Private Insolvenz noch immer "ein großes Tabu"

Attila von Unruh im Gespräch mit Frank Meyer |
Viele Menschen hätten nach einer privaten Insolvenz Probleme, wieder Fuß zu fassen, sagt Attila von Unruh, Gründer der Anonymen Insolvenzler und selbst von Insolvenz betroffener Unternehmer. Er fordert eine Erleichterung des Wiedereinstiegs für Selbstständige.
Frank Meyer: Andreas Baum über die Privatinsolvenz. Und in diesem Zustand lebt Attila von Unruh, der die Anonymen Insolvenzler gegründet hat. Attila von Unruh ist jetzt für uns im Studio. Herr von Unruh, Sie haben Ihr Vermögen durch eine Firmenpleite verloren, Ihre Firma ist vor neun Jahren Pleite gegangen. Wie ist das denn passiert?

Attila von Unruh: Also bei mir war es so, dass ich meine Firma verkauft hatte und mit dem Käufer einen Vertrag geschlossen hatte, dass er einen gewissen Kaufpreis bezahlt, und eingeschlossen war, dass er mich aus einer privaten Bürgschaft, für die ich gehaftet habe, freistellt. Leider war es so, dass der Käufer dann die Firma selber in die Insolvenz geführt hat und seinen Verpflichtungen nicht nachkommen konnte. Das hieß, die Bürgschaft wurde fällig gestellt und das war ein Betrag, den konnte ich nicht aus eigenen Mitteln bezahlen. Und das hieß für mich im Endeffekt, dass ich die Insolvenz anmelden musste.

Meyer: Also Sie würden sagen, Sie sind unschuldig in die Insolvenz geraten?

von Unruh: In gewisser Weise ja, natürlich trägt man immer eine Verantwortung dafür, wenn man Verträge macht, dass man die entsprechend absichert, aber in dem Fall hatten wir alle Möglichkeiten wahrgenommen, zusammen mit meinen Partnern. Wir hatten uns notariell abgesichert, juristisch abgesichert, aber es kann einem trotzdem passieren. Und das ist eine Erfahrung, es kann wirklich jeden treffen, dass jeder Mensch, der in normalen Verhältnissen lebt, auf einmal vor einer Situation ist, dass er Insolvenz anmelden muss.

Meyer: Und nun leben Sie mit dieser Situation, wie sieht das konkret aus, wie viel Geld dürfen Sie im Monat behalten?

von Unruh: Also der Regelsatz ist, dass man ungefähr 990 Euro behalten darf als einzelne Person. Dazu kommt je nach Anzahl der Kinder und Unterhaltungsverpflichtungen immer noch ein Betrag von circa 200 Euro. Das heißt, mir bleiben mit zwei Kindern ungefähr ein Betrag von 1350 Euro, die ich behalten kann von dem Geld, was ich verdiene.

Meyer: Und davon müssen Sie alles zahlen, selbst zahlen, Miete und so weiter, alles, was anfällt?

von Unruh: Davon muss man dann alles, seinen Lebensunterhalt bestreiten, richtig.

Meyer: Und dieses Leben mit der Insolvenz, diese sechs mageren Jahre, in denen Sie stecken, wie stark hat das Ihr Leben verändert, das Leben auch Ihrer Kinder verändert?

von Unruh: Also das wirkt sich schon auf alle Bereiche des Lebens aus. Natürlich lebt man nicht auf großem Fuß, das ist klar, aber ich muss auch dazusagen, es wird immer so diese negative Seite der Insolvenz betont, sie hat auch Vorteile: Es ist eine Chance. Es ist eine Chance, wieder auf die Beine zu kommen, es ist eine Chance, einen Zeitraum, wo man keinen Ärger, keine Probleme hat mit Gläubigern, sie können einen nicht mehr pfänden, das Konto wird einem nicht mehr gesperrt, es steht kein Gerichtsvollzieher vor der Tür. Man hat den Kopf frei und kann wirklich nach vorne gucken und – unter Einschränkungen natürlich – sich eine neue Existenz aufbauen.

