Private Krankenversicherungen wollen mit Ärzten verhandeln
Der Verband der privaten Krankenversicherungen (PKV) will noch in dieser Legislaturperiode für sich das Recht erkämpfen, selbst mit der Ärzteschaft die Preise medizinischer Leistungen verhandeln zu können.
Deutschlandradio Kultur: Ist das eigentlich ein Kompliment für Sie oder empfinden Sie das eher als Beleidigung, wenn man Sie als "Cheflobbyist" der Privaten Krankenversicherung bezeichnet?
Volker Leienbach: Es ist sicher richtig, dass ich Interessen vertrete. Ich bin auch derjenige, der am exponiertesten vielleicht die Interessen vertritt, von unserem Vorsitzenden jetzt mal abgesehen, aber der ist halt ehrenamtlich Präsident. Ich mache das hauptamtlich und ich versuche meinen Job zu machen für eine gute Sache und versuche ihn gut zu machen.
Deutschlandradio Kultur: In der jüngsten Werbekampagne heißt es, Zitat: "Deutschland braucht die private Krankenversicherung." Warum eigentlich?
Volker Leienbach: Sie nennen das "Werbekampagne". Das ist eigentlich eine politische Botschaft, die wir verkünden. Wir beteiligen uns an der aktuellen politischen Diskussion, wie es mit der Gesundheitspolitik weitergeht. Wir machen das sehr selbstbewusst – mit Textanzeigen, also ohne viel Weihrauch, ohne Brimborium. Und wir weisen darauf hin, dass wir ein schuldenfreies System sind. Wir weisen darauf hin, dass wir Vorsorge fürs Alter treffen, also für die Lebensphase, wo wir viele Leistungen in Anspruch nehmen werden und wo wenig Jugendliche, wenig Erwerbstätige da sind, die diese Leistungen bezahlen können. Da sorgt unser System vor.
Und da wir politisch immer auch in Bedrängnis sind und bei manchen auf der Liste "abzuschaffen" stehen, ist jetzt die Zeit, das Wort zu erheben.
Deutschlandradio Kultur: Aber nun gibt es ja eine Zweiklassenmedizin in Deutschland. Die einen werden meist ja ganz gut medizinisch betreut, die anderen bekommen weniger. Ist das eigentlich eines Sozialstaats noch würdig, wenn der Geldbeutel über die Gesundheit entscheidet?
Volker Leienbach: Das ist nicht so, dass der Geldbeutel über die Gesundheit entscheidet. Wir haben weltweit - überall dort, wo wir Einheitssysteme haben, das ist, was vielen in Deutschland vorschwebt -, eine deutlich stärkere Ausprägung von Zwei- oder Mehrklassenmedizin als wir sie in Deutschland haben. Der Standard in Deutschland ist, dass es Ärzte, Krankenhäuser gibt, die sowohl Gesetzliche wie Privatversicherte behandeln. Die machen also keinen Unterschied in ihrem medizinischen Know-how, in ihrer Anwendung.
Richtig ist, dass es Unterschiede im Service gibt. Und richtig ist auch, dass die Unterschiede in Diagnose und Therapie größer werden, nämlich dann, wenn es der Gesetzlichen Krankenversicherung nicht gelingt, Teilhabe am medizinischen Fortschritt sicherzustellen. Das wird schwierig sein angesichts der Bevölkerungsentwicklung und angesichts der politischen Vorgabe, dass die Beiträge nicht steigen dürfen. Aber Zweiklassenmedizin oder eine unterschiedliche Versorgung können Sie nicht nur am Versichertenstatus festmachen. Sie haben überall dort einen besseren Zugang zum Arzt, wo Sie es gewohnt sind, mit Autoritäten umzugehen, wo Sie sich selber vorher informiert haben. Ich bin auch sicher, dass Sie als Redakteur, unabhängig von Ihrem Versichertenstatus, einen privilegierten Zugang zu manchen Gesundheitseinrichtungen haben. Das hat mit dem Versichertenstatus nichts zu tun.
Deutschlandradio Kultur: Aber viele können sich diesen doch inzwischen nicht mehr leisten.
Volker Leienbach: Es ist richtig, dass die Belastung der Versicherten immer weiter steigt. Wir werden keine Steuerentlastung erleben. Das steht ja mittlerweile fest. Wir werden in der Gesetzlichen Krankenversicherung im nächsten Jahr ein Defizit haben von mindestens zehn Milliarden Euro. Und das wird bedeuten, entweder Leistungskürzungen, oder es wird bedeuten, steigende Beiträge. Das ist richtig. Es ist eine Herausforderung fürs Portemonnaie.
Deutschlandradio Kultur: Das gilt aber ganz besonders eben auch für die Privaten Krankenversicherungen. Wir haben uns da mal so ein paar Zahlen rausgesucht. In den letzten 20, 25 Jahren gab's immer Kostensteigerungen im Schnitt von fünf bis sechs Prozent pro Jahr. Wenn man das sozusagen kumuliert, dann ist aus 100 Euro Prämie in den 80er-Jahren inzwischen über 300 Euro Prämie geworden. Das sind dramatische Kostensprünge. Wenn das so weitergeht, wo führt das hin? Das wird doch unbezahlbar für die Menschen. Und dann laufen Ihnen die Leute doch auch weg.
Volker Leienbach: Die Analyse, was die Vergangenheit betrifft, die Sie gerade genannt haben, ist richtig. Wir sind in der Privaten Krankenversicherung gezwungen, die Wirklichkeit abzubilden. Wenn vermehrt Gesundheitsleistungen in Anspruch genommen werden, müssen wir das in Form von Prämien von den Versicherten erheben. Wir haben allerdings auch Kostensteigerung bei der Gesetzlichen Krankenversicherung. Dort ist der Beitragssatz gleichfalls dramatisch gestiegen. Wir haben in der Gesetzlichen Krankenversicherung daneben auch noch eine Geschichte von Leistungskürzungen. In den letzten Jahren sind bestimmte Arzneimittel gar nicht mehr erstattungsfähig. Wir haben eine Erhöhung der Selbstbeteiligung. Bestimmte Leistungen, wie Brillen, sind komplett ausgeschlossen. Und wir haben in der Gesetzlichen Krankenversicherung – das verschleiert so ein bisschen die Beitragsentwicklung – auch steigende Steuerzuschüsse. Allein in diesem Jahr haben wir fast 16 Milliarden Euro Steuerzuschüsse in der Gesetzlichen Krankenversicherung. All das kennt die Private Krankenversicherung nicht. Wir haben keine Steuerzuschüsse. Wir haben keine Leistungskürzungen. Wir haben uneingeschränkte Teilhabe am medizinischen Fortschritt. Das hat seinen Preis. Aber ich will auch sagen, es kann so in der Kostenentwicklung nicht weitergehen in der Zukunft, wie es in der Vergangenheit tatsächlich stattgefunden hat. Wir brauchen von daher als Private Krankenversicherung ein Instrumentarium, um Einfluss zu nehmen auf Qualität und damit auch auf Menge und auf Preis.
Auf Dauer werden diese Kostensteigerungen in dieser Größenordnung nicht mehr hinnehmbar sein.
Deutschlandradio Kultur: Zu den Kostensteigerungen werden wir gleich noch mal kommen. Sehen wir uns noch mal das Modell der Privaten Krankenversicherung an. Sie bekommen immer weniger junge und vor allem gesunde Kunden hinzu. Ihre Kundschaft insgesamt wird älter, natürlich damit auch durchaus kränker, wenn man so sagen darf. Zugleich steigen die Kosten, Sie sprachen es an. Also, die Prämien werden stetig teurer und die Private Krankenversicherung dadurch unattraktiver. Wie wollen Sie eigentlich als Branchenvertreter für die Private Krankenversicherung diesem Teufelskreis entgegenwirken?
Volker Leienbach: Wenn es denn einer wäre, wäre es in der Tat ein Problem. Tatsächlich sieht es ja anders aus. Wir haben auch in schwersten politischen Zeiten immer noch einen Nettozugang gehabt. Das heißt, die Private Krankenversicherung ist ein wachsendes System.
Deutschlandradio Kultur: Per saldo auch jetzt, aktuell?
