Wer fragt im Netz nach dem Nein?
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Immer wieder werden Bilder von Frauen ohne ihr Wissen auf Pornoseiten gezeigt, mal harmlose Profilbilder, mal heimlich gemachte Aufnahmen: eine Form der sexuellen Gewalt. Die Täter sind schwer zu fassen.
Im November 2020 klingelt Sonjas Telefon. Ein Freund meldet sich. Er habe Bilder von ihr auf der Pornoplattform XHamster entdeckt. Keine Nacktfotos, sagt er, sondern Aufnahmen von ihrem Facebook-Profil. Sie sei nicht die einzige aus dem Bekanntenkreis. „Dann bin ich in die WhatsApp-Gruppe reingekommen und habe gesehen: Da sind fast 50 Frauen drin“, erinnert sich Sonja. „Dann wurde mir die Seite von dem XHamster-Profil geschickt und ich habe sie durchgeguckt und immer wieder Frauen erkannt.“
Bei ihr seien es Urlaubsfotos, erzählt Aileen. „Ich weiß noch, dass bei anderen Betroffenen Kinder mit auf den Bildern waren. Es waren auch Nacktaufnahmen von Betroffenen, wo Brüste, Schambereich, Po abgebildet wurden. Die Betroffene schlief auch, als sie fotografiert wurde, und diese Bilder waren eigentlich mit die schlimmsten. Die haben mich sehr betroffen gemacht.“
Gefühl von Machtlosigkeit
Sonja und Aileen wollen ihre echten Namen nicht nennen. Die beiden Leipzigerinnen gehören zu einer Gruppe von mehr als 50 Frauen, die eines eint: Ein Freund, Kollege, Ex-Partner hat insgesamt rund 1000 Fotos von ihnen bei XHamster hochgeladen. Ohne ihr Einverständnis.
Auf der Plattform hat er sie teilweise um Namen, Adressen und Berufe ergänzt. Die Kommentare darunter: frauenverachtend, voller Gewaltfantasien. Wer der Täter ist, wissen die Betroffenen. Ein Bekannter aus der Leipziger Partyszene. „Das ist krass: dieses Gefühl von Machtlosigkeit“, meint Sonja. Sie habe einen „totalen Vertrauensverlust“ in Freundschaften bekommen. Alles nur durch einen Täter, der Ähnliches in 50 anderen Frauen ausgelöst habe.
Aileen berichtet von „richtig körperliche Erscheinungen wie Zittern, ständiges Weinen“. Auch Schlafstörungen und Angstgefühle habe sie gehabt. „Man fühlt sich auch so hilflos in dem Moment.“
Seiten profitieren von unerlaubten Aufnahmen
Der Fall ist nicht der erste dieser Art. 2019 entdeckt Anna Nackt – die unter diesem Pseudonym eine Hilfsplattform betreibt – intime Fotos von sich auf der Porno-Seite XHamster. Im Januar 2020 veröffentlichte das ARD-Format „Strg F“ eine Reportage: Ein Mitarbeiter des Festivals „Monis Rache“ hatte heimlich Frauen auf Dixi-Toiletten gefilmt und die Clips hochgeladen.
Die Dimension des Problems lässt sich insgesamt schwer abschätzen. Fakt ist: Die Pornoseiten profitieren von unerlaubten Aufnahmen, obwohl sie sie offiziell untersagen. Die Journalistin Patricia Schlosser hatte die Fälle von „Monis Rache“ aufgedeckt und recherchiert nach wie vor zu XHamster. „Ich habe mal mit jemandem sprechen können, der aus der Pornobranche ist und der sagte: Das weiß ja jeder, dass man auf XHamster geht, weil man solche Aufnahmen sehen will“, erzählt sie. „Die machen halt einfach den schmutzigen Scheiß. Der Brancheninsider meinte auch, dass die auch einfach kein Interesse daran hatten, dass dort nicht so viel nichteinvernehmliches Zeug landet.“ Schließlich hätten sie damit ihr Millionengeschäft aufgebaut.
