Rundum-sorglos-Paket oder Sorgenkind?
Zahlreiche Gesundheitsökonomen sehen die private Krankenversicherung als Auslaufmodell. Ein Ende des Privat-Systems hätte aber vor allem für viele niedergelassene Ärzte schmerzliche finanzielle Folgen: 28 Prozent ihrer Einnahmen kommen von Privatpatienten.
Jens Spahn: "Die private Krankenversicherung hat in sich Probleme. Sie hat das Problem, dass in bestimmten Tarifen die Beiträge sehr stark steigen. Und dann auch Pensionäre, kleine Selbständige sagen: Das kann ich nicht mehr bezahlen."
Jens Spahn sitzt entspannt in seinem Büro. Und rüttelt an der Grundlage des deutschen Krankenversicherungssystems. Hier gesetzliche Kassen, dort private – die Trennung galt Jahrzehnte. Das duale System ist in Europa einzigartig. Arbeiter und Angestellte zahlen lohnabhängig. Beamte, Unternehmer, Besserverdienende alters- und gesundheitsabhängig. Eine Trennung, die nicht zukunftsfähig ist, glaubt Spahn. Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion war der erste Unionspolitiker, der den privaten Krankenversicherungen, "existentielle Probleme" bescheinigte.
Spahn: "Klar war klar, dass ein Interview, in dem ein CDU-Politiker, Gesundheitspolitiker sagt, bei der privaten Krankenversicherung kann es nicht so bleiben, wie es ist, auch für ein wenig Wirbel sorgt, weil es ja bis jetzt nicht unsere Linie war."
Der Verband der privaten Krankenversicherer schäumte, die CSU wetterte über das – Zitat - "Stück aus dem Tollhaus". Und Spahn machte bundesweit Schlagzeilen. Der gesundheitspolitische Tabu-Bruch war 2012 kühl kalkuliert und gut getimt. Die FDP, traditionell die Schutzpartei der Privatversicherer, Ärzte und Apotheker, war auf dem Weg in die politische Bedeutungslosigkeit. Und an der CDU-Basis regte sich immer größerer Unmut:
Spahn: "Weil mittlerweile ja jeder der Kollegen in seinem Wahlkreis solche Fälle kennt: Also wo Pensionäre schrieben: mein Beitrag hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt, ich kann das nicht mehr zahlen. Und weil wirklich jeder mittlerweile solche Fälle kennt, war ich selbst positiv überrascht, wie viele Kollegen gesagt haben, richtig, dass wir das Thema endlich angehen."
Thomas: "Das gruselt sehr, das wird sehr teuer werden. Und es ist für mich nicht erkennbar, wie ich das finanzieren soll im Alter, also das macht mir sehr große Sorgen."
Thomas ist seit 15 Jahren privat krankenversichert. Zunächst als Beamter auf Widerruf. Damals ist alles einfach. Der Staat als Arbeitgeber übernimmt im Rahmen der sogenannten Beihilfe einen Großteil seiner Behandlungskosten. Den Rest sichert er über eine private Krankenversicherung ab.
Thomas: "Durch die Beihilfe war natürlich die Zahlung angemessen und gut. Da bin ich auch froh zum Arzt gegangen und es war alles ohne Selbstbehalt, es war alles abgedeckt durch den Dienstherren und es war sehr komfortabel."
Arzttermine ohne langes Warten. Eine zuvorkommende Behandlung in den Praxen. Erstattung rezeptfreier Medikamente. Keine budgetierten Leistungen. Für den jungen Beamten auf Widerruf erweist sich die private Krankenversicherung als medizinisches Rundum-sorglos-Paket. Das ändert sich allerdings als Thomas den Staatsdienst verlässt.
Thomas: "Also, diese Entscheidungsfreiheit nach Statuswechsel, nach dem Wechsel vom Beamten zu freiberuflich hatte ich nur die Option für vier oder sechs Wochen mich zu entscheiden. Und jetzt hänge ich in diesem Modell für mein ganzes Leben. Und diese Frist habe ich einfach verpasst und bin seitdem in der privaten Versicherung."