Volker Leienbach: Per saldo auch jetzt. Wir haben im letzten Jahr einen Nettoneuzugang von rund 100.000 Personen gehabt. Und auch unter Ulla Schmidt, die neun Jahre Gesundheitsministerin war und die Private Krankenversicherung war jetzt nicht ihr Lieblingskind, haben wir jedes Jahr einen Nettoneuzugang gehabt. Das heißt, wir sind stetig gewachsen und das seit Jahren, ich kann sagen, seit Jahrzehnten. Das zeichnet sich auch jetzt ab.
Das Zweite ist: steigende Prämien. Ich hatte es eben schon angesprochen. Sie hatten daraufhin schon mal angespielt. Wir haben natürlich einen Puffer für steigende Prämien. Wir haben eine Alterungsrückstellung, die im Alter wirkt. Wir haben erste Versicherte, ich gebe zu, dass das nicht der Schnitt ist, aber es gibt immer mehr Fälle, die ab 80 überhaupt keinen Beitrag mehr zahlen, weil die Alterungsrückstellung wirkt. Und wir haben eine zusätzliche Alterungsrückstellung. Das ist also der Beitragsanteil, der verzinslich angelegt wird, um im Alter einen an sich notwendigen Beitragsanstieg zu dämpfen oder sogar zu niedrigeren Beiträgen zu führen. Wir haben seit 2000 einen zusätzlichen Alterungsrückstellungsanteil, der natürlich in der Zeitschiene erst wirksam werden wird. Aber diese Alterungsrückstellung sorgt dafür, dass die Kostenbelastung vertretbar bleiben wird.
Das alleine wird nicht reichen. Wir brauchen auch eine vernünftige Gebührenordnung.
Deutschlandradio Kultur: Aber diese Altersrückstellung ist ja aus Sicht Ihrer Kundschaft ein durchaus ambivalentes Instrument. Ältere und kranke PKV-Kunden können ja eigentlich ihrem Versicherer gar nicht mehr entkommen. Es gibt zwar jetzt die Möglichkeit oder es gab sie schon immer, die Versicherung zu wechseln, wenn man mit ihr nicht zufrieden ist, aber dann geht ein Großteil der Alterungsrückstellungen verloren, die man ja selber angesammelt hat. Außerdem muss man beim neuen Versicherer, wenn man nicht gerade in den Basistarif geht, sich dann wieder einer neuen Gesundheitsprüfung unterziehen. Je älter man wird, desto schwieriger wird das, auch da zu bestehen, sonst wird’s nämlich gleich wieder teurer. Das heißt, man spricht ja auch von einer Geiselhaft der Kunden bei der Privaten Krankenversicherung. Ist das so von der Hand zu weisen?
Volker Leienbach: Das ist von der Hand zu weisen. Es gibt hier eine Unterteilung, die ich vornehmen muss – zum einen die alte Welt und dann die neue Welt. Alte Welt heißt: Wer bis Ende 2008 in der Privaten Krankenversicherung versichert war, der konnte wechseln von Unternehmen A in Unternehmen B, verlor dann aber seine Alterungsrückstellung. Und "Verlieren" heißt: Er musste sie in dem Kollektiv belassen, das er verlassen hat.
Da wir wissen, das ist in der Gesetzlichen Krankenversicherung genauso, dass nur junge und Gesunde wechseln, von Ausnahmen abgesehen, war das auch solidarisch. Denn der Junge und Gesunde hat seinen Anteil der Alterungsrückstellung dem verbleibenden Kollektiv, wo vermehrt Alte und Kranke sind, zurückgelassen. Die Politik war damit nicht einverstanden – mit so Schlagworten, wie Sie sie gerade benutzt haben, Geiselhaft usw. Und sie hat gesagt: In der neuen Welt, und die beginnt seit Januar 2009, kann man seine Alterungsrückstellung mitnehmen im Umfang eines standardisierten Schutzes. Das heißt: Derjenige, der wechselt, nimmt jetzt seinen Anteil an der Alterungsrückstellung mit. Das fehlt aber dann dem Kollektiv, wo dann eher die Alten und Kranken drin sind. Und in diesem Kollektiv muss das dann nachfinanziert werden.
Deutschlandradio Kultur: Herr Leienbach, reden wir mal übers Sparpotenzial. Sie fordern die Beteiligung der Privatversicherer am neuen Arzneimittelsparpaket, das der Gesundheitsminister Rösler für die Kassenpatienten jetzt durchboxen will. Wie stehen denn die Chancen, dass die Private Krankenversicherung dabei ist?
Volker Leienbach: Zum Sachverhalt: Die gesetzlich Krankenversicherten werden einen – wie die Pharmaindustrie sagen würde – "Zwangsrabatt" erhalten auf neue Arzneimittel in Höhe von 16 Prozent. Nach den jetzigen Plänen sollen die privat Krankenversicherungen daran nicht beteiligt sein. Das heißt, die privat Krankenversicherten müssten die Originalpreise bezahlen – ohne Abzug dieses Zwangsrabatts. Und ganz im Gegenteil, es kann noch schlimmer kommen. Es kann sogar sein, dass die Pharmaindustrie ihre Preise erhöht, um den Rabatt für die gesetzlich Versicherten zumindest zum Teil zu kompensieren. Dann müssten das die privat Krankenversicherten das auch noch zusätzlich zahlen.
Wir haben gesagt, das kann nicht sein. Es kann nicht sein, dass der Preis eines Arzneimittels vom Versichertenstatus abhängt, wo Sie ja überhaupt keine Möglichkeit haben zu differenzieren. Die laufen zu Hunderttausenden vom Band, nehmen den identischen Vertriebsweg, landen in derselben Schublade beim Apotheker. Der greift rein, gibt sie raus. Und der eine soll 100 bezahlen und der andere 84. Das können Sie keinem erklären.
Unsere Argumentation, dort teilzuhaben an dieser Rabattierung, hat in den Fraktionen von Union und FDP große Zustimmung erfahren. Unser Stand ist, dass im Bundesgesundheitsministerium da noch Probleme gesehen werden, das wirkungsgleich auf die Private Krankenversicherung zu übertragen. Wir sind im Gespräch mit dem Gesundheitsministerium und glauben, die guten Argumente auf unserer Seite zu haben – im Interesse der Versicherten, die ja diese Preisdifferenz dann alleine zu zahlen hätten. Und dafür gibt’s keine Begründung.
Deutschlandradio Kultur: Sagen Sie mal, Herr Leienbach, Arzneimittelsparpakete gab's ja schon viele im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung. Warum eigentlich haben Sie in der Vergangenheit nicht die Trommel gerührt und dafür gekämpft, dass die PKV-Kundschaft – immerhin über 8 Mio. Menschen – dabei sein kann?
Volker Leienbach: Weil die Dramatik in der Preisdifferenz noch nie so groß war. Wir hatten bisher einen Zwangsrabatt von sechs Prozent. Wir haben jetzt einen von 16 Prozent. Das heißt, zwischen Originalpreis und dem Preis, den die gesetzlich Versicherten zahlen müssen, klafft eine immer größere Lücke. Und unser relativer Nachteil gegenüber der Gesetzlichen Krankenversicherung wird dadurch immer größer. Und die Gesetzliche Krankenversicherung profitiert zudem noch von Steuern, die auch Privatversicherte bezahlen. Und es kann nicht sein, dass die privat Krankenversicherten an jeder Stelle immer mehr zahlen – zugunsten des Gesamtsystems.
Deutschlandradio Kultur: Aber Entschuldigung, Sie schreien doch jetzt erst "Alarm". Die Kostensteigerung gab es doch in den letzten Jahren auch schon. Und die haben Sie einfach mitgemacht. Die musste der privat Versicherte also einfach leisten. Bisher hat man doch wenig gehört von Ihnen, dass Sie "Alarm" schrien und sagten, so geht das nicht weiter.
Stand vielleicht dahinter, dass man die Sorge hatte: Es gibt ein Imageproblem, wenn wir jetzt bei der Privaten Krankenversicherung darauf drängen, dass auch unsere Patienten vor allen Dingen Generika statt der Originalprodukte, der teuren, zu sich nehmen - und dann heißt es, die werden ja auch "Billigheimer" am Ende?