Betroffene, die auf der Plattform Bilder von sich entdecken, können XHamster zwar anschreiben und darum bitten, dass die Aufnahmen gelöscht werden. Aber andere User könnten die Videos und Fotos längst downgeloaded und an andere Stelle wieder veröffentlicht haben, meint Schlosser. Die Videos und Fotos können sich schon längst übers Internet weiterverbreitet haben. „Was einmal drin ist, ist unfassbar schwer wieder rauszubekommen." Zumal die Betreiber von XHamster kaum zu erreichen sind. Das Firmengeflecht reicht von Zypern bis in die Karibik. Das erschwert auch die polizeilichen Ermittlungen.
Fast ohne ein Aufdeckungsrisiko
Sonja und Aileens Anzeigen hat die Leipziger Polizei Ende 2020 aufgenommen. „Da macht uns das Internet es nicht einfach, was sozusagen grenzüberschreitend global ist, wo unterschiedliche Rechtssysteme aufeinandertreffen, je nachdem, wo zum Beispiel der Provider seinen Sitz hat oder wo die Seiten aktiv sind“, sagt Sprecher Olaf Hoppe. Dazu komme das Thema Vorratsdatenspeicherung. „Wie lang kommen wir an bestimmte Sachen ran, wie sehr sind die Seiten anonym, wie einfach fällt es Menschen, im Netz Straftaten zu begehen fast ohne ein Aufdeckungsrisiko?“
Beim Phänomen der sogenannten bildbasierten sexuellen Gewalt kommt hinzu: Das Thema berührt verschiedene Rechtsgebiete. Manchmal greift nur das Urheberrecht. Verletzen die Aufnahmen den höchstpersönlichen Lebensbereich, weil sie etwa in der Wohnung oder auf der Toilette entstanden sind, ist der Fall auch strafrechtlich relevant.
Noch intimer: das so bezeichnete Upskirting. Dort gehe es um Bildaufnahmen im Intimbereich, also unbedeckte Brust, Geschlechtsteile, so Polizei-Sprecher Hoppe. Diesbezüglich gebe es inzwischen einen speziellen Straftatbestand. „Man sieht, dass er niedrigschwellig angesiedelt ist, also ein Antragsdelikt. Aber das ist in solchen Fällen ein einschlägiger Paragraf.“
Gesetzliche Lücken
Doch es bleiben gesetzliche Lücken, sagt die Juristin Anja Schmidt von der Uni Halle. Sie forscht zu Pornografie und sexueller Selbstbestimmung. „Das Unrecht, das darin besteht, dass von einer anderen Person ohne deren wirksame Einwilligung eine sexualbezogene Bildaufnahme hergestellt wird oder geteilt wird, dieses Unrecht wird im Pornografie-Strafrecht eigentlich nur in Bezug auf Kinder und Jugendliche geregelt, aber nicht in Bezug auf Erwachsene“, sagt sie. „Das bedeutet, es müsste eigentlich ein eigener Straftatbestand geschaffen werden, der als Anknüpfungspunkt die Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung nimmt in Verbindung mit dem Recht am eigenen Bild.“
Außerdem, erklärt die Juristin, werde die Veröffentlichung intimer Bilder oft als Privatklagedelikt gesehen, die Staatsanwaltschaft erkenne kein öffentliches Interesse und stelle das Verfahren ein. Dabei seien solche Taten diskriminierend: Die Betroffenen würden es als Form geschlechtsspezifischer Gewalt erleben, „wo sie wegen ihres Geschlechts erniedrigt werden, viele beschreiben das als persönliche Erschütterung“.
Pornoplattformen unter Druck
Die Pornoplattformen sind durch die vielen nichteinvernehmlichen Aufnahmen unter Druck geraten. XHamster hat anonyme Uploads gestoppt, und EU-Politiker diskutieren, ob man auf Pornoseiten generell identifizierbar sein sollte.
Außerdem haben sich Hilfsangebote etabliert: Die Beratungsstelle HateAid unterstützt Betroffene von digitaler Gewalt. Auf der Plattform „Am I in Porn?“ kann man mittels biometrischer Daten kontrollieren, ob das eigene Gesicht auf den Seiten zu finden ist. Den beiden Leipzigerinnen Sonja und Aileen hat es geholfen, ihren Fall in einem Blog öffentlich zu machen. „Für mich fühlt es sich so an, als hätten wir jetzt wieder die Kontrolle darüber, was da passiert“, sagt Sonja. „Wir sind eben nicht mehr nur Betroffene.“