Seitdem ist alles anders. Die Beamten-Beihilfe fällt weg. Um seine monatliche Versicherungs-Prämie niedrig zu halten, vereinbart Thomas einen sogenannten Selbstbehalt. Eine jährliche Eigenbeteiligung an den Behandlungskosten.
Thomas: "Das war neu, das gab es vorher nicht. Und der lag dann auch schon bei 900 Euro. Was dazu geführt hat, dass ich sieben Jahre lang nicht beim Arzt war, weil ich erst in einer schwierigen finanziellen Lage war und mir diese 800, 900 Euro sparen wollte oder musste."
Seine Entscheidung auch als Selbständiger privat versichert zu bleiben, war ein Fehler, sagt Thomas heute. Wenn er könnte, würde sich sofort freiwillig gesetzlich krankenversichern. Doch so lange er selbständig ist, bleibt ihm dieser Weg versperrt. Der 40-Jährige möchte anonym bleiben, auch seinen Beruf will er nicht nennen. Denn er sucht nach einem Weg raus aus der privaten Versicherung. Jahr für Jahr steigen seine Versicherungsprämien. Und zwar unabhängig vom Einkommen.
Thomas: "Die Beiträge steigen moderat aber immer höher an, also die Erhöhungen pro Jahr liegen dann eher bei 30-40 Euro. Und es ist absehbar, dass es dann irgendwann nicht mehr bezahlbar ist. Zumindest in einer Phase, in der dann auch die Einnahmen wieder zurückgehen werden, nämlich in der Rentenzeit, das wird ganz schlimm werden."
Eine berechtigte Sorge, weiß Ulrike Steckkönig, Redakteurin für Versicherung und Recht, bei der Stiftung Warentest. Rund 8,9 Millionen Menschen sind hierzulande privat krankenversichert. Knapp die Hälfte davon ist beihilfeberechtigt.
Steckkönig: "Wir haben durchaus auch Zuschriften und haben uns das selbst schon in verschiedenen Fällen angesehen, von älteren Menschen, die heutzutage das dreifache, vierfache, manchmal sogar das fünffache dessen bezahlen, was sie damals beim Eintritt in die private Krankenversicherung an Beiträgen hatten. Und das kann im Alter durchaus zur Belastung werden, denn im Rentenalter wird ja das Einkommen geringer, die Beiträge bleiben jedoch konstant hoch und könnten also durchaus immer noch steigen."
Gleichzeitig ist es für über 55-Jährige – egal ob selbständig, angestellt oder arbeitslos – fast unmöglich von der privaten in die gesetzliche Krankenkasse zu wechseln. Selbst von einer Privatkasse in eine andere zu gelangen, ist schwierig.
Steckkönig: "Da bei einem anderen Versicherer man ja erneut die Gesundheitsfragen beantworten müsste und man schon alleine deswegen gar keinen neuen Vertrag bekäme oder die Risikozuschläge so immens hoch wären, dass es ökonomisch gar nicht mehr darstellbar ist."
Im Frühjahr 2014 untersuchte die Stiftung Warentest die aktuellen Tarife der Privatversicherer und kam zu einem überraschenden Ergebnis:
Steckkönig: "Die Ersparnis zwischen dem privaten Tarif und dem Höchstbeitrag der gesetzlichen Krankenversicherung ist geringer geworden, dadurch dass diese privaten Tarife mittlerweile auch schon im Bereich von 400 bis 600 Euro pro Monat schon bei einem 35jährigen liegen, also zumindest diejenigen, die unsere Mindestleistungs-Anforderungen erfüllen. Und dann bin ich ja von dem, was die gesetzliche Krankenversicherung kostet gar nicht so weit weg. Und Kinder sind da noch gar nicht mitgerechnet. Oder nicht-arbeitende Ehepartner."
Denn eine Familienversicherung wie in der gesetzlichen Krankenkasse existiert in der privaten Krankenversicherung, kurz PKV nicht. Das Urteil der Warentester lautet dann auch: Uneingeschränkt empfehlen können sie die PKV nur Beamten. Alle anderen sollten sich die Entscheidung wohl überlegen.