Volker Leienbach: Was heißt "Billigheimer"? Die Arzneimittel werden ja verschrieben in der Zukunft so, wie es in der Vergangenheit der Fall war. An dem Arzneimittel und an dessen Qualität ändert sich ja gar nichts. Die Frage ist: Welcher Preis wird für dieses Arzneimittel genommen? – Wir stehen dazu, angemessene Preise zu zahlen. Aber wenn für 90 Prozent der Bevölkerung ein Preis von 100 angemessen ist, warum soll dann für zehn Prozent der Bevölkerung, nämlich die privat Krankenversicherten, wo es reiche gibt, gut Verdienende, wo es aber mittel Verdienende gibt und klein Verdienende, warum soll dann ein Preis von 120 angemessen sein? Und wenn Sie sagen, "wir schreien" erst heute, ich bin ja froh, dass ich heute hier das im Radio verkünden darf.
Deutschlandradio Kultur: Hoffentlich ohne zu schreien.
Volker Leienbach: Ohne zu schreien. Wir haben das in der Vergangenheit auch getan, vielleicht nicht so laut, vielleicht nicht mit dieser Aufmerksamkeit, das ist richtig. Aber dadurch, dass der Abstand in dem Rahmenwerk zwischen Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung immer größer wird – zugunsten der gesetzlichen und zu zulasten der privat Krankenversicherten –, müssen wir jetzt natürlich lauter werden, weil es nicht sein kann, dass jegliches Defizit bei Einkommen- oder Finanzierungsmöglichkeiten der GKV von 10 Prozent der privat Versicherten kompensiert wird. Das kann nicht so sein.
Deutschlandradio Kultur: Nun bezahlt aber der privat Versicherte auch mehr für den Arzt, auch mehr für die Laboruntersuchungen. Und die Gemeinschaft der privat Krankenversicherten muss das dann tragen. Warum unternehmen Sie erst jetzt was dagegen?
Volker Leienbach: Diese Mehrzahlung im Bereich der ärztlichen Versorgung ist völlig anders zu beurteilen als die Mehrzahlung für identische Arzneimittel.
Deutschlandradio Kultur: Warum?
Volker Leienbach: Ich hatte eben versucht deutlich zu machen, dass es bei der Herausgabe von Arzneimitteln überhaupt keine Chance der Leistungsdifferenzierung gibt. Beim Arzt gibt’s die sehr wohl. Sie haben als privat Versicherter – das kann man kritisieren, wir tun es natürlich nicht – sicherlich einen privilegierten Zugang zum Arzt. Sie haben bessere Serviceelemente. Sie kriegen schneller einen Termin und Sie kommen auch immer mehr in die Situation da rein, dass der Arzt sich Ihnen besonders intensiv zuwendet. Das hat sehr viel positive Aspekte.
Deutschlandradio Kultur: Ist das das Zwei-, Drei-, Vierfache wert?
Volker Leienbach: Das ist die Frage. Wir sagen natürlich, dass diese Honorierungsdifferenz begründungspflichtig ist. Wenn die Mehrleistung also nur – ich sage jetzt mal Phantasiezahlen – 50 Prozent wäre, dann ist natürlich nicht gerechtfertigt, dass dann der Mehrpreis 200 Prozent wäre. Insofern wollen wir ja auch ein Verhandlungsinstrumentarium haben, was die Bundesregierung uns bisher noch nicht gegeben hat, um mit den Ärzten zu verbindlichen Vereinbarungen zu kommen, was Qualität, Menge und Preis anbelangt.
Deutschlandradio Kultur: Vielleicht noch mal eine anschauliches Beispiel, was uns auch bei der Vorbereitung auffiel: Wenn bei mir ein Blutbild erstellt wird im Labor, dann weiß der Laborant im Zweifelsfall gar nicht - interessiert ihn auch gar nicht -, ob ich privat oder gesetzlich versichert bin. Aber in dem Moment, wo die Abrechnung kommt, ist mein Blutbild als Privatpatient ungefähr viermal so teuer wie bei einem gesetzlich Versicherten. Das hat doch keine Logik.
Volker Leienbach: Das ist ein sehr gutes Beispiel. Das hat in der Tat keine Logik. Was nicht stimmt, ist, dass der Laborant das nicht weiß. Die meisten Laborkosten, die bei privat Versicherten verursacht werden, werden nicht in qualitätsgesicherten Labors verursacht, sondern beim niedergelassenen Arzt. Das sieht in der Regel so aus, dass der Selbstzuweisungen macht. Der sagt: "Wir erstellen jetzt mal ein Blutbild von Ihnen". – Und dann gehen Sie meist irgendwo in den Keller. Und dann ist häufig das Ergebnis zu sagen, "bei Ihnen ist soweit alles in Ordnung, aber es gibt da einen Wert, der ist nicht ganz in der Mitte – nichts Schlimmes, aber das gucken wir uns noch mal an".
Und das führt zu einer Mehrfachdiagnostik, die in der Tat nicht tolerabel ist. Wir haben im Bereich Labordiagnostik das Phänomen, dass jeder gesetzlich Versicherte im Durchschnitt, ich glaube, 24 Euro an Laborkosten verursacht und jeder privat Versicherte im Durchschnitt 109 Euro. Das ist medizinisch nicht zu erklären. Hier muss gegengesteuert werden. Wir haben leider dafür kein Instrument.
Deutschlandradio Kultur: Das ist die Frage: Wie wollen Sie da gegensteuern? Warum kriegt der Privatpatient soundso viel mehr Untersuchungen, zum Beispiel CTs und was weiß ich nicht was noch, und der Kassenpatient nicht? Also, hier sind ja offenbar Unterschiede ganz klar und deutlich auf der Hand. Was tun Sie dagegen?
Volker Leienbach: Also, der privat Versicherte ist sehr gut versorgt. Das zeigen auch alle Umfragen, dass der privat Versicherte mit seiner Versicherung sehr zufrieden ist. Es gibt aber auch Fälle von Überversorgung. Nicht alles, was mehr geschieht, ist besser. Diagnostik ist nur dann gut, wenn sie so sparsam wie möglich ist. Damit meine ich nicht nur Kosten, sondern damit meine ich die Eingriffe am Versicherten, am Patienten. Der geht ja nicht aus Hobbygründen da hin und lässt sich Blut abnehmen.
Und wir haben keinerlei Begründung dafür, warum diese auswuchernde Labordiagnostik medizinisch gerechtfertigt wäre. Jetzt wollen wir verhandeln – mit der Bundesärztekammer und anderen Ärztegruppen – und sagen: Wir machen Qualitätsstandards. Dann ist es beispielsweise begründungspflichtig, wenn ich das X-Fache an Laboruntersuchungen tatsächlich unternehme. Und wir haben dazu keine rechtliche Handhabe. Wir dürfen das als Private Krankenversicherung, als Institution nicht tun, weil uns bisher jede Vorgängerregierung dieses Verhandlungsmandat verweigert hat. Und unser großes Ziel für diese Legislaturperiode ist, ein stabiles Verhandlungsmandat zu bekommen im Interesse unserer Versicherten, um Qualitätsstandards zu vereinbaren, aber auch um Mengenauswüchse zu begrenzen und damit auch die Kosten stärker im Griff zu haben.
Deutschlandradio Kultur: Ist es nicht eher so, dass wir hier das Problem der so genannten Quersubventionierung haben? Es ist doch ein offenes Geheimnis, dass eine Arztpraxis, die keine Privatpatienten hat, nur schwerlich überleben kann. Mit anderen Worten: Die Privatpatienten subventionieren das, was die GKV-Patienten eigentlich gar nicht mehr zahlen können, was gar nicht mehr erstattet wird, so dass hier sozusagen eine stillschweigende Abmachung ist, dass die Politik sagt, "gut, die PKV-Kunden, die haben es ja, die sollen das mal ruhig zahlen"?
