Pro Asyl kritisiert "hartherzige" Reaktion der bayerischen Politik

Günter Burkhardt im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
Die Verzweiflung von Asylbewerbern und ihre Ursachen müssten ernst genommen werden, fordert der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt. Die bayerischen Politiker sollten sich im Fall der Münchner Flüchtlinge ihrer Verantwortung stellen.
Korbinian Frenzel: Die Zeiten liegen gar nicht so lange zurück, dass aus dem ehemaligen Jugoslawien Zehntausende Flüchtlinge auch nach Deutschland kamen. Das ist glücklicherweise vorbei, aber es gibt natürlich noch immer Flucht auf der Welt, es gibt Gründe, das Heimatland zu verlassen, und wer nach Deutschland kommt, der erlebt seit 20 Jahren eine andere Realität: Das Asylrecht ist seitdem eingeschränkt. Ich spreche jetzt mit einem der Mitbegründer, mit dem Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, guten Morgen.

Günter Burkhardt: Guten Morgen.

Frenzel: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht", so steht das ja noch stets im Grundgesetz – ist das mittlerweile ein leeres Versprechen?

Burkhardt: Das ist zum Glück wieder ein Versprechen, dass Dank der europäischen Union und des europäischen Asylrechts für viele wieder gilt – rund 40 Prozent der Asylsuchenden erhalten ungefähr den Status als politisch Verfolgte nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Das heißt, das Vorhaben der Politik, möglichst alle fernzuhalten, auf Drittländer zu verweisen, ist so nicht Realität geworden. Allerdings versucht Europa, mit politischen Maßnahmen, mit polizeilichen Maßnahmen den Abwehrwall um Europa immer weiter nach außen zu verlagern, etwa nach Libyen aktuell oder in die Türkei. Man versucht alles zu tun, damit politisch Verfolgte Deutschland und Europa nicht erreichen.

Frenzel: Das heißt, der größte Feind zurzeit für Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa, nach Deutschland ist im Moment die EU und gar nicht Deutschland, die deutschen Behörden?

Burkhardt: Deutschland ist ein maßgeblicher Player. Es war harte Initiative Deutschlands, festzuhalten am Prinzip: Der Staat, der einen Flüchtling einreisen lässt, ist für ihn verantwortlich. Griechenland, Italien wollten eine Änderung dieses Systems. Das reiche Deutschland mitten in Europa ist, wenn Sie so wollen, in Europa eine Insel und sagt, wir versuchen erst mal, alle abzudrücken an die Randstaaten, und die, die herkommen, kommen entweder mit dem Flugzeug oder auf nichtlegalen Wegen. Und das kritisiert Pro Asyl. Wir wollen, dass Menschen gefahrenfreie Zugänge haben, und dazu passt nicht, dass man sagt, der Grenzstaat Europas, der ist zuständig, das ist das Motto: Alle sind zuständig, nur wir nicht.

Frenzel: Aber wenn wir mal auf diese gefahrenfreien Zugänge gucken: Das war ja bis 1992 die Situation, als das Asylrecht ein allgemeines, ein offenes war. Das hat aber auch dazu geführt, dass im Jahr '92 440.000 Menschen nach Deutschland kamen im Vergleich zu den 5.000, die es am Anfang dieses Asylrechts, in den 50er-Jahren gab. Und die Reaktionen waren ja damals entsprechend, gute Wahlergebnisse für rechtsradikale Parteien. War die Politik nicht geradezu gezwungen, damals zu handeln?

Burkhardt: Ihre Analyse ist nicht ganz richtig. Eine Ursache sind nicht die Gesetze, eine Ursache ist die Situation. Wir hatten in den 90er-Jahren das zerfallende Jugoslawien, wir hatten den sich abzeichnenden Konflikt in Kosovo. Also der Balkan war die zentrale Region, in der, salopp gesprochen, eine Kriegs- und Vorkriegssituation war. Und Menschen gehen dahin, wo Verwandte leben – viele waren ja als ehemalige Gastarbeiter in den 70er-, 80er-Jahren in Deutschland. Und das ist eine zentrale Ursache, dass damals die Asylzahlen in Deutschland hoch waren. Nicht das Recht, wie es immer dargestellt wurde.

Frenzel: Das heißt, Sie glauben, wenn man heute die Bedingungen wieder lockern würde, würden gar nicht so viele Flüchtlinge kommen? Wir haben die Situation in Nordafrika, die spricht doch eigentlich genau dagegen?

Burkhardt: Noch mal: Das hängt nicht von der Situation ab. Wer heute aus Syrien flieht, flieht nicht nach Deutschland, weil es hier so schön ist, sondern die Menschen wollen deswegen zum Teil nach Deutschland, weil hier Verwandte leben. Das ist eines der zentralen Motive für Flüchtlinge, wenn sie sich auf die Flucht machen: Wo gibt es Anknüpfungspunkte? Wo kann ich mich integrieren? Vielleicht auch, wo kann ich eine Arbeit finden? Und sie kommen eben nicht, wie politisch suggeriert wird, weil hier wird ja am meisten an Sozialhilfe gezahlt. Deshalb fordern wir ja auch ein Integrationskonzept für Flüchtlinge. Dass man arbeiten kann, dass man Deutsch lernen kann, und nicht, dass man zwangsweise staatlich alimentiert wird.

Frenzel: Schauen wir mal auf den aktuellen Fall in München. Am Wochenende wurde da ja ein Hungerstreik von Asylsuchenden aufgelöst. Der bayrische Innenminister Herrmann hat das begründet, und zwar folgendermaßen:

"Wir respektieren das Versammlungsrecht, das ist keine Frage, aber das Leben von Menschen aufs Spiel zu setzen, um politische Forderungen durchzusetzen, das ist nicht okay."

Frenzel: Joachim Herrmann, der bayrische Innenminister, nach der Räumung des Protestcamps in München. Herr Burghard, aus Ihrer Sicht, aus der Sicht von Pro Asyl: Hat er da nicht recht?

Burkhardt: Es ist eine extrem schwierige Situation gewesen an der Stelle. Wir akzeptieren nicht, dass die Politik so hartherzig agiert, ohne selbst über die eigene Verantwortung nachzudenken. Allerdings sage ich natürlich ganz offen, wir haben damit auch ein Problem, wenn sich abzeichnet, dass Menschen sich zu Tode bringen wollen aus Verzweiflung. Und diese Verzweiflung muss ich ernst nehmen. Und das kritisiert Pro Asyl, dass die Ursache dieser Verzweiflung überhaupt nicht mehr in den Blick gerät. Und man redet über Versammlungsrecht und alles Mögliche. Hier muss sich der bayrische Innenminister, vor allem auch die Sozialministerin in Bayern ihrer Verantwortung stellen. Denn die Isolierung in Lagern, die zwangsweise Versorgung mit Essenspaketen, das sind ja Ursachen, die Menschen in eine so große Verzweiflung treiben, dass es zu so Aktionen wie in München kommt.

Frenzel: Das sagt Günter Burkhardt, Mitbegründer und Geschäftsführer von Pro Asyl. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

Burkhardt: Gerne.


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