Die privaten Krankenversicherer werben mit hunderten von Tarifkombinationen um Kunden. Der Gesundheitsökonom Dr. Thomas Drabinski beobachtet seit Jahren die Angebotsstruktur:
Drabinski: "D.h. im PKV-Markt gibt es eine extrem große, fast schon atomistische Tarifstruktur und die muss man sich als jemand, der sich dort versichern will, vergleichend anschauen, ist extrem schwierig und man muss sich dann schon darauf verlassen, dass man den Tarif, den man abgeschlossen hat, dass da alles drin ist – aber Unsicherheit bleibt."
Am Kieler Institut für Mikrodaten-Analyse vergleicht Drabinski die Angebote von gesetzlichen und privaten Kassen. Er weiß: Die PKV zahlt zwar an sehr vielen Stellen deutlich mehr und besser als die GKV, wie zum Beispiel bei Zahnersatz, Brillen oder alternativen Heilmethoden. Was viele aber nicht wissen: Die PKV zahlt an anderer Stelle gar nicht. Es hängt von der jeweiligen Vertragspolice ab, ob sie zum Beispiel ambulante Psychotherapie beinhaltet, künstliche Ernährung oder die Betreuung durch eine Hebamme.
Drabinski: "Und die Leistungen, die nicht mit in der privaten Krankenversicherungspolice stehen, die werden dann auch nicht finanziert, d.h. die müssen dann privat finanziert werden. Und in der Tat kann gezeigt werden, dass die Tarife sehr unterschiedlich sind, also privat versichert heißt nicht, man kriegt alles, sondern privat versichert heißt, man kriegt medizinische Leistung wie es in der Police vorgesehen ist."
Situation ist eine Zeitbombe für die PKV
Vor allem niedrig kalkulierten Einstiegstarife schlossen in der Vergangenheit viele Leistungen aus. In ihren neuen Tarifen haben die Privatversicherer in Sachen Leistungsumfang zwar deutlich nachgebessert. Doch das nützt jenen nichts, die vor 10 oder 20 Jahren ihre Verträge abgeschlossen haben.
Eine unübersichtliche Tarifstruktur, steigende Prämienzahlungen, fehlende Wechselmöglichkeiten – für den Gesundheitsökonomen Professor Stefan Greß von der Hochschule Fulda steht dann auch fest: Das Geschäftsmodell der Privaten Krankenversicherer wankt.
Eine unübersichtliche Tarifstruktur, steigende Prämienzahlungen, fehlende Wechselmöglichkeiten – für den Gesundheitsökonomen Professor Stefan Greß von der Hochschule Fulda steht dann auch fest: Das Geschäftsmodell der Privaten Krankenversicherer wankt.
Greß: "Dies wird meines Erachtens dazu führen, dass die PKV sich über kurz oder lang selbst abschaffen wird und dass nicht so sehr der Druck von außen entscheidend sein wird, sie wird einfach für die Versicherten unattraktiv und die GKV im Umkehrschluss wird deutlich attraktiver."
Das bekommen die privaten Krankenversicherer bereits zu spüren. Nach Jahrzehnten des Wachstums ist das Vollversicherten-Geschäft der PKV rückläufig. 2012 stand unter dem Strich erstmals ein Minus von 20.00 Vollversicherten. 2013 waren es gar 66.000 weniger. Mittelfristig sieht der Fuldaer Gesundheitsökonom weitere Probleme auf die privaten Krankenversicherer zukommen.
Greß: "Also, die Situation auf dem Kapitalmarkt ist eine echte Zeitbombe für die private Krankenversicherung".
190 Milliarden Euro haben die Versicherer für ihre Kunden angelegt. Diese sogenannten Altersrückstellungen sollen vor massiven Prämiensteigerungen im Alter schützen. Doch nur langfristige Anlagen werfen noch die kalkulierten Zinserträge ab.
Damit haben die privaten Krankenversicherungen dann den Prämiendruck mildern können. Mussten also erst später die Prämien erhöhen, das fällt weg. Und zukünftig ist meine Prognose, ist ja auch keine Änderung auf dem Kapitalmarkt abzusehen, werden sie auch nicht mehr mit 3,5 Prozent kalkulierten können, d.h. die private Krankenversicherung wird noch unattraktiver.
