Muss das Parlament bei Waffenlieferungen beteiligt werden?
Die Bundesregierung will die Kurden im Nord-Irak mit Waffen beliefern. Kritiker dagegen halten bei dieser Entscheidung eine Beteiligung des Bundestags für nötig. Auch bei Deutschlandradio Kultur gibt es unterschiedliche Meinungen.
Falk Steiner aus dem Hauptstadtstudio hält eine Beteiligung der Bundestagsabgeordneten für dringend geboten. Er sagt:
Grundsatzentscheidungen bedürfen der parlamentarischen Debatte.
"Natürlich muss das Parlament sich damit befassen, wenn die Bundesrepublik sich in einen Konflikt einmischt. Auch wenn Waffenlieferungen formal nicht zustimmungspflichtig sind, ist es eine grundsätzliche Frage, wie die deutsche Außenpolitik künftig aussehen soll.
Ob mit eigenen Soldaten oder mit eigenen Waffen: es gilt, dass die grundsätzlichen Fragen der Außenpolitik ins Plenum gehören – gerade dann, wenn dort die Meinungen eben nicht entlang der Parteifarben klar abzulesen sind. Es dürfte eine lohnenswerte Debatte sein, denn die Antwort fällt nicht leicht: Beteiligt sich die Bundesrepublik dadurch an einem Konflikt, indem sie die Bewaffnung unterlässt? Oder indem sie Waffen liefert?
Nur, wenn die Waffenlieferungen wirklich sofort vor Ort notwendig und – das Wort ist hier ausnahmsweise angebracht – ihr Fehlen in diesem Moment kriegsentscheidend ist, sollte dieser Schritt erst später nachgeholt werden. Ob dem so ist, das muss die Bundesregierung für sich entscheiden. Die Debatte jedoch, sie muss geführt werden."
Kommentar von Falk Steiner zum Nachhören.
Matthias Thiel, Redakteur in der Abteilung "Reportage und Hintergrund", hat zur Beteilung des Parlaments eine andere Meinung. Er sagt:
Die Menschenleben im Irak sind wichtiger als eine parlamentarische Scheindebatte.
"Nein, es stellt sich nicht nur die grundsätzliche Frage, wie deutsche Außenpolitik in Zukunft aussieht. Oder wer darüber hierzulande diskutiert und entscheidet. Ob der Bundestag nur informiert wird oder auch beschließen darf, das rettet kein einziges Menschenleben im Nordirak. Viel wichtiger ist, jetzt zu wissen, was wir mit unserer Waffenlieferungen erreichen.
Klar, die Lage der Flüchtlinge ist dramatisch, katastrophal. Die Bundesregierung sagt deshalb: Nur deutsche Waffen werden die kurdischen Selbstverteidigungskräfte stärken und die Jesiden schützen. Träumt weiter. Selbst kurzfristig erfolgreiche Luftschläge der USA können offenbar den versuchten Genozid im Nordirak nicht wirklich stoppen. Und: Sind nicht gerade die modernen Rüstungsgüter der irakischen Armee aus amerikanischen Beständen in die Hände der terroristischen Islamisten gefallen?
Also, wir wissen nicht, was bei einem negativen Ausgang der Aktion danach mit den deutschen Kriegsgütern passiert. Wir haben auch keinen Plan, was im Erfolgsfall zu tun ist. IS-Milizionäre gefangen nehmen oder töten? Jesiden bei uns aufnehmen? Kurden mit deutschen Waffen im Kampf gegen den NATO-Partner Türkei einen eigenen Staat durchsetzen lassen?
Als die Katastrophe im Nordirak begann hat Deutschland keine humanitären Sofortmaßnahmen für die Jesiden gestartet, keine politischen Initiativen unternommen gegen die eigentlich Verantwortlichen für den versuchten Genozid, zum Beispiel in Saudi-Arabien. Bilateral wie International. Nein, wir liefern lieber weiter fleißig Waffen in Spannungsgebiete – auch den Saudis. Und wir tun nichts, gegen die Rekrutierung islamistischer Terroristen in Europa. Hinterher wundern wir uns dann wieder, wenn die ihre menschverachtenden Feldzüge auch bei uns starten.
Die ziellose Reparaturpolitik aus humanitären Gründen mit immer mehr Waffen muss ein Ende haben. Genauso wie diese ablenkenden Scheindiskussionen über Paradigmenwechsel deutscher Außenpolitik oder Parlamentsvorbehalte."
Kommentar von Matthias Thiel zum Nachhören.