Pro Asyl wirft Italien Missmanagement vor
Italien habe das Aufnahmelager auf Lampedusa viel zu spät geöffnet, sagt Karl Kopp, Europareferent von Pro Asyl. Der Notstand sei so künstlich hergestellt worden. Wichtig sei jetzt, die Flüchtlinge menschenwürdig aufzunehmen und "europäische Solidarität bei der Unterbringung" zu zeigen.
Marcus Pindur: Es sind Tausende, die den gefährlichen Weg wagen, wir wissen nicht, wie viele von ihnen auf der Strecke bleiben, wie viele der See in nicht seetüchtigen Booten und den kriminellen Schleppern zum Opfer fallen. Auf Lampedusa, der italienischen Insel im Mittelmeer vor Tunesien, sind in den letzten Tagen tausende von Flüchtlingen angelandet. Der Grund: Es gibt im Moment keine Kontrollen mehr in den tunesischen Häfen. Wir sind jetzt verbunden mit Karl Kopp von der Organisation Pro Asyl. Guten Morgen, Herr Kopp!
Karl Kopp: Guten Morgen!
Pindur: Die italienische Regierung beklagt sich, sie bekomme zu wenig Unterstützung von anderen Ländern der EU. Können Sie das bestätigen?
Kopp: Das ist ein alter Konflikt, Italien beklagt sich da immer. In dem Fall hat die Kommission beispielsweise in Brüssel gesagt, wir haben Angebote gemacht und Italien hat die nicht abgerufen. Das ist jetzt erst mal ein Streit.
Italien hat die ersten Tage ein Missmanagement gezeigt beim Umgang mit den Bootsflüchtlingen, also man hat viel zu spät das Aufnahmelager geöffnet, hat die Leute draußen campieren lassen, hat einen Notstand auch künstlich produziert, und jetzt wäre es wichtig, dass wir in ein geregeltes Verfahren kommen. Italien muss innerhalb des Landes diese Menschen aufnehmen, menschenwürdig aufnehmen und verteilen und auch Hilfe von Europa annehmen. Wir brauchen auch europäische Solidarität bei der Unterbringung, im Zweifelsfalle muss man auch Menschen verteilen innerhalb der Europäischen Union.
Pindur: Die EU hat ja jetzt Hilfe zugesagt, die Europäische Kommission hat für die Unterbringung der Menschen Hilfe zugesagt, aber man muss sich natürlich nach den Ursachen dieser Migration fragen, und da steht ein Vorschlag im Raum des ehemaligen Innenministers Schäuble. Der hat gesagt, man solle so etwas machen wie zirkuläre Migration, also zeitlich begrenzte Arbeitsimmigration gestatten, um dem Druck die Spitze zu nehmen. Ist das für Sie ein gangbarer Weg?
Kopp: Das ist auf jeden Fall richtig, dass man sich überlegt, Migrationsangebote zu machen und Migrationskanäle zu eröffnen. Ob das Konzept der zirkulären oder temporären Migration das Richtige ist, sei dahingestellt, aber das ist ein richtiger Gedanke, dass man sich überlegt, den jungen Demokratien in Nordafrika Hilfe anzubieten, das heißt natürlich auch Ausbildungsmöglichkeiten für Jugendliche, Studienplätze und auch Arbeitsplätze. Das wäre eine Möglichkeit, um sozusagen auch die Ökonomien dort zu stärken. Man muss natürlich vor Ort viel machen.
Man muss aber auch jetzt Leute, die ankommen, die Schutz suchen, denen eine Chance eröffnen auf ein rechtsstaatliches Verfahren, was ja in Italien nicht immer gewährleistet ist, wie wir ja aus der Vergangenheit wissen.
Pindur: Jetzt können wir ja nicht die Probleme der Welt eben durch Zuwanderung nach Europa lösen. Sollte man nicht besser dann die Situation in den Herkunftsstaaten verbessern und zum Beispiel Tunesien einen besseren Zugang für seine Produkte auf dem europäischen Markt gewährleisten?