Geringere Kapitalmarkterträge – das wird sich in Zukunft in den Prämien niederschlagen. Ebenso wie die steigenden Gesundheitskosten. Der medizinische Fortschritt und der demographische Wandel treiben die Ausgaben in die Höhe. Betroffen ist vor allem der ambulante Bereich. Dort, wo der Privatpatient auf seinen Arzt trifft. Um das Vertrags-Versprechen der privilegierten Behandlung einzulösen. Zwei bis dreimal mehr als für einen Kassenpatienten kann der Arzt kassieren. Der Patient pocht auf seine garantierten Leistungen. Der Arzt auf seine Therapiefreiheit. Zusammen treiben sie die Kosten immer weiter in die Höhe. Ohne dass die Versicherer eingreifen können.
Greß: "Weil wenn, wenn es gelingt stärker mit den Ärzten zu verhandeln, wie auch immer, das ist ein zweischneidiges Schwert, weil dann würde sie der GKV immer ähnlicher werden und dann wäre ein wichtiges Verkaufsargument für die Privatversicherten weg, weil letztendlich, warum sollte ein Arzt einen Privatversicherten schneller, zügiger, vielleicht sogar besser behandeln, wenn er doch letztendlich das gleiche Honorar bekommt wie für den GKV-Versicherten."
Arzt: "Die Liste von Patienten, wo ich die Blutwerte noch checken muss. ..."
Eine Facharztpraxis in einer deutschen Großstadt. Es ist Mittwoch, 17.30 Uhr. Die Sprechstundenhilfen sind gegangen. Der Chef beugt sich über einen DIN A 4 Bogen
Arzt: "Ich muss jetzt mal gucken, ich will ja noch unsere Tochter sehen, ich werde das wahrscheinlich heute nicht mehr machen, morgen habe ich OP-Tag, Freitag mache ich das meist, Freitagnachmittag."
Der Urologe möchte anonym bleiben. "Eigentlich wollte ich mich gar nicht niederlassen", erzählt der Mittvierziger. Er war zufrieden mit seiner Arbeit im Krankenhaus. Doch dann gab es die Möglichkeit eine Praxis zu übernehmen, in der er auch ambulant operieren kann. So wurde er vom Oberarzt zum ärztlichen Unternehmer. Und lernte mit seinen Patienten zu rechnen. Gesetzlich und privat. Zum Beispiel: Probleme beim Wasserlassen - beim gesetzlichen Patienten ist der Fall klar:
Arzt: "Wir bekommen eine Summe, die jetzt Ultraschalluntersuchung umfasst, ärztliche Untersuchung, Urinuntersuchung, wir landen bei etwa 35 Euro. Das ist die Entlohnung für eine ärztliche Tätigkeit die einen Zeitaufwand von zehn bis 15 Minuten hat. Wenn ich nun einen Patienten habe, der privatversichert ist, dann landen wir so vom preislichen her zwischen 70 und 90 Euro. Wir sehen also schon eine deutliche Differenz."
Das privatärztliche Honorar liegt zwei bis drei Mal höher als die gesetzliche Vergütung. Bei weitgehend gleicher Behandlung.
Arzt: "Wenn man jetzt als Unternehmer denkt, wenn ich für die gleiche Leistung mehr Geld kriege, warum soll ich nun nicht die nehmen wofür ich mehr Geld bekomme. Natürlich verkaufe ich lieber einen Porsche, also das ich einen Käfer verkaufe. Weil ich dafür einfach mehr Geld bekomme."
Doch er ist nicht Autoverkäufer geworden. Sondern Arzt. Weil er Menschen helfen will. Andererseits rechnet er mit den Privatpatienten. 300.000 Euro kostet im Schnitt die Übernahme oder Neugründung einer urologischen Fachpraxis, schätzt die Ärzte- und Apothekerbank. Bei so einer Investition sind Einnahmen aus der Behandlung von Privatpatienten einkalkuliert. Ohne diese Patienten sähe auch die Bilanz des jungen Urologen anders aus:
Arzt: "Wir hätten sicherlich Einbußen, Umsatzeinbußen von mehr als 50 Prozent. Das eine sind die Zahlen, die bei so einer Veränderung kommen würden."