Meyer: Sie haben nun diesen Verein gegründet, die Anonymen Insolvenzler, diese Gruppe, die sich trifft, vor zwei Jahren in Köln gegründet, inzwischen gibt es Anonyme Insolvenzler auch in Hamburg, Berlin und München, in Paderborn und Düsseldorf werden solche Gruppen aufgebaut. Wer kommt denn dahin zu den Anonymen Insolvenzlern, was treibt diese Leute typischerweise in die Überschuldung?

von Unruh: Also es ist so, dieser Gesprächskreis wurde gegründet aus der eigenen Erfahrung mit dem Thema Insolvenz. Es ist immer noch ein großes Tabu in Deutschland, es ist immer noch mit einem Stigma verbunden, obwohl die meisten Menschen, die in die Verbraucher-, also in die Privatinsolvenz kommen, nicht das selbst verschuldet haben in Form von Konsumschulden oder über ihre Verhältnisse zu leben, sondern aus Arbeitslosigkeit.

Meyer: Das denkt man ja meistens, das sind die Leute, die zu Hause drei Videorekorder haben und sich über lauter Kleinverträge da reingeritten haben. Das ist nicht Ihre Beobachtung?

von Unruh: Nein, das ist einfach statistisch auch erwiesen, da gibt es ja auch Untersuchungen drüber, und das war ja auch mein Bild. Mein Bild war, Menschen, die pleite sind, die insolvent sind, können nicht wirtschaften, die können nicht mit Geld umgehen. Dass aber viele Angestellte, die ihren Job verlieren und vielleicht gerade ein Häuschen gebaut haben und sowieso gerade alles am Limit kalkuliert haben, wenn da das Einkommen wegbricht und sie dann irgendwann von Arbeitslosengeld leben müssen oder auf Hartz IV rutschen, dann kommen sie in die Situation, dass sie Insolvenz anmelden müssen. Oder durch Krankheit oder durch Trennungen. Das sind also oft Auslöser, die man so nicht selbst verantworten oder planen kann. Und diese Menschen fühlen sich natürlich, wie soll ich sagen, schuldig, sie schämen sich, sie merken, es ist ein Stigma, insolvent zu sein, und viele ziehen sich da in dieser Situation zurück. Und da merke ich oder da haben wir gemerkt, es hilft, wenn man mit anderen Betroffenen reden kann, wenn man sich austauschen kann über die Situation, wenn man Erfahrungen mitkriegt von den anderen Teilnehmern. Und es kommen Menschen aus allen Bereichen. Es kommen Selbstständige, es kommen Menschen in Privatinsolvenz, sogar Teilnehmer, die hinkommen zu den Treffen und sagen, ich stehe vor der Insolvenz, was muss ich tun, worauf muss ich achten, und aus den Erfahrungen der Teilnehmer profitieren können.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit Attila von Unruh, der die Anonymen Insolvenzler gegründet hat. Wir reden über das Leben mit der Pleite. Sie haben gesagt, das ist ein Tabu, insolvent zu sein, Schulden zu haben, damit ist Scham verbunden. Warum ist das eigentlich überhaupt noch so? Wir haben ja seit zehn Jahren jetzt dieses neue Privatinsolvenzrecht, es gibt, im Fernsehen bei Privatsendern gibt es solche Schuldnersendungen und eigentlich funktioniert ja unser ganzes kreditfinanziertes Wirtschaftssystem ja auch nur mit Schulden. Warum, was denken Sie, ist die private Überschuldung immer noch so ein Problem?

von Unruh: Na gut, man kann sich nicht mehr in der Form darstellen, man ist nicht mehr das, was man glaubte zu sein. Man hat seinen eigenen Erwartungen nicht entsprochen und auch den Erwartungen der Gesellschaft. Wenn Sie Familienvater sind und merken, Sie können Ihre Familie nicht mehr ernähren, dann ist das natürlich erst mal ein Thema, was einen beschämt und auch Schwierigkeiten bereitet. Und da möchte man auch nicht mit jedem darüber sprechen oder kann auch nicht mit jedem darüber sich austauschen.

Meyer: Es gibt ja auch die Schuldnerberatungen von ganz vielen verschiedenen Anbietern, wo man auch Sachinformationen zu diesem ganzen Problemkreis bekommt. Wozu braucht man nun daneben noch die Anonymen Insolvenzler? Ist das das Wichtige, mit Schicksalsgenossen zu sprechen?

