Gesamtumsatz."
Eine Zeitung wird alles unterlassen, was ihre Stammleserschaft verprellen, ja zur Abokündigung treiben könnte. Darauf zu achten, ist die vornehmste Aufgabe des Chefredakteurs, denkt man. Anderseits: Die Menschen bleiben ihrer Zeitung treu, nicht obwohl sie sich ärgern, sondern weil sie sich ärgern – auch dies ist ein eherner Lehrsatz der Leser-Blatt-Bindung. Und der gilt auch in Lüchow Dannenberg. Und da besonders.
"Durch die Vergangenheit, die wir hier im Landkreis haben mit Castor-Transporten und Widerstand, ist die Streitkultur sehr ausgeprägt", erläutert Hanno Saade. "Das merken wir auch im Blatt bei uns: Wir haben im Durchschnitt zweimal die Woche eine ganze Seite mit Leserbriefen. Diese gefühlte Flut von Leserbriefen ist einzigartig. Die Leser nutzen die 'EJZ' um sich mitzuteilen. Und das ist ein ganz großer Vorteil, den wir hier haben."
Mit dem umkämpften Atomendlager in Gorleben hat die "Elbe Jeetzel Zeitung" seit Jahrzehnten ihr stabiles Streitthema. Niemand hat ausgerechnet, wie viele meinungsschwere Leserbriefe zur Atomfrage bisher in das Blatt gelangten. Viele Tausend allemal, vielleicht aber auch Zehntausende. Die "Elbe Jeetzel Zeitung" hat dabei ihre Funktion als Dialogplattform gern angenommen und gilt deshalb bei ihren Lesern im positiven Sinne als ein Organ der Streitkultur.
Berlin, Friedrichstraße, hier ist der Redaktionssitz der "tageszeitung".
Genannt: "taz"
Gegründet: 1978
Eigentümer: Die "taz"-Genossenschaft
Verkaufte Auflage: 50.000
Unter der Hausnummer 21 ist ein neues, futuristisches Bürohaus entstanden. Das ökologisch ausgereifte Gebäude kostete rund 20 Millionen Euro. Investor ist die Tageszeitung "taz", die kleinste der überregionalen Zeitungen in Deutschland. Eine Zeitung getragen von einer Genossenschaft.
"Die Genossenschaft hatte das Ziel, vor allem die Eigenkapitalbasis der 'taz' zu stärken", sagt Karl-Heinz Ruch. "Die' taz' war in den ersten zehn Jahren, also in den 80er-Jahren, ein selbstverwalteter Betrieb wurde von jungen Studentinnen und Studenten so Mitte 20 gegründet, die viele Ideen hatten, aber kein Geld. Als dann die Mauer fiel, musste dann die 'taz', die in Berlin, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war, ihre Strukturen ändern, weil Berlin wurde auf einmal teuer wie heute auch. Und es stellte sich für den Mitarbeiterbetrieb die Frage, wie geht das weiter."
Taz-Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch ist Mitarbeiter der ersten Stunde. Von der Zeitungsgründung in den späten 1970er-Jahren bis heute, betreut er das ungewöhnliche Zeitungsprojekt:
"Das Modell der Unabhängigkeit war dann die Genossenschaft. Die Genossenschaft hat aus heutiger Sicht den Durchbruch gebracht, ein System wie die 'taz' wirtschaftlich und finanziell solide zu machen. Die 'taz' hat heute 18.000 Genossinnen und Genossen, die über 18 Millionen Euro Eigenkapital eingelegt haben in die 'taz'."
Unabhängig dank Genossenschaft und solidarischer Leserschaft
Die 'taz' verzichtete in ihrem Online Angebot von Anfang an auf Bezahlschranken. Leser sollen freiwillig zahlen:
"Du zahlst für etwas, was du eigentlich auch umsonst lesen könntest. Aber weil Journalismus teuer ist, weil Qualität Geld kostet, brauchen wir das Geld."
Abonnement-Modell heißt: Ich brauche Kunden, von denen ich Name, Adresse, Anschrift, Einzugsermächtigung hab und von denen ich jeden Monat einen Betrag einziehe. Die Wochentags-"taz" wird von 39.000 Abonnenten bezogen, die Wochenendausgabe von 50.000. Krise? Welche Krise? Es ist die Krise der anderen Zeitungshäuser, sagt Karl-Heinz Ruch. Der dramatische Rückgang des Anzeigengeschäfts ist an der "taz" spurlos vorbeigegangen. Kommerzielle Tageszeitungen schöpften ihre Erträge bis zu Zweidritteln aus Anzeigenerlösen. Das war bei der "taz" immer anders.