Sechs Milliarden Euro pro Jahr verdienen Ärzte in Deutschland durch die Behandlung von Privatpatienten. Von diesem Zusatzgeschäft profitieren letztendlich auch die gesetzlich Versicherten – so lautet seit Jahren ein Standardargument von Ärzte- und Versicherungsfunktionären. Der Urologe schüttelt den Kopf:
Arzt: "Das ist halt eine Ecke in die man so gerne gedrängt werden möchte, weil es so schön einfach ist: zu sagen, dass ich den höheren Umsatz den ich mit Privatversicherten habe den gesetzlichen Versicherten zu Gute kommen lassen möchte oder damit entsprechende Löcher stopfen will. Und da muss ich aber sagen: Das ist falschrum gedacht; denn zuerst ist da mal der Patient. Und ob das ein gesetzlich versicherter Patient ist, oder ein privater, das spielt erstmal keine Rolle."
Für ihn nicht. Für andere ärztliche Kollegen aber schon. Denen erscheint der Markt der Privat-Patienten, mit seinen fast unbegrenzten Abrechnungsmöglichkeiten, als El-Dorado im sonst so regulierten Gesundheitsmarkt.
Uwe Laue: "Wir wollen betriebswirtschaftlich an dieses Thema rangehen. Die Ärzte haben sicher die Erwartung, dass es mehr gibt."
Privat-Versicherte im Notlagentarif
Uwe Laue blickt ernst durch die großen Brillengläser. Mehr wird es mit ihm nicht geben. Am Revers der dunkelblauen Anzugjacke trägt der 57-Jährige einen kleinen Sticker mit der Aufschrift DEBEKA. Vor mehr als 40 Jahren begann Uwe Laue private Versicherungen zu verkaufen. Heute ist er Vorstandsvorsitzender des Unternehmens. Die DEBEKA ist ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Ohne Gewinnabsicht.19 derartige Vereine gibt es in Deutschland. Dazu kommen noch einmal 24 Aktiengesellschaften, die mit dem privaten Krankenversicherungsgeschäft Geld verdienen wollen. Seit fünf Jahren vertritt Laue auch ihre Position. Als Vorsitzender des Verbandes der Privaten Krankenversicherungen. Der verhandelt schon lange ergebnislos mit der Bundesärztekammer über eine neue Gebührenordnung, um die laufend steigenden Behandlungs-Kosten in den Griff zu bekommen
Laue: "Man muss sich aber auch darüber im Klaren sein, mehr Leistungen an die Ärzte sind nicht von den Versicherern zu bezahlen, sondern sind von den Versicherten zu bezahlen und das wird uns nichts helfen, bei den Preisen deutlich nach oben zu gehen und damit Krankenversicherungsbeiträge von Menschen erheben zu müssen, die nicht mehr in der Lage sind, sie zu bezahlen. Wenn keiner mehr privat krankenversichert ist, ist den Ärzten auch nicht geholfen."
Schon jetzt sind knapp 100.000 Privat-Versicherte in den sogenannten Notlagentarif abgerutscht. Sie können oder wollen ihre Beträge nicht mehr zahlen. Nun werden sie nur noch in Notfällen behandelt. Denn seit 2009 dürfen die privaten Krankenkassen säumigen Zahlern nicht mehr kündigen.
Laue: "Also die letzten fünf Jahre waren sicher die spannendsten Jahre in der Rückbetrachtung, das hat natürlich damit zu tun, dass sich politisch viel verändert hat, das ist der eine Punkt. Der zweite Punkt hat natürlich damit zu tun, dass das Thema Demografie jeden Tag präsenter für uns alle wird und der dritte Punkt, dass auch europäische Gesetzgebungen nach Deutschland hereinschwappen und auch vieles von uns abverlangen."