Volker Leienbach: Es ist in der Tat so, dass privat Versicherte für einen Arzt sehr attraktiv sind. Es ist in der Tat so, dass sie auch für ein Krankenhaus sehr attraktiv sind. Sie finden kaum einen niedergelassenen Arzt, der nicht sagen würde, dass er nicht überleben könnte oder nicht so leben könnte, gäbe es keine privat Versicherten, aber vor allen Dingen, dass seine technische Ausrüstung nicht so gut wäre, wenn es keine privat Versicherten gäbe. Die Geräte werden zum Teil mit Geldern der privat Versicherten angeschafft, aber sie kommen natürlich allen zugute. Und auch Krankenhausträger sagen Ihnen, dass es ohne privat Versicherte eigentlich keinen Investitionshaushalt mehr gäbe. Das ist das Gute. Dazu stehen wir auch bis zu einem gewissen Grade – aber es hat Grenzen.
Deutschlandradio Kultur: Inzwischen hat man ja doch den Eindruck - weil Sie ein knallhartes Controlling eingeführt haben, viele privat Versicherte müssen sich besonders rechtfertigen für ihre Arztrechnungen, bleiben zum Teil auf den Kosten sitzen -, dass Sie da auch versuchen, am falschen Ende zu sparen, nämlich bei den Versicherten. Warum gab es dieses knallharte Controlling nicht schon viel früher? Und ist das jetzt der richtige Weg, auch selber zur Kostendämpfung beizutragen?
Volker Leienbach: Was Sie "knallhartes Controlling" nennen, bezeichnen wir natürlich als Rechnungsprüfung. Es ist im Interesse der Versichertengemeinschaft, tatsächlich nur das zu bezahlen, was auch erbracht worden ist, und das auch nur zu Kostensätzen, die vertraglich vereinbart wurden.
Deutschlandradio Kultur: Wäre es da nicht sinnvoller, Sie gehen schon vorher mal zum Arzt und sagen, "lieber Freund, du machst ein bisschen viel Röntgen und du machst ein bisschen viel CT. Können wir nicht an der Stelle mal sparen"?
Volker Leienbach: Ja, aber die Frage muss ich an Sie zurückgeben. Denn Sie sind der Versicherte. Es gibt keine Vertragsbeziehung zwischen Privater Krankenversicherung und Arzt.
Deutschlandradio Kultur: Wenn der Arzt mir sagt - das ist ja auch bei der GKV so, bei den IGEL-Untersuchungen -, wenn der Arzt mir sagt, wir müssen das nicht machen, aber es wäre besser für Sie, was sage ich denn dann?
Volker Leienbach: Ja, es ist ein Problem. Es ist ein Dilemma. Deswegen fordern wir ja als Private Krankenversicherung Verhandlungskompetenz ein, um mit dem Arzt genau diese Standards tatsächlich zu vereinbaren. Wenn Sie als Patient beim Arzt sind, dann ist Augenhöhe Illusion. Das gibt es nicht. Sie sind immer in der schwächeren Position. Wenn der Arzt mit seiner Autorität kommt, und Sie haben in aller Regel ja ein gutes Verhältnis zu Ihrem Arzt, habe ich persönlich auch, dann glauben Sie ihm natürlich.
Deutschlandradio Kultur: Also sind Sie doch gefordert.
Volker Leienbach: Also sind wir gefordert, genau. Aber im Augenblick redet dieser Arzt nicht mit uns, weil er nicht muss. Es gibt keine Vertragsbeziehung zwischen Arzt und Privater Krankenversicherung. Und genau diese Vertragsbeziehung wollen wir ja haben, nicht unbedingt mit dem einzelnen Arzt, aber mit Ärztegruppen, mit Ärztevereinigungen, auch mit der Bundesärztekammer. Wir müssen im Versicherteninteresse, das erwartet er ja, wie ich ja aus Ihrer Frage gerade entnehme, wir müssen im Versicherteninteresse für die Versicherten verhandeln, und zwar über Qualität, aber auch über Menge und auch über Preise.
Deutschlandradio Kultur: Herr Leienbach, die FDP gilt unter den politischen Parteien als engster Verbündeter des PKV-Systems. Welche Erwartungen haben Sie eigentlich an Bundesgesundheitsminister Rösler?
Volker Leienbach: Die alte Bundesregierung, zumindest in der Person der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, wollte die Private Krankenversicherung letztlich abschaffen oder sie aufgehen lassen in einer Bürgerversicherung. Die neue Bundesregierung bekennt sich zu dem dualen System aus Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung. Das gefällt uns natürlich. Dann gibt es im Koalitionsvertrag - bei allem, was man sich immer mehr wünschen kann als Interessenvertreter - viele positive Aspekte. Wir erwarten natürlich auch, dass dieser Koalitionsvertrag umgesetzt wird. Ein Beispiel ist, dass es wieder leichter wird, von der Gesetzlichen Krankenversicherung in die Private Krankenversicherung wechseln zu können.
Deutschlandradio Kultur: Mindestens drei Jahre, Sie wollen wieder auf ein Jahr zurück.
Volker Leienbach: Wir wollen zum alten Rechtszustand zurück. Das steht im Koalitionsvertrag drin, auch ohne Gremienvorbehalt oder Prüfvorbehalt. Das kann man also eigentlich machen. Wir rechnen damit zum Jahreswechsel. Wir gehen darüber hinaus davon aus, dass diese auch im Koalitionsvertrag stehende kapitalgedeckte Pflegezusatzversicherung eingeführt wird. Das halten wir auch angesichts der demographischen Entwicklung, der deutlich steigenden Zahl von Pflegebedürftigen für notwendig. Und wir wären dafür aus meiner Sicht ein geborener Partner. Aber ich weiß natürlich, dass andere Systeme sich gleichfalls als geborene Partner dort sehen.
Deutschlandradio Kultur: Das klingt ganz optimistisch. Hilft da vielleicht auch Ihr ehemaliger Kollege Christian Weber, ihr langjähriger Kollege, der jetzt an einer zentralen Schaltstelle im Bundesministerium für Gesundheit sitzt?
Volker Leienbach: Wissen Sie, was wir intern gesagt haben, als bekannt wurde, dass da der Wechsel ansteht? Wir haben gesagt: Das wird der Privaten Krankenversicherung auf keinen Fall nutzen.
Deutschlandradio Kultur: Warum?
Volker Leienbach: Ja, weil bei jeder Entscheidung, die jetzt ansteht, das Ministerium immer mit bedenken muss, wie wird die öffentliche Kommentierung sein. Wenn da etwas zugunsten der PKV ausgelegt werden könnte, wird man immer sagen: Ist ja kein Wunder, da ist doch dieser Mann von der Privaten Krankenversicherung.
Aber ich habe mich sowieso über die öffentliche Aufregung gewundert. Da ist ein FDP-Gesundheitsminister, der bestimmte Vorstellungen hat. Und da ist auf der anderen Seite ein ausgewiesener Fachmann, das ist an keiner Stelle bestritten worden, der viele diese Grundsätze auch noch teilt. – Ist es denn wirklich so überraschend, dass ein Minister sich einen Fachmann holt, der auch noch die Grundlinien seiner Politik mit trägt? Ich finde es nicht überraschend. Das hat Ulla Schmidt genauso gemacht, indem sie sich als Abteilungsleiter jemanden von der AOK geholt hat. Und wenn ich recht erinnere, kam Herr Riester, der Arbeitsminister war, unmittelbar von der IG Metall.
Deutschlandradio Kultur: Letzte Frage, an Ihre prophetischen Gaben sozusagen - was meinen Sie: Bleibt das Nebeneinander von Gesetzlichen Kassen und Privaten Krankenversicherungen auf Dauer bestehen? Oder kommt vielleicht doch irgendwann eine Einheitsversicherung, die ja gar nicht "Bürgerversicherung" heißen muss, mit einem Basisschutz für alle, ergänzt durch private Zusatzversicherungen? – Denn im Kern, so verstehe ich das, zielt doch zumindest das, was die FDP will, darauf ab.
Volker Leienbach: Ich sage immer: Es steht der Beleg, der Beweis aus, dass Einheitssysteme differenzierten Systemen überlegen sind. Nennen Sie mir ein Land in der Welt, das ein Einheitssystem hat – und das sind die meisten –, wo es besser ist als in Deutschland. Das Einheitssystem ist ja kein Wert an sich. Das mag Ideologen befriedigen, aber es bringt keinen besseren Output. Aus meiner Sicht wird die Dualität bestehen bleiben.
