Corona-Hilfsprogramm
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Keine Bedarfsförderung, sondern das Prinzip Gießkanne
54:53 Minuten
Um die Kultur während der Corona-Lockdowns zu schützen, legte der Bund das Förderprogramm "Neustart Kultur" auf. Ein Rechercheteam von Deutschlandfunk Kultur hat es untersucht und fand heraus: Geld floss auch an jene, die es gar nicht nötig hatten.
Im Pandemiejahr 2020 drohten in vielen Bereichen in Deutschland die Lichter auszugehen - ganz besonders in der Kultur. Um sie vor dem freien Fall zu bewahren, legte der Bund eigene Förderprogramme für den Kulturbereich auf. Das prominenteste wurde Neustart Kultur - erst mit einer, dann mit zwei Milliarden Euro ausgestattet.
Ein Rechercheteam von Deutschlandfunk Kultur ist der Verteilung der Mittel aus diesem Programm nachgegangen und hat zunächst seine Recherchen zum Bereich der bildenden Kunst veröffentlicht.
Über 100 Millionen Euro aus dem Topf von Neustart Kultur gingen an diese eher kleine Sparte. Zu den anderen Bereichen wird noch recherchiert, doch schon die ersten Ergebnisse des Teams haben eine Kontroverse ausgelöst. Der “Kulturpoltische Salon“ greift sie in dieser Sendung auf.
Doppelt und dreifach
Das Rechercheteam analysierte, welche Gruppen von den Fördermitteln besonders profitierten und fand heraus, dass vor allem die Galerien großzügig bedacht wurden. So hätten, sagt Max Kuball, ca. 80 Prozent aller Galerien, die einen Antrag stellten, auch einen positiven Förderbescheid erhalten.
“Bei den Programmen für bildende Künstlerinnen und Künstler war diese Zusage-Quote signifikant niedriger, nämlich unter 20 Prozent. Und das war so der erste Befund, wo wir uns gedacht haben: 'Ist ja komisch. Da war also im Vergleich offenbar sehr viel mehr Geld da.'“
Bei der Frage, wer wie oft gefördert worden war, fand das Team von Deutschlandfunk Kultur heraus, dass Galerien zum Teil doppelt, teilweise sogar dreifach abkassiert hatten - aus verschiedenen Corona-Hilfstöpfen.
“Und dann haben wir uns angeguckt, welche Galerien gefördert wurden und sind sehr schnell darauf gestoßen, dass auch die absoluten Top-Galerien in Deutschland, die international unterwegs sind, die auf der Art Basel unterwegs sind, in Miami unterwegs sind, dass die auch alle daraus Beträge bekommen haben.“
Der Förderbedarf wurde nicht überprüft. Spitzengalerien, die Millionenumsätze machen, erhielten staatliche Finanzspritzen aus dem Galerieprogramm von Neustart Kultur - Künstlerinnen und Künstler gingen oft leer aus.
Hauptsache sichtbar
Die Verteilung der Finanzmittel aus dem Galerieprogramm wurde 2020 von der “Stiftung Kunstfonds“ verwaltet. Die Stiftung vergibt Bundesmittel an bildende Künstlerinnen und Künstler und fördert Projekte zur zeitgenössischen bildenden Kunst.
Man habe sich, sagt Geschäftsführerin Karin Lingl, damals bewusst entschieden, Ausstellungsformate in Galerien zu fördern. Damit Kunst sichtbar bleibe.
“Die Museen waren geschlossen, vieles war im Lockdown, selbst die Kunstvereine mussten zu machen. Die Künstler und Künstlerinnen waren auf ihre Ateliers oder ihre Einzelunternehmungen beschränkt. Es fehlten die Orte, es fehlte das Netzwerk, man konnte Kunst nirgends mehr analog sehen. Und das war der Punkt, wo unser Stiftungsrat dann gesagt hat: ‘Liebe Leute, in Galerien kann man jetzt gerade Kunst sehen. Und zwar durchgängig.‘“
Die Künstlerinnen und Künstler seien froh gewesen, ausstellen zu können. Denn sie bräuchten Öffentlichkeit.