Uni-Sex-Tarif, Basistarif, Notlagentarif. Immer wieder griff die Politik in den letzten Jahren ins Versicherungsgeschäft der privaten Kassen ein. Als erstes schob sie dem einfachen Wechsel im Alter einen Riegel vor. Jung und gutverdienend privat versichert, alt und Rentenbezieher gesetzlich versichert, diese Gleichung geht nicht mehr auf. Und die Politik verordnete soziale Mindeststandards. Seitdem müssen die privaten Versicherer anders kalkulieren. Das Neu-Geschäft ist spürbar schwieriger geworden.
Laue: "Es ist etwas Neues für die Branche, wir sind immer gewachsen, es ist immer vorangegangen, jetzt kamen aber mehrere Punkte zusammen, jeden einzelnen Punkt hätten wir verkraftet, aber die Addition aller Punkte macht uns ein Problem."
Und dazu kommt das Imageproblem: Berichte über Provisions-Exzesse, Prostituierten-Partys, Beamtenbestechung haben den Ruf der gesamten Versicherungsbranche nachhaltig beschädigt. Für die privaten Krankenversicherer kommt noch die Kritik an ihrem Geschäftsmodell hinzu:
Laue: "Das hat alle Zeitungen gefüllt, dass sich die PKV nur die gute Risiken rausholt und die schlechten Risiken praktisch ablehnt. Das Problem haben wir gelöst. Wir sind drauf eingegangen. Wir haben das bei den Beamten schon lang. Haben in der Zwischenzeit den Angestelltenmarkt auch so, dass wir jedem Angestellten ein Angebot machen und arbeiten auch daran, es für jeden Selbständigen hinzubekommen."
Jeder soll in Zukunft ein Angebot bekommen. Ob er die Prämien dann auch bezahlen kann, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Individuelle Risiken bewerten, Prämien kalkulieren. Das ist die Geschäftsgrundlage. Eine Gesundheitsprüfung der Schlüssel zur Berechnung. Kranke zahlen mehr, Gesunde weniger. Jeder nach seinem Risiko. Das ist die Gleichung. Zusätzlich hat der Kunde die Wahl, welche Leistungen er in Anspruch nehmen will. Oder nicht. Vor einigen Jahren wurde auch noch der abgespeckteste Tarif als Zugang zur privilegierten Gesundheitsversorgung beworben. Uwe Laue gibt sich selbstkritisch:
Laue: "Berechtigter Kritikpunkt: PKV-Schutz wird angeboten unterhalb der GKV. PKV impliziert ja gute Leistungen, das kann ja nicht sein, dass fsd schlechter als GKV ist. Auch das haben wir hinbekommen, wir haben die Billigtarife in der Zwischenzeit abgeschafft."
Dass im Internet immer noch Billigtarife ab 59 Euro beworben werden, ist für Laue ein Ärgernis. Unseriöse Angebote, mit Adresshändlern im Hintergrund – das ist seine Vermutung. Die Mehrheit der Verbandsmitglieder hat sich mittlerweile von Billigangeboten verabschiedet.
Laue: "Wechselrecht. Das ist ein wichtiger Punkt, der berechtigt ist. Wir waren nicht transparent genug und waren wir nicht offen genug."
Zwei kränkelnde Systemen werden kein gesundes
Wer in der Vergangenheit seinen Tarif wechseln wollte, wurde von den Versicherern oft wochenlang hingehalten. Für die Zukunft verspricht Laue den Versicherten schnellere Wechsel-Möglichkeiten. Zumindest jenen, die nach 2009 einen Vertrag abgeschlossen haben. Sie können, wenn sie von einer privaten Kasse zur anderen wechseln, 60 Prozent ihrer Alterungsrückstellungen mitnehmen. Für alle anderen – und damit das Gros der Versicherten – gilt das nicht. Ihre Rückstellungen verbleiben komplett beim Versicherer. Und machen so jeden Wechsel unattraktiv. Trotz Rückgang der Versichertenzahlen: Uwe Laue, der Chef des Verbandes der Privaten Krankenversicherungen ist überzeugt - die PKV war und ist ein Erfolgsmodell. Das sieht der Fuldaer Gesundheitsökonom Stefan Greß ganz anders. Für ihn ist sie ein Auslaufmodell. Er plädiert für einen einheitlichen Krankenversicherungsmarkt.
