Private Dinge werden "sehr politisch interpretiert"
Im Streit um die Homo-Ehe würden Lebensformen thematisiert, die "lange Zeit tabuisiert" gewesen seien, sagt der Soziologe Hans Bertram. Der Gedanke der Fürsorge rücke nun in den Vordergrund gegenüber der Frage der Reproduktion in der klassischen Ehe.
Korbinian Frenzel: Es häuft sich da etwas in letzter Zeit: In Frankreich gehen Hunderttausende gegen die Homo-Ehe auf die Straße, und das wiederholt. In Amerika setzt das oberste Gericht mehr Rechte für Schwule und Lesben durch und sorgt damit für heftige Debatten, genauso wie ein eher harmlos daher gekommenes Papier der evangelischen Kirche in Deutschland, das seinen, na ja, zumindest halben Frieden mit dem Bündnis von Mann-Mann oder Frau-Frau schließen wollte.
Was in Gottes Namen ist los, dass wir auf einmal mit Verve über das Zusammenleben diskutieren, als wäre das alles gar nicht privat, sondern höchst politisch. Fragen über Fragen. Antworten hat hoffentlich Hans Bertram für uns, Professor für Mikrosoziologie an der Humboldt-Universität Berlin, jetzt mein Gesprächsgast. Guten Morgen, Herr Bertram.
Hans Bertram: Guten Mogen, Herr Frenzel.
Frenzel: Täuscht das, oder erleben wir wirklich gerade Zeiten, wo das Private wieder politisch ist?
Bertram: Sie haben ja schon zu Recht das Wörtchen "wieder" benutzt. Ich glaube, es gibt so Wellen. Denken Sie nur an die 60er- und 70er-Jahre, als der Umbruch etwa der 68er-Generation stattfand, da war auch das Private außerordentlich politisch. Aber denken Sie auch an andere Zeiten, etwa während der Auseinandersetzung um die Lebensführung von Prinz Charles und Diana, da wurde dann gefragt, kann so jemand überhaupt König sein? Also, ich denke, es gibt immer so Wellenbewegungen, wo offensichtlich ganz private Dinge, die eigentlich niemanden was angehen, dann doch sehr politisch interpretiert werden. Und ich denke, das ist nicht nur in unserer Zeit so gewesen. Das war schon im 19. Jahrhundert so, und da ging es um die Durchsetzung der bürgerlichen Familie. Auch dort gab es große Auseinandersetzungen, die ganz hitzig geführt wurden.
Frenzel: Aber eigentlich haben wir doch gerade eine Zeit, erleben wir eine Zeit, in der jeder nach seiner Fasson selig werden kann. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum sich auf einmal gerade jetzt an dieser Frage der Gleichstellung Homosexueller so viel Widerstand regt?
Bertram: Ja, ich denke schon, dass es natürlich auch damit zusammenhängt, da werden plötzlich Lebensformen thematisiert, die lange Zeit tabuisiert gewesen sind, und ich denke, dass es dann viele Menschen gibt, die sich damit auseinandersetzen, auseinandersetzen wollen oder müssen, und auf diese Weise natürlich auch dann genau dieser Konflikt entsteht, weil etwas dort diskutiert wird, was vielleicht mit der eigenen privaten Lebensentscheidung nicht wirklich übereinstimmt. Der eine Grund.
Und wenn man jetzt Frankreich nimmt: Ich glaube, das wird ja auch genutzt, um sozusagen gegen einen Präsidenten, der jetzt auf der anderen Seite der politischen Arena steht, in irgendeiner Weise gegen anzukämpfen, sodass ich denke, da vermischen sich dann private Dinge, politische Dinge zu einer Mischung, die glücklicherweise bei uns ja nicht in dieser Form existiert.
Frenzel: Ja, daran würde ich direkt anknüpfen. Steckt dahinter vielleicht so etwas wie ein letzter Verteidigungskampf der Konservativen, die ja in allen gesellschaftspolitischen Fragen seit '68 die Hegemonie verloren haben?