Dass sich die Systeme verändern werden, halte ich allerdings auch für eine realistische Perspektive. Das gilt für die Gesetzliche Krankenversicherung. Das gilt auch für die Privaten Krankenversicherungen. Das System wird immer in Bewegung bleiben.
Deutschlandradio Kultur: Herr Leienbach, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Volker Leienbach: Gerne.
Volker Leienbach: Es ist sicher richtig, dass ich Interessen vertrete. Ich bin auch derjenige, der am exponiertesten vielleicht die Interessen vertritt, von unserem Vorsitzenden jetzt mal abgesehen, aber der ist halt ehrenamtlich Präsident. Ich mache das hauptamtlich und ich versuche meinen Job zu machen für eine gute Sache und versuche ihn gut zu machen.
Deutschlandradio Kultur: In der jüngsten Werbekampagne heißt es, Zitat: "Deutschland braucht die private Krankenversicherung." Warum eigentlich?
Volker Leienbach: Sie nennen das "Werbekampagne". Das ist eigentlich eine politische Botschaft, die wir verkünden. Wir beteiligen uns an der aktuellen politischen Diskussion, wie es mit der Gesundheitspolitik weitergeht. Wir machen das sehr selbstbewusst – mit Textanzeigen, also ohne viel Weihrauch, ohne Brimborium. Und wir weisen darauf hin, dass wir ein schuldenfreies System sind. Wir weisen darauf hin, dass wir Vorsorge fürs Alter treffen, also für die Lebensphase, wo wir viele Leistungen in Anspruch nehmen werden und wo wenig Jugendliche, wenig Erwerbstätige da sind, die diese Leistungen bezahlen können. Da sorgt unser System vor.
Und da wir politisch immer auch in Bedrängnis sind und bei manchen auf der Liste "abzuschaffen" stehen, ist jetzt die Zeit, das Wort zu erheben.
Deutschlandradio Kultur: Aber nun gibt es ja eine Zweiklassenmedizin in Deutschland. Die einen werden meist ja ganz gut medizinisch betreut, die anderen bekommen weniger. Ist das eigentlich eines Sozialstaats noch würdig, wenn der Geldbeutel über die Gesundheit entscheidet?
Volker Leienbach: Das ist nicht so, dass der Geldbeutel über die Gesundheit entscheidet. Wir haben weltweit - überall dort, wo wir Einheitssysteme haben, das ist, was vielen in Deutschland vorschwebt -, eine deutlich stärkere Ausprägung von Zwei- oder Mehrklassenmedizin als wir sie in Deutschland haben. Der Standard in Deutschland ist, dass es Ärzte, Krankenhäuser gibt, die sowohl Gesetzliche wie Privatversicherte behandeln. Die machen also keinen Unterschied in ihrem medizinischen Know-how, in ihrer Anwendung.
Richtig ist, dass es Unterschiede im Service gibt. Und richtig ist auch, dass die Unterschiede in Diagnose und Therapie größer werden, nämlich dann, wenn es der Gesetzlichen Krankenversicherung nicht gelingt, Teilhabe am medizinischen Fortschritt sicherzustellen. Das wird schwierig sein angesichts der Bevölkerungsentwicklung und angesichts der politischen Vorgabe, dass die Beiträge nicht steigen dürfen. Aber Zweiklassenmedizin oder eine unterschiedliche Versorgung können Sie nicht nur am Versichertenstatus festmachen. Sie haben überall dort einen besseren Zugang zum Arzt, wo Sie es gewohnt sind, mit Autoritäten umzugehen, wo Sie sich selber vorher informiert haben. Ich bin auch sicher, dass Sie als Redakteur, unabhängig von Ihrem Versichertenstatus, einen privilegierten Zugang zu manchen Gesundheitseinrichtungen haben. Das hat mit dem Versichertenstatus nichts zu tun.
Deutschlandradio Kultur: Aber viele können sich diesen doch inzwischen nicht mehr leisten.
Volker Leienbach: Es ist richtig, dass die Belastung der Versicherten immer weiter steigt. Wir werden keine Steuerentlastung erleben. Das steht ja mittlerweile fest. Wir werden in der Gesetzlichen Krankenversicherung im nächsten Jahr ein Defizit haben von mindestens zehn Milliarden Euro. Und das wird bedeuten, entweder Leistungskürzungen, oder es wird bedeuten, steigende Beiträge. Das ist richtig. Es ist eine Herausforderung fürs Portemonnaie.
Deutschlandradio Kultur: Das gilt aber ganz besonders eben auch für die Privaten Krankenversicherungen. Wir haben uns da mal so ein paar Zahlen rausgesucht. In den letzten 20, 25 Jahren gab's immer Kostensteigerungen im Schnitt von fünf bis sechs Prozent pro Jahr. Wenn man das sozusagen kumuliert, dann ist aus 100 Euro Prämie in den 80er-Jahren inzwischen über 300 Euro Prämie geworden. Das sind dramatische Kostensprünge. Wenn das so weitergeht, wo führt das hin? Das wird doch unbezahlbar für die Menschen. Und dann laufen Ihnen die Leute doch auch weg.
Volker Leienbach: Die Analyse, was die Vergangenheit betrifft, die Sie gerade genannt haben, ist richtig. Wir sind in der Privaten Krankenversicherung gezwungen, die Wirklichkeit abzubilden. Wenn vermehrt Gesundheitsleistungen in Anspruch genommen werden, müssen wir das in Form von Prämien von den Versicherten erheben. Wir haben allerdings auch Kostensteigerung bei der Gesetzlichen Krankenversicherung. Dort ist der Beitragssatz gleichfalls dramatisch gestiegen. Wir haben in der Gesetzlichen Krankenversicherung daneben auch noch eine Geschichte von Leistungskürzungen. In den letzten Jahren sind bestimmte Arzneimittel gar nicht mehr erstattungsfähig. Wir haben eine Erhöhung der Selbstbeteiligung. Bestimmte Leistungen, wie Brillen, sind komplett ausgeschlossen. Und wir haben in der Gesetzlichen Krankenversicherung – das verschleiert so ein bisschen die Beitragsentwicklung – auch steigende Steuerzuschüsse. Allein in diesem Jahr haben wir fast 16 Milliarden Euro Steuerzuschüsse in der Gesetzlichen Krankenversicherung. All das kennt die Private Krankenversicherung nicht. Wir haben keine Steuerzuschüsse. Wir haben keine Leistungskürzungen. Wir haben uneingeschränkte Teilhabe am medizinischen Fortschritt. Das hat seinen Preis. Aber ich will auch sagen, es kann so in der Kostenentwicklung nicht weitergehen in der Zukunft, wie es in der Vergangenheit tatsächlich stattgefunden hat. Wir brauchen von daher als Private Krankenversicherung ein Instrumentarium, um Einfluss zu nehmen auf Qualität und damit auch auf Menge und auf Preis.
Auf Dauer werden diese Kostensteigerungen in dieser Größenordnung nicht mehr hinnehmbar sein.
Deutschlandradio Kultur: Zu den Kostensteigerungen werden wir gleich noch mal kommen. Sehen wir uns noch mal das Modell der Privaten Krankenversicherung an. Sie bekommen immer weniger junge und vor allem gesunde Kunden hinzu. Ihre Kundschaft insgesamt wird älter, natürlich damit auch durchaus kränker, wenn man so sagen darf. Zugleich steigen die Kosten, Sie sprachen es an. Also, die Prämien werden stetig teurer und die Private Krankenversicherung dadurch unattraktiver. Wie wollen Sie eigentlich als Branchenvertreter für die Private Krankenversicherung diesem Teufelskreis entgegenwirken?
Volker Leienbach: Wenn es denn einer wäre, wäre es in der Tat ein Problem. Tatsächlich sieht es ja anders aus. Wir haben auch in schwersten politischen Zeiten immer noch einen Nettozugang gehabt. Das heißt, die Private Krankenversicherung ist ein wachsendes System.
Deutschlandradio Kultur: Per saldo auch jetzt, aktuell?
Volker Leienbach: Per saldo auch jetzt. Wir haben im letzten Jahr einen Nettoneuzugang von rund 100.000 Personen gehabt. Und auch unter Ulla Schmidt, die neun Jahre Gesundheitsministerin war und die Private Krankenversicherung war jetzt nicht ihr Lieblingskind, haben wir jedes Jahr einen Nettoneuzugang gehabt. Das heißt, wir sind stetig gewachsen und das seit Jahren, ich kann sagen, seit Jahrzehnten. Das zeichnet sich auch jetzt ab.