Greß: "Aus meiner Sicht wäre die einzig gangbare Lösung, wenn die Versicherungspflicht, die ja momentan begrenzt ist in Deutschland auf die GKV, wenn die auch ausgeweitet wird auch auf die PKV-Versicherten, also dass zu einem speziellen Stichtag X die privat Versicherten auch versicherungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung werden, mit einem Übergangszeitraum von beispielsweise einem Jahr, wo die Versicherten dann sagen können, sie wollen gerne in der PKV bleiben, wenn sie so zufrieden sind, in der privaten Krankenversicherung, dass sie unbedingt da bleiben möchten, dann sollten sie das tun können, weil es offensichtlich verfassungsrechtlich problematisch sein könnte, wenn man jetzt alle dazu zwingt. Also wenn man so eine Übergangsregelung findet, dann könnte das funktionieren."
Damit wäre das Nebeneinander von gesetzlichen und privaten Krankenkassen, Geschichte. Der Kieler Gesundheitsökonom Thomas Drabinski dagegen warnt davor, das duale System zu schwächen.
Drabinski: "Es gibt verschiedene Spielarten, aber die haben alle das Konzept die PKV zu schwächen und dann letztendlich zu integrieren. Von der Konzeption her ist es ein sehr einfacher Ansatz, der aber versorgungseitig Probleme bereitet, weil die Gelder, die privat, über die PKV generiert werden, die würden dann in dem Zusammenhang so nicht mehr zur Verfügung stehen."
Aus zwei kränkelnden Systemen werde nicht automatisch ein gesundes, gibt Drabinski zu bedenken. Denn auch der gesetzlichen Krankenversicherung machen die steigenden Gesundheitsausgaben und der demographische Wandel zu schaffen. Spätestens wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, werde auch die GKV massive Probleme bekommen, so der Gesundheitsökonom. Haben sie doch – anders als die Privaten – keine Alterungsrückstellungen gebildet.
Spahn: "Im privaten System gibt es Probleme. Im gesetzlichen System gibt es auch Probleme. Und es gibt immer weniger Akzeptanz für diese Zweiteilung. In den nächsten 15 Jahren eine Entwicklung;: Entweder hin zu einem Wettbewerbsmodell über alle. Oder eine Einheitskasse. Aber nicht mehr die Trennung, die wir heute haben."
Prophezeit Jens Spahn. Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU Bundestagsfraktion. Die privaten Krankenversicherer sind politisch von allen Seiten unter Druck. Die Parteien links der CDU fordern geschlossen eine Bürgerversicherung, eine einkommensabhängige Versicherungspflicht für alle nach dem Solidarprinzip. Die Union mahnt Reformen im System der privaten Kassen an. Tenor: Die Politik sei ihnen schon weit entgegen gekommen. Zum Beispiel profitieren die Unternehmen auch von staatlichen verordneten Arzneimittel-Rabatten.
Spahn: "Das heißt also, wir haben an verschiedenen Stellen, die man sonst nur aus der gesetzlichen kannte, in die private übertragen. Und das werden tendenziell eher mehr als weniger."
Bei den Koalitionsverhandlungen saß Jens Spahn dem SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach gegenüber. Bei der Diagnose in Sachen PKV lagen die beiden gar nicht so weit auseinander. Nur auf eine Therapie konnten sie sich nicht einigen.
Spahn: "Wir als Union wollten vor allem über die Themen reden, wie wir innerhalb der Privaten zu Reformen kommen. Und die SPD hat ja eher den Ansatz, wie können wir möglichst viele privat Versicherte in die Gesetzliche holen. Und die private Versicherung beenden. Und am Ende waren wir so weit auseinander, das wir gesagt haben: dann machen wir jetzt gar nix. Und dann lassen wir es erstmal die nächsten vier Jahre wie es ist. Leider."