von Unruh: Also es geht in erster Linie nicht darum, jetzt Schuldnerberatung oder überhaupt Beratungen zu machen in diesen Kreisen, sondern der Fokus liegt auf dem emotionalen Erleben der Situation. Wenn Sie zum Anwalt gehen, wenn Sie zum Steuerberater gehen, dann bekommen Sie Fachinformationen, aber der Anwalt, Steuerberater oder der Schuldnerberater kann in der Regel Ihnen nicht helfen mit Ihren emotionalen Problemen, die damit verbunden sind, nämlich Schuldgefühle, Scham, Rückzug und all diesen ganzen Schmerzen, die damit verbunden sind. Da gibt es jetzt diesen Kreis der Anonymen Insolvenzler, wo es die Möglichkeit gibt, über das emotionale Erleben der Situation zu sprechen. Und viele Menschen sind in einer Art Schockstarre, wenn es ihnen passiert, dass sie in die Insolvenz geraten, und da ist es hilfreich, von anderen Teilnehmern zu hören, wie die damit umgehen, zu erfahren, es gibt Lösungswege, es gibt mehrere Möglichkeiten, und man hat nicht mehr nur so einen Tunnelblick in dieser Situation, sondern kann von vielen verschiedenen Perspektiven die Situation betrachten.

Meyer: Herr von Unruh, Sie haben schon gesagt, es kann jeden treffen, und dafür sprechen auch die Zahlen: Mehr als 120.000 Menschen müssen jedes Jahr in der Bundesrepublik in die Privatinsolvenz. Und wir haben es vorhin gehört, nach dem neuen Privatinsolvenzrecht ist man dann nach sechs Jahren wieder schuldenfrei, kann ganz neu beginnen. Haben Sie das auch schon erlebt, gibt es die Leute, die tatsächlich dann wieder neu auf die Beine kommen, wenn sie diese Durststrecke überstanden haben?

von Unruh: Das wäre schön, wenn das so wäre, dass noch viel, viel mehr Menschen auf die Beine kommen und wieder durchstarten können. Es ist leider so, dass es in Deutschland keine Kultur des Scheiterns gibt. Wer einmal gescheitert ist, hat in der Regel sehr, sehr große Schwierigkeiten, wieder die Möglichkeit zu bekommen, auf die Beine zu kommen, ein neues Unternehmen zu starten. Natürlich gibt es …

Meyer: An welcher Stelle gibt es diese Schwierigkeiten?

von Unruh: Zum Beispiel bei Banken. Es gibt viele Unternehmer beispielsweise, die ihre Insolvenz abgeschlossen haben, die ihre Restschuldbefreiung bekommen haben, die ähnlich wie ich vielleicht für Firmenkredite gebürgt haben, wo das Verfahren abgeschlossen ist, die vielleicht eine gute Idee haben oder noch ein Konzept in der Tasche und Möglichkeit hätten, wieder ein Unternehmen zu gründen. Die gehen dann zur Bank und die guckt nach und sieht, da gibt es einen Schufa-Eintrag, da steht "Restschuldbefreiung erteilt", das heißt für die Bank, dieser Kunde ist "mittellos", in Anführungszeichen, er hat ja kein Vermögen mehr, und das ist ein K.-o.-Kriterium, dieser Mensch kriegt keine Kredite. Und da gibt es einen ganz erheblichen Bedarf, da die Möglichkeiten zu verbessern, dass Menschen nach der Insolvenz wieder Fuß fassen können.

Meyer: Also Sie würden sagen, nach trotz neuem Privatinsolvenzrecht, die Betroffenen bleiben für ihr Leben stigmatisiert?

von Unruh: Also bei vielen ist es so, dass sich das sehr viele Jahre durchzieht, und dieser Schufa-Eintrag beispielsweise ist meines Wissens drei Jahre lang noch in den Akten. Das heißt, Sie haben sechs Jahre Insolvenzverfahren plus noch mal drei Jahre Schufa-Eintrag, bevor Sie überhaupt wieder die Möglichkeit haben, Fuß zu fassen und einen Kredit beantragen zu können. Und das ist meiner Meinung nach zu lang, denn es gibt viele, beispielsweise Unternehmer oder Handwerker, das sind gute Handwerksmeister, die machen einen guten Job, die sind qualifiziert, die können Arbeitsplätze schaffen. Die haben vielleicht einen Kunden gehabt, der sie nicht bezahlt hat, und mussten deshalb Insolvenz anmelden. Aber das ist ja eigentlich kein Grund, dass die nicht mehr wieder die Möglichkeit bekommen, wieder ihr Unternehmen zu führen. Und das ist meiner Meinung nach ein ganz großer Bedarf, da die Möglichkeiten wieder zu schaffen, dass solche Menschen die Chance kriegen, auf die Beine zu kommen und ein Unternehmen zu führen.

Meyer: Das Leben mit der Pleite – darüber haben wir mit Attila von Unruh gesprochen. Er hat die Anonymen Insolvenzler gegründet. Herr von Unruh, vielen Dank für dieses Gespräch!

von Unruh: Gerne!