Kopp: Das sollte man unbedingt machen. Man sollte beispielsweise Agrarprodukte leichter importieren lassen, man sollte da die Barrieren fallen lassen, das wäre ein guter Ansatz. Aber jetzt ist in unserer unmittelbaren Nachbarregion was Herausragendes passiert: Korrupte Diktaturen sind gefallen, es entsteht eine Demokratie. Das sollte man auf jeden Fall stärken. Jetzt sind 5000 Menschen, 5300 lebend nach Lampedusa gekommen, das ist kein Notstand, das ist relativ normal in Umbruchsituationen, das wissen wir. Die Sicherheitslage ist dort noch nicht ganz geklärt, da sollte man helfen, aber man muss auch sehen: Es gibt vielleicht auch Gründe, dass Leute zum Teil fliehen und eben migrieren, und das muss man einfach mit Ruhe und Solidarität – die Menschenrechte im Blick – bearbeiten, und nicht jetzt mit einer Notstandsrhetorik, wie es Italien macht, um dann zu überlegen, mehr Polizei, mehr Abriegelung …
Man muss diesen Ansatz, den die Europäische Union und vor allem mit Italien gewählt hat die letzten Jahre, die falschen Kooperationen mit den falschen Partnern, nämlich mit Diktatoren, man muss diesen Ansatz überdenken und heute ein partnerschaftliches Verhältnis mit der Nachbarregion, den jungen Demokratien dort, ja, initiieren.
Pindur: Man sieht ja aber ganz klar, dass das Menschen sind, die nicht kommen, weil sie politisch verfolgt werden, sondern dass es Arbeitsmigranten sind. Die wollen in der Europäischen Union arbeiten.
Kopp: Ja.
Pindur: Wie kann man diesem Tatbestand denn irgendwie Rechnung tragen? Denn als politisch Verfolgte würden sie Asyl genießen, sind sie aber ja nicht offensichtlich.
Kopp: Na ja, wir haben jetzt noch nicht das schnelle Screening gemacht, es sind über 5000 Menschen angekommen, es war eine sehr chaotische Situation. Ein nicht unerheblicher Teil sagt, wir wollen Arbeit, wir wollen unsere Familie ernähren, da ist es klar, die wollen migrieren, um ihr Überleben zu organisieren. Es sind aber auch in diesen Regionen, beispielsweise in Tunesien, auch Opfer europäischer Abwehrpolitik, Transitflüchtlinge, wir wissen nicht, ob in den nächsten Tagen beispielsweise auch Flüchtlinge aus anderen afrikanischen Staaten kommen, die dort gestrandet sind oder dorthin von Italien zurückgeschickt worden sind, beispielsweise auch aus Somalia, Sudan, Eritrea, die nicht mehr über Libyen nach dem Deal mit Gaddafi fliehen konnten.
Man muss gucken, was mit diesen Transitflüchtlingen beispielsweise ist und muss diesen vielleicht auch helfen dort, oder wenn sie ankommen, eben ein faires Asylverfahren geben. Das muss ein ruhiges Verfahren ermitteln, das können wir jetzt nicht durch Fernsehbilder beurteilen, wer da kommt, wieso er kommt oder sie.
Pindur: Also gestern konnte man zum Beispiel sehen, einer der Flüchtlinge sagte, er sei auf einem Boot mit über 100 Personen gewesen, jeder von ihnen habe 1500 Euro für die Überfahrt gezahlt, das heißt mit einem Kutter hat man dann leicht 150.000 oder 200.000 Euro Gewinn gemacht. Da stehen kriminelle Schlepperbanden hinter. Tunesien hat jetzt recht brüsk abgelehnt, Hilfe anzunehmen, auch im polizeilichen, im Sicherheitsbereich. Wäre das nicht aber auch eine Komponente, die nötig wäre?
Kopp: Hilfe ist nett formuliert. Also wenn Maroni, der italienische Innenminister, sagt, wir wollen da italienische Polizisten nach Tunesien schicken, die sollen die Grenzen zumachen nach Europa, oder wir schicken Frontex-Polizisten aus Europa dorthin, dann hat es schon auch fast einen neokolonialen Ansatz. Eine neue Regierung hat ja wohl das Recht zu sagen, was auf ihrem Territorium passiert im Sinne von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten, und wenn die das selber organisieren, ihr Staatswesen, dann ist das nur legitim, und wenn sie das brüsk zurückweisen oder Maroni auch ein bisschen den rassistischen Diskurs vorwerfen, dann haben sie recht.
Und es drückt vielleicht auch ein neues Selbstverständnis dieser jungen Demokratie aus. Man ist nicht nur einfach Türsteher Europas, sondern man muss auch eine partnerschaftliche Perspektive da jetzt einnehmen. Das ist wichtig. Das ist keine Hilfe, das war auch kein ernst zu nehmender Vorschlag.
