Privatsphäre

Frau K. verklebt ihr Computer-Auge

Von Martin Tschechne |
Sie klinken sich bei Facebook aus und schreiben wieder Briefe auf Papier. Angesichts der Datensammelwut der Geheimdienste wachse bei immer mehr Menschen die Zurückhaltung im Umgang mit der digitalen Welt, meint der Journalist Martin Tschechne.
Natürlich war es ein Jux, dass ausgerechnet die Leute vom Chaos Computer Club sich zu ihrem Kongress kürzlich in Hamburg eine Rohrpostanlage bauen ließen – eine Maschine aus der fauchenden Vorzeit der Datenübermittlung als Spielzeug für die Computer-Freaks und Hacker, vor denen kein virtuelles Netz von Daten auf der Welt sicher ist. Die sich mal eben in die Kontoverwaltung der Sparkasse einloggen oder auch ins Pentagon oder in die geheimen Datenspeicher von sonstwem.
Wer den Kongress besuchte und Spaß daran hatte, der durfte seine Botschaften für die Rohrpost auch verschlüsseln – nur um ganz physisch vor Augen geführt zu bekommen, dass jede Nachricht, die mal in der Welt ist, außer Kontrolle gerät. Dass sie jederzeit von anderen abgegriffen, belauscht und, wenn es sein muss, auch entschlüsselt werden kann.
Derzeit ist jeder Code zu knacken
Wahrscheinlich ist es schon kein Jux mehr, sondern ein Ausdruck echter Ratlosigkeit, wenn Constanze Kurz, die Sprecherin des besagten Computer Clubs, gern und in aller Öffentlichkeit zugibt, die Kameralinse auf ihrem Laptop lieber mit einem Stück Klebestreifen zu verdecken und ihre persönlichen E-Mails zu verschlüsseln. Sie wolle es all den wachsamen Lauschern hinter der Glasscheibe des Bildschirms nicht gar zu leicht zu machen, sagt sie. Aber das ist nur eine Geste, ein ritueller Akt der Beschwörung böser Geister – denn tatsächlich muss davon ausgegangen werden, dass jeder Code jederzeit zu knacken ist. Und dass eigentlich erst auf sich aufmerksam macht, wer seine Nachrichten verschlüsselt weitergibt. Denn die Botschaft hinter solchen Bemühungen lautet immer: Aha, da hat offenbar jemand etwas zu verbergen…
Und schließlich wird es die schiere Verzweiflung gewesen sein, als ein Teilnehmer der Versammlung von Netzbewohnern, Netzgestaltern und Netzpolitikern vorschlug, es sollten sich doch alle Skeptiker von Totalüberwachung und Vorratsdatenspeicherung verabreden, die Netze mit falschen Daten und sensiblen Reizen zu überfluten. Keine Chance, antworten da die Leute, die sich auskennen: In den Entschlüsselungszentralen von Geheimdiensten und Wirtschafts-Konzernen säßen, erstens, keine Menschen, die sich mit Bergen von Daten zuschütten und verwirren ließen, wie es vielleicht bei der Stasi noch funktioniert hat. Es gingen dort Algorithmen zu Werk, also mathematisch ausgetüftelte Programme, so etwas wie die Roboter des Informationszeitalters, die noch jeden mutwilligen Unfug herausfiltern. Und zweitens: Wehe dem Einzelnen, der sich da allzu glaubwürdig in der Erscheinungsform eines, sagen wir, Staatsfeindes oder Terroristen präsentiert!
Galgenhumor, Ratlosigkeit und Hoffnung
Und doch! Hinter all dem Galgenhumor, der Ratlosigkeit und Verzweiflung ist auch so etwas wie Hoffnung zu ahnen. Die Enthüllungsskandale der jüngsten Zeit, die eigentlich – um da mal sprachlich sauber zu bleiben – keine Skandale waren, sondern Offenbarungen, haben ein neues Bewusstsein geschaffen. Eine neue Kommunikations-Etikette, die der Erkenntnis Rechnung trägt, dass ein Netz nun mal vor allem aus Lücken besteht und sich deshalb zum Transport vieler Stoffe nicht eignet.
Jetzt bereitet sich die Welt auf den nächsten Lauschangriff vor. Die Computer-Brillen kommen – Geräte, die mit eingebauter Kamera und Mikrofon Daten in Echtzeit ermitteln und abgleichen, die Gesichter scannen, erkennen und zuordnen können und dazu buchstäblich jeden Augenblick ins weltweite Netz einspeisen. Und während die Daten-Sammel-Wut also, je nach persönlichem Standpunkt, ins Groteske umschlägt oder ins nun wirklich Furchterregende, ist von Konferenzen zu hören, zu denen Laptops und Smartphones nicht mehr zugelassen sind – zu unsicher –, und von Mitteilungen, die wieder per Brief übermittelt werden. Es soll sogar Menschen geben, die nicht oder nicht mehr über Facebook herausposaunen, wen sie heute noch treffen werden, über Ebay und Amazon, wofür sie sich interessieren und was sie gerade lesen, oder über PayPal, wofür sie ihr Geld ausgegeben haben.
Martin Tschechne ist Journalist und lebt in Hamburg. Er ist nicht bei Facebook.
Martin Tschechne
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