Das Zweite ist: steigende Prämien. Ich hatte es eben schon angesprochen. Sie hatten daraufhin schon mal angespielt. Wir haben natürlich einen Puffer für steigende Prämien. Wir haben eine Alterungsrückstellung, die im Alter wirkt. Wir haben erste Versicherte, ich gebe zu, dass das nicht der Schnitt ist, aber es gibt immer mehr Fälle, die ab 80 überhaupt keinen Beitrag mehr zahlen, weil die Alterungsrückstellung wirkt. Und wir haben eine zusätzliche Alterungsrückstellung. Das ist also der Beitragsanteil, der verzinslich angelegt wird, um im Alter einen an sich notwendigen Beitragsanstieg zu dämpfen oder sogar zu niedrigeren Beiträgen zu führen. Wir haben seit 2000 einen zusätzlichen Alterungsrückstellungsanteil, der natürlich in der Zeitschiene erst wirksam werden wird. Aber diese Alterungsrückstellung sorgt dafür, dass die Kostenbelastung vertretbar bleiben wird.
Das alleine wird nicht reichen. Wir brauchen auch eine vernünftige Gebührenordnung.
Deutschlandradio Kultur: Aber diese Altersrückstellung ist ja aus Sicht Ihrer Kundschaft ein durchaus ambivalentes Instrument. Ältere und kranke PKV-Kunden können ja eigentlich ihrem Versicherer gar nicht mehr entkommen. Es gibt zwar jetzt die Möglichkeit oder es gab sie schon immer, die Versicherung zu wechseln, wenn man mit ihr nicht zufrieden ist, aber dann geht ein Großteil der Alterungsrückstellungen verloren, die man ja selber angesammelt hat. Außerdem muss man beim neuen Versicherer, wenn man nicht gerade in den Basistarif geht, sich dann wieder einer neuen Gesundheitsprüfung unterziehen. Je älter man wird, desto schwieriger wird das, auch da zu bestehen, sonst wird’s nämlich gleich wieder teurer. Das heißt, man spricht ja auch von einer Geiselhaft der Kunden bei der Privaten Krankenversicherung. Ist das so von der Hand zu weisen?
Volker Leienbach: Das ist von der Hand zu weisen. Es gibt hier eine Unterteilung, die ich vornehmen muss – zum einen die alte Welt und dann die neue Welt. Alte Welt heißt: Wer bis Ende 2008 in der Privaten Krankenversicherung versichert war, der konnte wechseln von Unternehmen A in Unternehmen B, verlor dann aber seine Alterungsrückstellung. Und "Verlieren" heißt: Er musste sie in dem Kollektiv belassen, das er verlassen hat.
Da wir wissen, das ist in der Gesetzlichen Krankenversicherung genauso, dass nur junge und Gesunde wechseln, von Ausnahmen abgesehen, war das auch solidarisch. Denn der Junge und Gesunde hat seinen Anteil der Alterungsrückstellung dem verbleibenden Kollektiv, wo vermehrt Alte und Kranke sind, zurückgelassen. Die Politik war damit nicht einverstanden – mit so Schlagworten, wie Sie sie gerade benutzt haben, Geiselhaft usw. Und sie hat gesagt: In der neuen Welt, und die beginnt seit Januar 2009, kann man seine Alterungsrückstellung mitnehmen im Umfang eines standardisierten Schutzes. Das heißt: Derjenige, der wechselt, nimmt jetzt seinen Anteil an der Alterungsrückstellung mit. Das fehlt aber dann dem Kollektiv, wo dann eher die Alten und Kranken drin sind. Und in diesem Kollektiv muss das dann nachfinanziert werden.
Deutschlandradio Kultur: Herr Leienbach, reden wir mal übers Sparpotenzial. Sie fordern die Beteiligung der Privatversicherer am neuen Arzneimittelsparpaket, das der Gesundheitsminister Rösler für die Kassenpatienten jetzt durchboxen will. Wie stehen denn die Chancen, dass die Private Krankenversicherung dabei ist?
Volker Leienbach: Zum Sachverhalt: Die gesetzlich Krankenversicherten werden einen – wie die Pharmaindustrie sagen würde – "Zwangsrabatt" erhalten auf neue Arzneimittel in Höhe von 16 Prozent. Nach den jetzigen Plänen sollen die privat Krankenversicherungen daran nicht beteiligt sein. Das heißt, die privat Krankenversicherten müssten die Originalpreise bezahlen – ohne Abzug dieses Zwangsrabatts. Und ganz im Gegenteil, es kann noch schlimmer kommen. Es kann sogar sein, dass die Pharmaindustrie ihre Preise erhöht, um den Rabatt für die gesetzlich Versicherten zumindest zum Teil zu kompensieren. Dann müssten das die privat Krankenversicherten das auch noch zusätzlich zahlen.
Wir haben gesagt, das kann nicht sein. Es kann nicht sein, dass der Preis eines Arzneimittels vom Versichertenstatus abhängt, wo Sie ja überhaupt keine Möglichkeit haben zu differenzieren. Die laufen zu Hunderttausenden vom Band, nehmen den identischen Vertriebsweg, landen in derselben Schublade beim Apotheker. Der greift rein, gibt sie raus. Und der eine soll 100 bezahlen und der andere 84. Das können Sie keinem erklären.
Unsere Argumentation, dort teilzuhaben an dieser Rabattierung, hat in den Fraktionen von Union und FDP große Zustimmung erfahren. Unser Stand ist, dass im Bundesgesundheitsministerium da noch Probleme gesehen werden, das wirkungsgleich auf die Private Krankenversicherung zu übertragen. Wir sind im Gespräch mit dem Gesundheitsministerium und glauben, die guten Argumente auf unserer Seite zu haben – im Interesse der Versicherten, die ja diese Preisdifferenz dann alleine zu zahlen hätten. Und dafür gibt’s keine Begründung.
Deutschlandradio Kultur: Sagen Sie mal, Herr Leienbach, Arzneimittelsparpakete gab's ja schon viele im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung. Warum eigentlich haben Sie in der Vergangenheit nicht die Trommel gerührt und dafür gekämpft, dass die PKV-Kundschaft – immerhin über 8 Mio. Menschen – dabei sein kann?
Volker Leienbach: Weil die Dramatik in der Preisdifferenz noch nie so groß war. Wir hatten bisher einen Zwangsrabatt von sechs Prozent. Wir haben jetzt einen von 16 Prozent. Das heißt, zwischen Originalpreis und dem Preis, den die gesetzlich Versicherten zahlen müssen, klafft eine immer größere Lücke. Und unser relativer Nachteil gegenüber der Gesetzlichen Krankenversicherung wird dadurch immer größer. Und die Gesetzliche Krankenversicherung profitiert zudem noch von Steuern, die auch Privatversicherte bezahlen. Und es kann nicht sein, dass die privat Krankenversicherten an jeder Stelle immer mehr zahlen – zugunsten des Gesamtsystems.
Deutschlandradio Kultur: Aber Entschuldigung, Sie schreien doch jetzt erst "Alarm". Die Kostensteigerung gab es doch in den letzten Jahren auch schon. Und die haben Sie einfach mitgemacht. Die musste der privat Versicherte also einfach leisten. Bisher hat man doch wenig gehört von Ihnen, dass Sie "Alarm" schrien und sagten, so geht das nicht weiter.
Stand vielleicht dahinter, dass man die Sorge hatte: Es gibt ein Imageproblem, wenn wir jetzt bei der Privaten Krankenversicherung darauf drängen, dass auch unsere Patienten vor allen Dingen Generika statt der Originalprodukte, der teuren, zu sich nehmen - und dann heißt es, die werden ja auch "Billigheimer" am Ende?