Von Bürgerversicherung hält Spahn nichts
Am Ende wurde die PKV im Koalitionsvertrag noch nicht einmal erwähnt. Die Regierungsparteien blockieren sich gegenseitig. Während der Kostendruck auf die Versicherer weiter zunimmt. Steigende Beiträge und Behandlungskosten treffen aber nicht nur die privat Versicherten. Sie belasten auch die öffentlichen Haushalte. Denn die müssen immer mehr Beihilfe für ihre Beamten zahlen. Und sie stellen knapp die Hälfte der 8,9 Millionen privat Versicherten.
Spahn: "Ich denke, da wird mittelfristig allein schon wegen der steigenden Beihilfekosten es allein vom Finanz- und Innenministern her eine Debatte geben. Muss es denn eigentlich immer die Beihilfe sein. Oder können wir nicht auch eine gesetzliche Versicherung haben."
Das wäre der Albtraum vieler Privatversicherer. Spahn lächelt. Er möchte aber nicht missverstanden werden. Er hält die privaten Versicherer durchaus für eine Bereicherung des Gesundheitssystems. Vor allem wegen ihrer Altersrückstellungen.
Spahn: "Also, wenn wir aus beiden Systemen was Wettbewerb angeht, was Rücklagen angeht, was Versorgungsmanagement, mich auch zu kümmern um meine Krankenversicherung angeht., wenn wir aus beiden Systemen das gute Zusammenschieben und eine historische Grenze, die etwas überholt ist, dann wegwischen, dann glaube ich werden wir einen großen Schritt nach vorne machen. Und ich glaube, der wird innerhalb der nächsten 15 Jahre passieren. So rum oder so rum."
Ein Schritt – bloß wohin? Von einer Bürgerversicherung will Spahn nichts wissen. Doch es fehlt ein Gegenentwurf. Solidarisch soll das System sein, mit individueller Rücklagenbildung, einem fairen Wettbewerb zwischen gesetzlichen und privaten Kassen – und das alles zum Vorteil der Versicherten.
Spahn: "Jeder muss also auch jeden nehmen. Darüber würde ich auch gerne innerhalb der CDU in den nächsten Monaten reden, damit wir vielleicht für 2017 noch ein besseres Konzept haben."
Thomas: "Natürlich werden ich wie ein König behandelt, der rote Teppich wird ausgerollt, aber ich möchte das, jedenfalls ich persönlich möchte das nicht, ich möchte ordentlich behandelt werden, aber das Drumherum, diesen Luxus, den ich wirklich erlebt habe das möchte ich nicht."
Selbstbehalt beträgt 900 Euro im Jahr
Klagt Thomas, der Privatpatient wider Willen. Seine Versicherungsprämien steigen derzeit moderat an. Sein Selbstbehalt beträgt 900 Euro im Jahr:
Thomas: "Wenn ich sehe, das man in der GKV seine Karte hinlegt und dann sich verabschiedet und nichts mehr damit zu tun hat, da bin ich wirklich neidisch, weil ich mindestens zwei bis drei Stunden mit dieser Abrechnungsarbeit zu tun habe. Und da dran sitze, einerseits die Rechnungen zu verbuchen, dann geltend zu machen, zusammenzufassen, zusammen zu kopieren, zu versenden, den Geldeingang zu kontrollieren, gleichzeitig die Arztleistung zu bezahlen, in Vorleistung zu gehen und abzugleichen ob dieser Betrag auch in derselben Höhe eingegangen ist."
Und so sucht er weiter nach einem Weg zurück in die gesetzliche Kasse. Bis er den gefunden hat, setzt er auf sein privates Kostenmanagement. Und greift vor jedem Arztbesuch zum Telefon und fragt, wie viel es denn kostet.
Thomas: "Und da habe ich auch Erfahrungen gemacht, dass man für eine, es war eine Ohrenbehandlung, ganz einfach, Unterschiede von 330 und am Ende hatte ich es dann für 50 Euro. So waren die Preisunterschiede. Und man mich auch sehr verwundert gefragt hat am Telefon, warum ich denn überhaupt den Preis wissen müsste, weil ich doch privat krankenversichert sei."