"Die Zeitung finanziert sich zu einem ganz kleinen Teil aus Anzeigen, das sind immer zehn Prozent" erklärt Karl-Heinz Ruch. "Und zum ganz großen Teil aus Abonnements der ganz unterschiedlichen Art. Die 'taz' war schon immer eine Zeitung, die von den Erlösen ihrer Leserinnen und Leser gelebt hat, sie hat nie von Anzeigen gelebt. Deshalb hat uns der erste Teil der Zeitungskrise, der ja dadurch entstand, dass das Anzeigengeschäft ins Netz gegangen ist, wenig tangiert. Die 'taz' hat immer davon gelebt, dass es genügend Menschen gibt, die ein Bewusstsein haben, dass Journalismus bezahlt werden muss. Die 'taz' hat immer von einer solidarischen Unterstützung gelebt. Die solidarische Haltung der Leserinnen und Leser zeigt sich, dass so Modelle wie der' taz'-Solidarpakt, das ist etwas, was wir 1992 eingeführt haben, dass man für eine Abo drei unterschiedliche Preise zahlen kann, je nachdem was man meint, wie viel man zahlen will."
Da gibt es den ermäßigten Preis von 33,90 Euro, den Standard-Abopreis von 52,90 und den Preis für politische Unterstützer von 64,90.
"Wir prüfen keine Belege", sagt Karl-Heinz Ruch. "Und das ist ein Modell, was sich jetzt seit 30 Jahren gehalten hat."
Laut Karl Heinz Ruchs Analyse hat die gedruckte Zeitung auf Dauer keine Überlebenschance. Auch nicht die "taz". Aber auf ein Datum, an dem das Sterbeglöckchen für das letzte Druckwerk in deutschen Landen schlägt, will er sich nicht festlegen. Seine Sorge gilt insbesondere den überregionalen Blättern:
"Das Segment war schon immer klein und ist ein bisschen kleiner geworden. Es sind jetzt ja nur noch die 'FAZ', die 'Süddeutsche' und die 'taz' unterwegs. Die 'Welt' ist jetzt auch mehr im Digitalen. Das heißt, die eigentliche Achillessehne ist ja heute der Vertrieb."
Zeitungsaustragen, das war früher ein Taschengeld-Job für Schüler oder eine Zuverdienstmöglichkeit für Rentner. Nun gilt bundesweit und verbindlich der Mindestlohn von 9,19 Euro.
"Die Auflagen, die zugestellt werden, werden immer weniger", sagt Karl-Heinz Ruch. "Die Kosten, die damit verbunden sind, werden immer höher. Wir sehen es so, dass diese Zustellthematik, die Vertriebsthematik eigentlich die Achillesferse dieser Tageszeitungstradition ist. Weil, die Auflagen, die sinken ganz kontinuierlich, ohne dass man sieht, das da irgendwo mal Bodenbildung erreicht würde. Und wir als kleinste überregionale Tageszeitung wollen uns nicht davon abhängig machen, ob und wann dieses System dann irgendwann nicht mehr funktioniert. Deshalb haben wir gesagt, wir müssen uns darauf vorbereiten, dass wir aus diesem System aussteigen können."
Abschied vom Druck an Wochentagen kann funktionieren
Karl Heinz Ruch zieht aus seinen Überlegungen einschneidende Konsequenzen für das eigene Blatt.
"Wir haben ja als erste laut gesagt, wir gehen fest davon aus, dass es das tägliche Tageszeitungsdrucken bald nicht mehr geben wird. Wir gehen durchaus davon aus, dass beim Drucken etwas bleiben wird, nämlich dass man eine Wochenendausgabe gut weiter publizieren kann, das zeigt ja auch die stabile Lage der 'Zeit'."
Wenn alles so läuft wie prognostiziert, könnte die "taz" schon bald papierfrei sein – zumindest an den 250 Werktagen des Jahres.
"Wir haben ja das Szenario aufgestellt, 2022, wo wir gesagt haben, was passiert eigentlich, wenn wir am 01. Januar 2022 zur Arbeit gehen und müssen nicht mehr die tägliche, gedruckte Zeitung machen? Kann das überhaupt funktionieren? Kann es eine 'taz' geben ohne die Abonnements für die täglich gedruckte Zeitung? Das haben wir uns einfach als Rechenaufgabe aufgemalt, wie sich etwas entwickeln muss. Und da sagen wir, das funktioniert. Also, man muss keine Sorge haben, es rechnet sich."
Autor: Rainer Link
Regie: Klaus-Michael Klingsporn
Technik: Ralf Perz
Sprecherin: Julia Brabandt
Sprecher: Markus Hoffmann
Redaktion: Martin Hartwig