Volker Leienbach: Was heißt "Billigheimer"? Die Arzneimittel werden ja verschrieben in der Zukunft so, wie es in der Vergangenheit der Fall war. An dem Arzneimittel und an dessen Qualität ändert sich ja gar nichts. Die Frage ist: Welcher Preis wird für dieses Arzneimittel genommen? – Wir stehen dazu, angemessene Preise zu zahlen. Aber wenn für 90 Prozent der Bevölkerung ein Preis von 100 angemessen ist, warum soll dann für zehn Prozent der Bevölkerung, nämlich die privat Krankenversicherten, wo es reiche gibt, gut Verdienende, wo es aber mittel Verdienende gibt und klein Verdienende, warum soll dann ein Preis von 120 angemessen sein? Und wenn Sie sagen, "wir schreien" erst heute, ich bin ja froh, dass ich heute hier das im Radio verkünden darf.
Deutschlandradio Kultur: Hoffentlich ohne zu schreien.
Volker Leienbach: Ohne zu schreien. Wir haben das in der Vergangenheit auch getan, vielleicht nicht so laut, vielleicht nicht mit dieser Aufmerksamkeit, das ist richtig. Aber dadurch, dass der Abstand in dem Rahmenwerk zwischen Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung immer größer wird – zugunsten der gesetzlichen und zu zulasten der privat Krankenversicherten –, müssen wir jetzt natürlich lauter werden, weil es nicht sein kann, dass jegliches Defizit bei Einkommen- oder Finanzierungsmöglichkeiten der GKV von 10 Prozent der privat Versicherten kompensiert wird. Das kann nicht so sein.
Deutschlandradio Kultur: Nun bezahlt aber der privat Versicherte auch mehr für den Arzt, auch mehr für die Laboruntersuchungen. Und die Gemeinschaft der privat Krankenversicherten muss das dann tragen. Warum unternehmen Sie erst jetzt was dagegen?
Volker Leienbach: Diese Mehrzahlung im Bereich der ärztlichen Versorgung ist völlig anders zu beurteilen als die Mehrzahlung für identische Arzneimittel.
Deutschlandradio Kultur: Warum?
Volker Leienbach: Ich hatte eben versucht deutlich zu machen, dass es bei der Herausgabe von Arzneimitteln überhaupt keine Chance der Leistungsdifferenzierung gibt. Beim Arzt gibt’s die sehr wohl. Sie haben als privat Versicherter – das kann man kritisieren, wir tun es natürlich nicht – sicherlich einen privilegierten Zugang zum Arzt. Sie haben bessere Serviceelemente. Sie kriegen schneller einen Termin und Sie kommen auch immer mehr in die Situation da rein, dass der Arzt sich Ihnen besonders intensiv zuwendet. Das hat sehr viel positive Aspekte.
Deutschlandradio Kultur: Ist das das Zwei-, Drei-, Vierfache wert?
Volker Leienbach: Das ist die Frage. Wir sagen natürlich, dass diese Honorierungsdifferenz begründungspflichtig ist. Wenn die Mehrleistung also nur – ich sage jetzt mal Phantasiezahlen – 50 Prozent wäre, dann ist natürlich nicht gerechtfertigt, dass dann der Mehrpreis 200 Prozent wäre. Insofern wollen wir ja auch ein Verhandlungsinstrumentarium haben, was die Bundesregierung uns bisher noch nicht gegeben hat, um mit den Ärzten zu verbindlichen Vereinbarungen zu kommen, was Qualität, Menge und Preis anbelangt.
Deutschlandradio Kultur: Vielleicht noch mal eine anschauliches Beispiel, was uns auch bei der Vorbereitung auffiel: Wenn bei mir ein Blutbild erstellt wird im Labor, dann weiß der Laborant im Zweifelsfall gar nicht - interessiert ihn auch gar nicht -, ob ich privat oder gesetzlich versichert bin. Aber in dem Moment, wo die Abrechnung kommt, ist mein Blutbild als Privatpatient ungefähr viermal so teuer wie bei einem gesetzlich Versicherten. Das hat doch keine Logik.
Volker Leienbach: Das ist ein sehr gutes Beispiel. Das hat in der Tat keine Logik. Was nicht stimmt, ist, dass der Laborant das nicht weiß. Die meisten Laborkosten, die bei privat Versicherten verursacht werden, werden nicht in qualitätsgesicherten Labors verursacht, sondern beim niedergelassenen Arzt. Das sieht in der Regel so aus, dass der Selbstzuweisungen macht. Der sagt: "Wir erstellen jetzt mal ein Blutbild von Ihnen". – Und dann gehen Sie meist irgendwo in den Keller. Und dann ist häufig das Ergebnis zu sagen, "bei Ihnen ist soweit alles in Ordnung, aber es gibt da einen Wert, der ist nicht ganz in der Mitte – nichts Schlimmes, aber das gucken wir uns noch mal an".
Und das führt zu einer Mehrfachdiagnostik, die in der Tat nicht tolerabel ist. Wir haben im Bereich Labordiagnostik das Phänomen, dass jeder gesetzlich Versicherte im Durchschnitt, ich glaube, 24 Euro an Laborkosten verursacht und jeder privat Versicherte im Durchschnitt 109 Euro. Das ist medizinisch nicht zu erklären. Hier muss gegengesteuert werden. Wir haben leider dafür kein Instrument.
Deutschlandradio Kultur: Das ist die Frage: Wie wollen Sie da gegensteuern? Warum kriegt der Privatpatient soundso viel mehr Untersuchungen, zum Beispiel CTs und was weiß ich nicht was noch, und der Kassenpatient nicht? Also, hier sind ja offenbar Unterschiede ganz klar und deutlich auf der Hand. Was tun Sie dagegen?
Volker Leienbach: Also, der privat Versicherte ist sehr gut versorgt. Das zeigen auch alle Umfragen, dass der privat Versicherte mit seiner Versicherung sehr zufrieden ist. Es gibt aber auch Fälle von Überversorgung. Nicht alles, was mehr geschieht, ist besser. Diagnostik ist nur dann gut, wenn sie so sparsam wie möglich ist. Damit meine ich nicht nur Kosten, sondern damit meine ich die Eingriffe am Versicherten, am Patienten. Der geht ja nicht aus Hobbygründen da hin und lässt sich Blut abnehmen.
Und wir haben keinerlei Begründung dafür, warum diese auswuchernde Labordiagnostik medizinisch gerechtfertigt wäre. Jetzt wollen wir verhandeln – mit der Bundesärztekammer und anderen Ärztegruppen – und sagen: Wir machen Qualitätsstandards. Dann ist es beispielsweise begründungspflichtig, wenn ich das X-Fache an Laboruntersuchungen tatsächlich unternehme. Und wir haben dazu keine rechtliche Handhabe. Wir dürfen das als Private Krankenversicherung, als Institution nicht tun, weil uns bisher jede Vorgängerregierung dieses Verhandlungsmandat verweigert hat. Und unser großes Ziel für diese Legislaturperiode ist, ein stabiles Verhandlungsmandat zu bekommen im Interesse unserer Versicherten, um Qualitätsstandards zu vereinbaren, aber auch um Mengenauswüchse zu begrenzen und damit auch die Kosten stärker im Griff zu haben.
Deutschlandradio Kultur: Ist es nicht eher so, dass wir hier das Problem der so genannten Quersubventionierung haben? Es ist doch ein offenes Geheimnis, dass eine Arztpraxis, die keine Privatpatienten hat, nur schwerlich überleben kann. Mit anderen Worten: Die Privatpatienten subventionieren das, was die GKV-Patienten eigentlich gar nicht mehr zahlen können, was gar nicht mehr erstattet wird, so dass hier sozusagen eine stillschweigende Abmachung ist, dass die Politik sagt, "gut, die PKV-Kunden, die haben es ja, die sollen das mal ruhig zahlen"?
Volker Leienbach: Es ist in der Tat so, dass privat Versicherte für einen Arzt sehr attraktiv sind. Es ist in der Tat so, dass sie auch für ein Krankenhaus sehr attraktiv sind. Sie finden kaum einen niedergelassenen Arzt, der nicht sagen würde, dass er nicht überleben könnte oder nicht so leben könnte, gäbe es keine privat Versicherten, aber vor allen Dingen, dass seine technische Ausrüstung nicht so gut wäre, wenn es keine privat Versicherten gäbe. Die Geräte werden zum Teil mit Geldern der privat Versicherten angeschafft, aber sie kommen natürlich allen zugute. Und auch Krankenhausträger sagen Ihnen, dass es ohne privat Versicherte eigentlich keinen Investitionshaushalt mehr gäbe. Das ist das Gute. Dazu stehen wir auch bis zu einem gewissen Grade – aber es hat Grenzen.