Bertram: Ja, das könnte man so interpretieren. Aber ich glaube, wir werden immer wieder solche Konflikte erleben. Wir wissen nicht von vornherein, wo die eigentlich aufbrechen werden, aber ich glaube schon, dass es einfach natürlich in einer Gesellschaft sehr unterschiedliche Werte und Lebensvorstellungen gibt, und die werden manchmal halt ganz konflikthaft ausgetragen. Und ich glaube wirklich … "das letzte Gefecht" würde ich nicht sagen, sondern ich denke, wir werden immer wieder solche Diskussionen und Auseinandersetzungen erleben, weil es ja auch wichtig ist, dass die Menschen sich darüber vergewissern, wie sie eigentlich ihr Leben führen, wie der Staat drauf reagiert – denken Sie bei uns in Deutschland an die Diskussion: Ist ein Familiensplitting, ein Ehegattensplitting oder eine Kindergrundsicherung richtig? Da sind ja auch ganz viele Konflikte dahinter, wie ich beispielsweise die Ehe in unserer Gesellschaft interpretiere, und ich denke, das muss wahrscheinlich auch in einer Gesellschaft so sein.
Frenzel: Sie erforschen Familien, ihre Funktion in der Gesellschaft. Wie wichtig sind sie denn wirklich, wie sehr brauchen wir sie für den Zusammenhalt? Ist das eine Sache, die auch die Ehe, die klassische Ehe am besten leisten kann?
Bertram: Also ich denke schon, Kinder brauchen ihre Eltern. Ich glaube, das kann man relativ klar sagen, und ohne Bindungen, ohne Unterstützung ist es für Kinder ganz schwer, erwachsen zu werden. Und von da aus gesehen ist das, glaube ich, ganz wichtig, aber diese Bindung, die Kinder brauchen zu Erwachsenen und das Vertrauen und die Unterstützung, die muss natürlich nicht in der klassischen Ehe allein gelebt werden, sondern die können natürlich, das wissen wir ja auch aus der Forschung, bei Alleinerziehenden genauso gut realisiert werden. Wie wir auch keine Forschungen haben, die irgendwie zeigen, dass nicht eine Beziehung Mann-Mann-, Frau-Frau-Kind nicht auch zu einer glücklichen Entwicklung der Kinder beitragen kann. Aber diese private, intime Beziehung, die braucht man schon.
Frenzel: Nun ist ja immer wieder ein Argument der Gegner einer kompletten Gleichstellung, dass nur Mann und Frau auch die Reproduktion der Gesellschaft sicherstellen. Ist das einfach nur ein archaisches Argument oder muss man darauf auch mal einen zweiten Gedanken verschwenden?
Bertram: Ja, das muss man schon, weil natürlich im Grunde genommen sozusagen wir eine Umdeutung vornehmen von Ehe und Familie. Klassischerweise war die Reproduktion ein ganz wichtiger Punkt bei der Ehe. Das ganze Eherecht, Unterhaltsrecht und so weiter basiert ja auf solchen Vorstellungen. Und jetzt rückt der Gedanke der Fürsorge für andere, und zwar Fürsorge, die so verbindlich ist, dass man sie auch nicht aufgeben kann, in den Vordergrund. Und wenn Sie sozusagen von der Reproduktion stärker zur Fürsorge für andere kommen, dann spielt das Geschlecht eigentlich keine Rolle, weil natürlich Männer füreinander genauso gut Fürsorge leisten können wie Frauen füreinander. Und ich denke, da gibt es sozusagen im Augenblick so einen Prozess der Umdeutung. Und dieser Prozess der Umdeutung, der macht natürlich auch vielen Schwierigkeiten.
Frenzel: Müssten wir dann am Ende eigentlich auch – oder vielleicht gar nicht am Ende, sondern schon ziemlich bald – das Grundgesetz mal entstauben und sagen, dass wir, wenn wir diese Umdeutung erleben, auch vielleicht diesen Ehebegriff mal ein bisschen erweitern?
Bertram: Also ich denke, ich fände es nicht falsch, wenn sozusagen diese Frage der Fürsorge stärker thematisiert würde als nur die Ehe. Das bin ich ganz sicher, weil ja die Fürsorge auch bei älteren Menschen – also, warum sollen nicht zwei ältere Frauen, die zusammenziehen, sich wechselseitig unterstützen, wenn jetzt die andere krank wird beispielsweise in unserer Gesellschaft, dann kann die Partnerin, wenn man das nicht vorher nicht irgendwie vertraglich geregelt hat, keinerlei Informationen darüber bekommen, was ich zum Beispiel für ein großes Problem halte.
