Offene Begegnungsarchitektur
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Seit mehr als 40 Jahren bereichern Yvonne Farrell und Shelley McNamara aus Dublin die Welt mit ihrer skulpturalen Begegnungsarchitektur. Nun wird ihre Arbeit mit dem Pritzker-Preis gewürdigt. Zu Recht, meint der Architekturkritiker Nikolaus Bernau.
Der Pritzker-Preis gilt als wichtigste Auszeichnung der Architektur-Branche. In seiner jahrzehntelangen Geschichte waren fast immer Männer die Preisträger. Nun wurden gleich zwei Frauen mit dem "Nobelpreis der Architektur", wie die Ehrung auch genannt wird, ausgezeichnet: die irischen Architektinnen Yvonne Farrell und Shelley McNamara.
Vor über 40 Jahren, genauer: 1978, gründeten die beiden in Dublin ihr gemeinsames Büro "Grafton Architects". Seitdem kreierten sie Räume, die gleichzeitig respektvoll und neu seien, hieß es am Dienstag in Chicago von der Hyatt-Stiftung, die den Preis vergibt. Aus der Fachwelt hört man, sie hätten den Preis schon längst bekommen müssen. "Absolut!", pflichtet unser Architekturkritiker Nikolaus Bernau bei.
Vor zwei Jahren überraschten sie mit einem Manifest
Vor zwei Jahren kuratierten Farrell und McNamara die Architekturbiennale in Venedig unter dem Motto "Free Space", also Freiraum. Dazu hatten sie ein Manifest veröffentlicht, das, wie Bernau berichtet, die meisten, die ihre Arbeit kannten, anfangs doch sehr überrascht hat – ein Manifest, "bei dem wir uns alle gefragt haben: Was ist das für theorieschweres 'Geschwabere'?"
Doch dann habe man ein ihrer bisherigen Arbeit zugrundeliegendes Konzept erkannt. Bei Farrell und McNamara drehe sich nämlich alles um die Frage: Wie funktioniert öffentlicher Raum? So deuteten sie beispielsweise die Funktion von Balkonen oder Treppenhäusern um:
Diese dienten fortan nicht mehr dem isolierten Verweilen zuhause oder dem hastigen Hoch- und Runtergehen, sondern der Kommunikation und dem gemeinschaftlichen Verweilen, wie Bernau berichtet.
In der Tradition von Luis Barragán
Ihre Bauten stünden einerseits in der Tradition der klassischen Nachkriegsmoderne und andererseits für "offene Begegnungsarchitektur" in der Tradition von Luis Barragán, so Bernau weiter, "diesem wunderbaren mexikanischen Architekten, der riesige Betonbauten gemacht hat, die eigentlich Skulpturen sind."
Farrell und McNamara "arbeiten sehr viel mit Beton, mit sehr großen Sichtbetonflächen, mit sehr harten Ziegelflächen, mit ganz offengelegten Konstruktionen, mit ganz langen Perspektiven durch die Räume durch". Bernau hebt dabei besonders das von den Architektinnen entworfene Universitätsgebäude in Lima hervor: "Das ist ein großes statisches Gerüst aus Balken und dann sind da die Räume quasi eingeschoben regelrecht."
Der Stil von Farrell und McNamara zeichnet sich also einerseits durch dieses Gemeinschaftliche und andererseits durch das Denken in Skulpturen aus, erklärt unser Architekturkritiker Nikolaus Bernau.