Deutschlandradio Kultur: Inzwischen hat man ja doch den Eindruck - weil Sie ein knallhartes Controlling eingeführt haben, viele privat Versicherte müssen sich besonders rechtfertigen für ihre Arztrechnungen, bleiben zum Teil auf den Kosten sitzen -, dass Sie da auch versuchen, am falschen Ende zu sparen, nämlich bei den Versicherten. Warum gab es dieses knallharte Controlling nicht schon viel früher? Und ist das jetzt der richtige Weg, auch selber zur Kostendämpfung beizutragen?
Volker Leienbach: Was Sie "knallhartes Controlling" nennen, bezeichnen wir natürlich als Rechnungsprüfung. Es ist im Interesse der Versichertengemeinschaft, tatsächlich nur das zu bezahlen, was auch erbracht worden ist, und das auch nur zu Kostensätzen, die vertraglich vereinbart wurden.
Deutschlandradio Kultur: Wäre es da nicht sinnvoller, Sie gehen schon vorher mal zum Arzt und sagen, "lieber Freund, du machst ein bisschen viel Röntgen und du machst ein bisschen viel CT. Können wir nicht an der Stelle mal sparen"?
Volker Leienbach: Ja, aber die Frage muss ich an Sie zurückgeben. Denn Sie sind der Versicherte. Es gibt keine Vertragsbeziehung zwischen Privater Krankenversicherung und Arzt.
Deutschlandradio Kultur: Wenn der Arzt mir sagt - das ist ja auch bei der GKV so, bei den IGEL-Untersuchungen -, wenn der Arzt mir sagt, wir müssen das nicht machen, aber es wäre besser für Sie, was sage ich denn dann?
Volker Leienbach: Ja, es ist ein Problem. Es ist ein Dilemma. Deswegen fordern wir ja als Private Krankenversicherung Verhandlungskompetenz ein, um mit dem Arzt genau diese Standards tatsächlich zu vereinbaren. Wenn Sie als Patient beim Arzt sind, dann ist Augenhöhe Illusion. Das gibt es nicht. Sie sind immer in der schwächeren Position. Wenn der Arzt mit seiner Autorität kommt, und Sie haben in aller Regel ja ein gutes Verhältnis zu Ihrem Arzt, habe ich persönlich auch, dann glauben Sie ihm natürlich.
Deutschlandradio Kultur: Also sind Sie doch gefordert.
Volker Leienbach: Also sind wir gefordert, genau. Aber im Augenblick redet dieser Arzt nicht mit uns, weil er nicht muss. Es gibt keine Vertragsbeziehung zwischen Arzt und Privater Krankenversicherung. Und genau diese Vertragsbeziehung wollen wir ja haben, nicht unbedingt mit dem einzelnen Arzt, aber mit Ärztegruppen, mit Ärztevereinigungen, auch mit der Bundesärztekammer. Wir müssen im Versicherteninteresse, das erwartet er ja, wie ich ja aus Ihrer Frage gerade entnehme, wir müssen im Versicherteninteresse für die Versicherten verhandeln, und zwar über Qualität, aber auch über Menge und auch über Preise.
Deutschlandradio Kultur: Herr Leienbach, die FDP gilt unter den politischen Parteien als engster Verbündeter des PKV-Systems. Welche Erwartungen haben Sie eigentlich an Bundesgesundheitsminister Rösler?
Volker Leienbach: Die alte Bundesregierung, zumindest in der Person der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, wollte die Private Krankenversicherung letztlich abschaffen oder sie aufgehen lassen in einer Bürgerversicherung. Die neue Bundesregierung bekennt sich zu dem dualen System aus Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung. Das gefällt uns natürlich. Dann gibt es im Koalitionsvertrag - bei allem, was man sich immer mehr wünschen kann als Interessenvertreter - viele positive Aspekte. Wir erwarten natürlich auch, dass dieser Koalitionsvertrag umgesetzt wird. Ein Beispiel ist, dass es wieder leichter wird, von der Gesetzlichen Krankenversicherung in die Private Krankenversicherung wechseln zu können.
Deutschlandradio Kultur: Mindestens drei Jahre, Sie wollen wieder auf ein Jahr zurück.
Volker Leienbach: Wir wollen zum alten Rechtszustand zurück. Das steht im Koalitionsvertrag drin, auch ohne Gremienvorbehalt oder Prüfvorbehalt. Das kann man also eigentlich machen. Wir rechnen damit zum Jahreswechsel. Wir gehen darüber hinaus davon aus, dass diese auch im Koalitionsvertrag stehende kapitalgedeckte Pflegezusatzversicherung eingeführt wird. Das halten wir auch angesichts der demographischen Entwicklung, der deutlich steigenden Zahl von Pflegebedürftigen für notwendig. Und wir wären dafür aus meiner Sicht ein geborener Partner. Aber ich weiß natürlich, dass andere Systeme sich gleichfalls als geborene Partner dort sehen.
Deutschlandradio Kultur: Das klingt ganz optimistisch. Hilft da vielleicht auch Ihr ehemaliger Kollege Christian Weber, ihr langjähriger Kollege, der jetzt an einer zentralen Schaltstelle im Bundesministerium für Gesundheit sitzt?
Volker Leienbach: Wissen Sie, was wir intern gesagt haben, als bekannt wurde, dass da der Wechsel ansteht? Wir haben gesagt: Das wird der Privaten Krankenversicherung auf keinen Fall nutzen.
Deutschlandradio Kultur: Warum?
Volker Leienbach: Ja, weil bei jeder Entscheidung, die jetzt ansteht, das Ministerium immer mit bedenken muss, wie wird die öffentliche Kommentierung sein. Wenn da etwas zugunsten der PKV ausgelegt werden könnte, wird man immer sagen: Ist ja kein Wunder, da ist doch dieser Mann von der Privaten Krankenversicherung.
Aber ich habe mich sowieso über die öffentliche Aufregung gewundert. Da ist ein FDP-Gesundheitsminister, der bestimmte Vorstellungen hat. Und da ist auf der anderen Seite ein ausgewiesener Fachmann, das ist an keiner Stelle bestritten worden, der viele diese Grundsätze auch noch teilt. – Ist es denn wirklich so überraschend, dass ein Minister sich einen Fachmann holt, der auch noch die Grundlinien seiner Politik mit trägt? Ich finde es nicht überraschend. Das hat Ulla Schmidt genauso gemacht, indem sie sich als Abteilungsleiter jemanden von der AOK geholt hat. Und wenn ich recht erinnere, kam Herr Riester, der Arbeitsminister war, unmittelbar von der IG Metall.
Deutschlandradio Kultur: Letzte Frage, an Ihre prophetischen Gaben sozusagen - was meinen Sie: Bleibt das Nebeneinander von Gesetzlichen Kassen und Privaten Krankenversicherungen auf Dauer bestehen? Oder kommt vielleicht doch irgendwann eine Einheitsversicherung, die ja gar nicht "Bürgerversicherung" heißen muss, mit einem Basisschutz für alle, ergänzt durch private Zusatzversicherungen? – Denn im Kern, so verstehe ich das, zielt doch zumindest das, was die FDP will, darauf ab.
Volker Leienbach: Ich sage immer: Es steht der Beleg, der Beweis aus, dass Einheitssysteme differenzierten Systemen überlegen sind. Nennen Sie mir ein Land in der Welt, das ein Einheitssystem hat – und das sind die meisten –, wo es besser ist als in Deutschland. Das Einheitssystem ist ja kein Wert an sich. Das mag Ideologen befriedigen, aber es bringt keinen besseren Output. Aus meiner Sicht wird die Dualität bestehen bleiben.
Dass sich die Systeme verändern werden, halte ich allerdings auch für eine realistische Perspektive. Das gilt für die Gesetzliche Krankenversicherung. Das gilt auch für die Privaten Krankenversicherungen. Das System wird immer in Bewegung bleiben.
Deutschlandradio Kultur: Herr Leienbach, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Volker Leienbach: Gerne.