Frenzel: Und dann ist es gar nicht mehr privat. Warum weltweit über das Zusammenleben diskutiert wird – Professor Hans Bertram von der Humboldt-Universität war das im Gespräch. Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch.
Bertram: Bitte schön, Wiederschauen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Was in Gottes Namen ist los, dass wir auf einmal mit Verve über das Zusammenleben diskutieren, als wäre das alles gar nicht privat, sondern höchst politisch. Fragen über Fragen. Antworten hat hoffentlich Hans Bertram für uns, Professor für Mikrosoziologie an der Humboldt-Universität Berlin, jetzt mein Gesprächsgast. Guten Morgen, Herr Bertram.
Hans Bertram: Guten Mogen, Herr Frenzel.
Frenzel: Täuscht das, oder erleben wir wirklich gerade Zeiten, wo das Private wieder politisch ist?
Bertram: Sie haben ja schon zu Recht das Wörtchen "wieder" benutzt. Ich glaube, es gibt so Wellen. Denken Sie nur an die 60er- und 70er-Jahre, als der Umbruch etwa der 68er-Generation stattfand, da war auch das Private außerordentlich politisch. Aber denken Sie auch an andere Zeiten, etwa während der Auseinandersetzung um die Lebensführung von Prinz Charles und Diana, da wurde dann gefragt, kann so jemand überhaupt König sein? Also, ich denke, es gibt immer so Wellenbewegungen, wo offensichtlich ganz private Dinge, die eigentlich niemanden was angehen, dann doch sehr politisch interpretiert werden. Und ich denke, das ist nicht nur in unserer Zeit so gewesen. Das war schon im 19. Jahrhundert so, und da ging es um die Durchsetzung der bürgerlichen Familie. Auch dort gab es große Auseinandersetzungen, die ganz hitzig geführt wurden.
Frenzel: Aber eigentlich haben wir doch gerade eine Zeit, erleben wir eine Zeit, in der jeder nach seiner Fasson selig werden kann. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum sich auf einmal gerade jetzt an dieser Frage der Gleichstellung Homosexueller so viel Widerstand regt?
Bertram: Ja, ich denke schon, dass es natürlich auch damit zusammenhängt, da werden plötzlich Lebensformen thematisiert, die lange Zeit tabuisiert gewesen sind, und ich denke, dass es dann viele Menschen gibt, die sich damit auseinandersetzen, auseinandersetzen wollen oder müssen, und auf diese Weise natürlich auch dann genau dieser Konflikt entsteht, weil etwas dort diskutiert wird, was vielleicht mit der eigenen privaten Lebensentscheidung nicht wirklich übereinstimmt. Der eine Grund.
Und wenn man jetzt Frankreich nimmt: Ich glaube, das wird ja auch genutzt, um sozusagen gegen einen Präsidenten, der jetzt auf der anderen Seite der politischen Arena steht, in irgendeiner Weise gegen anzukämpfen, sodass ich denke, da vermischen sich dann private Dinge, politische Dinge zu einer Mischung, die glücklicherweise bei uns ja nicht in dieser Form existiert.
Frenzel: Ja, daran würde ich direkt anknüpfen. Steckt dahinter vielleicht so etwas wie ein letzter Verteidigungskampf der Konservativen, die ja in allen gesellschaftspolitischen Fragen seit '68 die Hegemonie verloren haben?
Bertram: Ja, das könnte man so interpretieren. Aber ich glaube, wir werden immer wieder solche Konflikte erleben. Wir wissen nicht von vornherein, wo die eigentlich aufbrechen werden, aber ich glaube schon, dass es einfach natürlich in einer Gesellschaft sehr unterschiedliche Werte und Lebensvorstellungen gibt, und die werden manchmal halt ganz konflikthaft ausgetragen. Und ich glaube wirklich … "das letzte Gefecht" würde ich nicht sagen, sondern ich denke, wir werden immer wieder solche Diskussionen und Auseinandersetzungen erleben, weil es ja auch wichtig ist, dass die Menschen sich darüber vergewissern, wie sie eigentlich ihr Leben führen, wie der Staat drauf reagiert – denken Sie bei uns in Deutschland an die Diskussion: Ist ein Familiensplitting, ein Ehegattensplitting oder eine Kindergrundsicherung richtig? Da sind ja auch ganz viele Konflikte dahinter, wie ich beispielsweise die Ehe in unserer Gesellschaft interpretiere, und ich denke, das muss wahrscheinlich auch in einer Gesellschaft so sein.