Hilfe wäre jetzt, den Aufbau, den rechtsstaatlichen Aufbau in Tunesien zu fördern, und Hilfe ist natürlich auch, was Sie vorhin angesprochen haben, Migrationskanäle zu eröffnen, Exportmöglichkeiten für die Industrie, einen anderen Tourismus vielleicht auch zu entwickeln, weg von dem alten Regime, der ist ja ziemlich stark dominiert worden auch durch Profiteure des alten Regimes. Da in die Richtung müssen wir denken, und wie gesagt, wir sollten uns freuen, dass da was Demokratisches entsteht und sollten den Diskurs des Notstandes ein bisschen runterfahren.
Pindur: Herr Kopp, vielen Dank für das Gespräch!
Kopp: Ich danke Ihnen!
Pindur: Karl Kopp von der Organisation Pro Asyl.
Karl Kopp: Guten Morgen!
Pindur: Die italienische Regierung beklagt sich, sie bekomme zu wenig Unterstützung von anderen Ländern der EU. Können Sie das bestätigen?
Kopp: Das ist ein alter Konflikt, Italien beklagt sich da immer. In dem Fall hat die Kommission beispielsweise in Brüssel gesagt, wir haben Angebote gemacht und Italien hat die nicht abgerufen. Das ist jetzt erst mal ein Streit.
Italien hat die ersten Tage ein Missmanagement gezeigt beim Umgang mit den Bootsflüchtlingen, also man hat viel zu spät das Aufnahmelager geöffnet, hat die Leute draußen campieren lassen, hat einen Notstand auch künstlich produziert, und jetzt wäre es wichtig, dass wir in ein geregeltes Verfahren kommen. Italien muss innerhalb des Landes diese Menschen aufnehmen, menschenwürdig aufnehmen und verteilen und auch Hilfe von Europa annehmen. Wir brauchen auch europäische Solidarität bei der Unterbringung, im Zweifelsfalle muss man auch Menschen verteilen innerhalb der Europäischen Union.
Pindur: Die EU hat ja jetzt Hilfe zugesagt, die Europäische Kommission hat für die Unterbringung der Menschen Hilfe zugesagt, aber man muss sich natürlich nach den Ursachen dieser Migration fragen, und da steht ein Vorschlag im Raum des ehemaligen Innenministers Schäuble. Der hat gesagt, man solle so etwas machen wie zirkuläre Migration, also zeitlich begrenzte Arbeitsimmigration gestatten, um dem Druck die Spitze zu nehmen. Ist das für Sie ein gangbarer Weg?
Kopp: Das ist auf jeden Fall richtig, dass man sich überlegt, Migrationsangebote zu machen und Migrationskanäle zu eröffnen. Ob das Konzept der zirkulären oder temporären Migration das Richtige ist, sei dahingestellt, aber das ist ein richtiger Gedanke, dass man sich überlegt, den jungen Demokratien in Nordafrika Hilfe anzubieten, das heißt natürlich auch Ausbildungsmöglichkeiten für Jugendliche, Studienplätze und auch Arbeitsplätze. Das wäre eine Möglichkeit, um sozusagen auch die Ökonomien dort zu stärken. Man muss natürlich vor Ort viel machen.
Man muss aber auch jetzt Leute, die ankommen, die Schutz suchen, denen eine Chance eröffnen auf ein rechtsstaatliches Verfahren, was ja in Italien nicht immer gewährleistet ist, wie wir ja aus der Vergangenheit wissen.
Pindur: Jetzt können wir ja nicht die Probleme der Welt eben durch Zuwanderung nach Europa lösen. Sollte man nicht besser dann die Situation in den Herkunftsstaaten verbessern und zum Beispiel Tunesien einen besseren Zugang für seine Produkte auf dem europäischen Markt gewährleisten?
Kopp: Das sollte man unbedingt machen. Man sollte beispielsweise Agrarprodukte leichter importieren lassen, man sollte da die Barrieren fallen lassen, das wäre ein guter Ansatz. Aber jetzt ist in unserer unmittelbaren Nachbarregion was Herausragendes passiert: Korrupte Diktaturen sind gefallen, es entsteht eine Demokratie. Das sollte man auf jeden Fall stärken. Jetzt sind 5000 Menschen, 5300 lebend nach Lampedusa gekommen, das ist kein Notstand, das ist relativ normal in Umbruchsituationen, das wissen wir. Die Sicherheitslage ist dort noch nicht ganz geklärt, da sollte man helfen, aber man muss auch sehen: Es gibt vielleicht auch Gründe, dass Leute zum Teil fliehen und eben migrieren, und das muss man einfach mit Ruhe und Solidarität – die Menschenrechte im Blick – bearbeiten, und nicht jetzt mit einer Notstandsrhetorik, wie es Italien macht, um dann zu überlegen, mehr Polizei, mehr Abriegelung …
Man muss diesen Ansatz, den die Europäische Union und vor allem mit Italien gewählt hat die letzten Jahre, die falschen Kooperationen mit den falschen Partnern, nämlich mit Diktatoren, man muss diesen Ansatz überdenken und heute ein partnerschaftliches Verhältnis mit der Nachbarregion, den jungen Demokratien dort, ja, initiieren.