Gelder gern genommen
Als die Pandemie über die Kulturbranche hereinbrach, befürchteten die Galerietriebe Umsatzeinbrüche von 60 bis 100 Prozent, sagt Thorsten Jantschek. Doch so schlimm sei es dann gar nicht gelaufen:
“Es war schlicht und einfach so, dass man schnell erkennen konnte, dass die Sammlerinnen und Sammler zurückgekehrt sind, die Verantwortung wahrgenommen haben, Künstlerinnen und Künstler gefördert haben, dass sehr viel mehr gekauft wurde als ursprünglich vorgesehen.“
Die Umfragen und Interviews des Rechercheteams hätten ergeben, dass viele Galerien das staatliche Fördergeld gerne genommen hätten, auch als moralische Unterstützung. “Existenz erhaltende Maßnahmen“ seien es aber in den meisten Fällen nicht gewesen.
Als Monika Grütters 2020 Neustart Kultur ins Leben rief, unterstrich sie, dass es dabei um einen verantwortungsvollen Umgang mit Steuergeldern gehen müsse. Genau da habe das Rechercheteam den Finger drauf gelegt, sagt Thorsten Jantschek.
“Und bei bestimmte Programmen gesagt, das hätte man besser machen können. Und das Galerieprogramm gehört nun mal leider dazu: Bilanzen sind öffentlich, drei Klicks, dann ist man beim Bundesanzeiger, dann sieht man bei den GmbHs die Gewinnzahlen nach Steuern - und kann die einschätzen.“
Mit der heißen Nadel gestrickt
Die Adressaten der Kritik am Vergabesystem der Fördergelder von Neustart Kultur seien nicht diejenigen, die das Geld bekommen hätten, sagt Max Kuball: “Weder die bildenden Künstlerinnen und Künstler, noch die Kunstvereine noch die Galerien. Die haben sich an die geltenden Richtlinien gehalten. Unser Adressat ist tatsächlich die Politik. Und zwar haben wir das Gefühl, dass diese Förderrichtlinien mit sehr, sehr heißer Nadel gestrickt wurden.“
Natürlich wisse er, warum. Doch trotzdem hätte man beim Galerieprogramm nachbessern können. Vor allem, als es ein Jahr später in die zweite Runde ging: “Man hätte sowas wie eine Bedarfsprüfung einziehen können, Mehrfachförderung ausschließen können. Aber es wurde eins zu eins noch einmal aufgelegt und da wurde an den Förderrichtlinien nichts verändert.“
Helle Aufregung
Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutsche Kulturrats, hat das Staatsministerium für Kultur und Medien bei der Entwicklung des Neustart Kultur-Programms beraten. Er betont, dass es “beste“ aller Förderprogramme sei und im Bereich der bildenden Kunst “die allergrößten Teile der Mittel“ an die Künstlerinnen und Künstler geflossen seien.
Die Veröffentlichungen des Recherche-Teams von Deutschlandfunk Kultur habe den gesamten Kulturbereich in helle Aufregung versetzt. Leider.
“Im Moment arbeiten wir an dem Energiefonds, um die Kulturorte in die Lage zu versetzen, mit den höheren Kosten umzugehen. Da wird mir in den Sitzungen um die Ohren gehauen: ‘Schauen Sie sich doch diese Veröffentlichung an, wir brauchen mehr Bürokratie, es muss genauer werden, die Mittel dürfen nicht mehr so einfach vergeben werden.‘ Das ist im Moment das Ergebnis der Recherche von Deutschlandfunk Kultur.“
(tif)
Es diskutierten:
- Dr. Karin Lingl, Geschäftsführerin der Stiftung Kunstfonds
- Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
- Max Kuball und Thorsten Jantschek, Redakteure Deutschlandfunk Kultur
Die Aufzeichnung fand am 7. Dezember 2022 im Deutschen Theater Berlin statt.
Der Kulturpolitische Salon ist ein Diskussionsforum, das der Deutsche Kulturrat, der Deutsche Bühnenverein, das Deutsche Theater Berlin und Deutschlandfunk Kultur gemeinsam betreiben.