Frenzel: Sie erforschen Familien, ihre Funktion in der Gesellschaft. Wie wichtig sind sie denn wirklich, wie sehr brauchen wir sie für den Zusammenhalt? Ist das eine Sache, die auch die Ehe, die klassische Ehe am besten leisten kann?
Bertram: Also ich denke schon, Kinder brauchen ihre Eltern. Ich glaube, das kann man relativ klar sagen, und ohne Bindungen, ohne Unterstützung ist es für Kinder ganz schwer, erwachsen zu werden. Und von da aus gesehen ist das, glaube ich, ganz wichtig, aber diese Bindung, die Kinder brauchen zu Erwachsenen und das Vertrauen und die Unterstützung, die muss natürlich nicht in der klassischen Ehe allein gelebt werden, sondern die können natürlich, das wissen wir ja auch aus der Forschung, bei Alleinerziehenden genauso gut realisiert werden. Wie wir auch keine Forschungen haben, die irgendwie zeigen, dass nicht eine Beziehung Mann-Mann-, Frau-Frau-Kind nicht auch zu einer glücklichen Entwicklung der Kinder beitragen kann. Aber diese private, intime Beziehung, die braucht man schon.
Frenzel: Nun ist ja immer wieder ein Argument der Gegner einer kompletten Gleichstellung, dass nur Mann und Frau auch die Reproduktion der Gesellschaft sicherstellen. Ist das einfach nur ein archaisches Argument oder muss man darauf auch mal einen zweiten Gedanken verschwenden?
Bertram: Ja, das muss man schon, weil natürlich im Grunde genommen sozusagen wir eine Umdeutung vornehmen von Ehe und Familie. Klassischerweise war die Reproduktion ein ganz wichtiger Punkt bei der Ehe. Das ganze Eherecht, Unterhaltsrecht und so weiter basiert ja auf solchen Vorstellungen. Und jetzt rückt der Gedanke der Fürsorge für andere, und zwar Fürsorge, die so verbindlich ist, dass man sie auch nicht aufgeben kann, in den Vordergrund. Und wenn Sie sozusagen von der Reproduktion stärker zur Fürsorge für andere kommen, dann spielt das Geschlecht eigentlich keine Rolle, weil natürlich Männer füreinander genauso gut Fürsorge leisten können wie Frauen füreinander. Und ich denke, da gibt es sozusagen im Augenblick so einen Prozess der Umdeutung. Und dieser Prozess der Umdeutung, der macht natürlich auch vielen Schwierigkeiten.
Frenzel: Müssten wir dann am Ende eigentlich auch – oder vielleicht gar nicht am Ende, sondern schon ziemlich bald – das Grundgesetz mal entstauben und sagen, dass wir, wenn wir diese Umdeutung erleben, auch vielleicht diesen Ehebegriff mal ein bisschen erweitern?
Bertram: Also ich denke, ich fände es nicht falsch, wenn sozusagen diese Frage der Fürsorge stärker thematisiert würde als nur die Ehe. Das bin ich ganz sicher, weil ja die Fürsorge auch bei älteren Menschen – also, warum sollen nicht zwei ältere Frauen, die zusammenziehen, sich wechselseitig unterstützen, wenn jetzt die andere krank wird beispielsweise in unserer Gesellschaft, dann kann die Partnerin, wenn man das nicht vorher nicht irgendwie vertraglich geregelt hat, keinerlei Informationen darüber bekommen, was ich zum Beispiel für ein großes Problem halte.
Frenzel: Und dann ist es gar nicht mehr privat. Warum weltweit über das Zusammenleben diskutiert wird – Professor Hans Bertram von der Humboldt-Universität war das im Gespräch. Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch.
Bertram: Bitte schön, Wiederschauen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.