Pindur: Man sieht ja aber ganz klar, dass das Menschen sind, die nicht kommen, weil sie politisch verfolgt werden, sondern dass es Arbeitsmigranten sind. Die wollen in der Europäischen Union arbeiten.
Kopp: Ja.
Pindur: Wie kann man diesem Tatbestand denn irgendwie Rechnung tragen? Denn als politisch Verfolgte würden sie Asyl genießen, sind sie aber ja nicht offensichtlich.
Kopp: Na ja, wir haben jetzt noch nicht das schnelle Screening gemacht, es sind über 5000 Menschen angekommen, es war eine sehr chaotische Situation. Ein nicht unerheblicher Teil sagt, wir wollen Arbeit, wir wollen unsere Familie ernähren, da ist es klar, die wollen migrieren, um ihr Überleben zu organisieren. Es sind aber auch in diesen Regionen, beispielsweise in Tunesien, auch Opfer europäischer Abwehrpolitik, Transitflüchtlinge, wir wissen nicht, ob in den nächsten Tagen beispielsweise auch Flüchtlinge aus anderen afrikanischen Staaten kommen, die dort gestrandet sind oder dorthin von Italien zurückgeschickt worden sind, beispielsweise auch aus Somalia, Sudan, Eritrea, die nicht mehr über Libyen nach dem Deal mit Gaddafi fliehen konnten.
Man muss gucken, was mit diesen Transitflüchtlingen beispielsweise ist und muss diesen vielleicht auch helfen dort, oder wenn sie ankommen, eben ein faires Asylverfahren geben. Das muss ein ruhiges Verfahren ermitteln, das können wir jetzt nicht durch Fernsehbilder beurteilen, wer da kommt, wieso er kommt oder sie.
Pindur: Also gestern konnte man zum Beispiel sehen, einer der Flüchtlinge sagte, er sei auf einem Boot mit über 100 Personen gewesen, jeder von ihnen habe 1500 Euro für die Überfahrt gezahlt, das heißt mit einem Kutter hat man dann leicht 150.000 oder 200.000 Euro Gewinn gemacht. Da stehen kriminelle Schlepperbanden hinter. Tunesien hat jetzt recht brüsk abgelehnt, Hilfe anzunehmen, auch im polizeilichen, im Sicherheitsbereich. Wäre das nicht aber auch eine Komponente, die nötig wäre?
Kopp: Hilfe ist nett formuliert. Also wenn Maroni, der italienische Innenminister, sagt, wir wollen da italienische Polizisten nach Tunesien schicken, die sollen die Grenzen zumachen nach Europa, oder wir schicken Frontex-Polizisten aus Europa dorthin, dann hat es schon auch fast einen neokolonialen Ansatz. Eine neue Regierung hat ja wohl das Recht zu sagen, was auf ihrem Territorium passiert im Sinne von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten, und wenn die das selber organisieren, ihr Staatswesen, dann ist das nur legitim, und wenn sie das brüsk zurückweisen oder Maroni auch ein bisschen den rassistischen Diskurs vorwerfen, dann haben sie recht.
Und es drückt vielleicht auch ein neues Selbstverständnis dieser jungen Demokratie aus. Man ist nicht nur einfach Türsteher Europas, sondern man muss auch eine partnerschaftliche Perspektive da jetzt einnehmen. Das ist wichtig. Das ist keine Hilfe, das war auch kein ernst zu nehmender Vorschlag.
Hilfe wäre jetzt, den Aufbau, den rechtsstaatlichen Aufbau in Tunesien zu fördern, und Hilfe ist natürlich auch, was Sie vorhin angesprochen haben, Migrationskanäle zu eröffnen, Exportmöglichkeiten für die Industrie, einen anderen Tourismus vielleicht auch zu entwickeln, weg von dem alten Regime, der ist ja ziemlich stark dominiert worden auch durch Profiteure des alten Regimes. Da in die Richtung müssen wir denken, und wie gesagt, wir sollten uns freuen, dass da was Demokratisches entsteht und sollten den Diskurs des Notstandes ein bisschen runterfahren.
Pindur: Herr Kopp, vielen Dank für das Gespräch!
Kopp: Ich danke Ihnen!
Pindur: Karl Kopp von der Organisation Pro Asyl.