Brit Awards ohne Geschlechterkategorie
Die Brit Awards sollen im Februar 2022 verliehen werden, erstmals auch in den Kategorien Alternative/Rock, Hip Hop/Grime/Rap, Dance Act und Pop/R'n'B. © picture alliance / empics / PA / Ian West
Längst überfällig oder vollkommen wirkungslos?
04:19 Minuten
Schluss mit "bester Künstler" und "beste Künstlerin": Die Brit Awards, die zu den wichtigsten Musikpreisen weltweit zählen, sollen im kommenden Jahr geschlechtsneutral vergeben werden. Eine gute Idee, sagt Ina Plodroch. Vladimir Balzer widerspricht.
Die Brit Awards, die neben den Grammys zu den wichtigsten Musikpreisen der Welt gehören, sollen modernisiert werden. Im kommenden Jahr soll es nur noch eine Kategorie für nationale und internationale Solo-Musikschaffende geben. Das teilte die Organisation auf ihrer Webseite mit. Ziel sei es, die Musik und das Werk der Ausgezeichneten in den Mittelpunkt zu stellen. Die Show solle „so inklusiv und relevant wie möglich“ sein.
Pro: Die Entscheidung war überfällig
Musik hat kein Geschlecht. Das ist die Message. Und so progressiv die auch klingt: Eigentlich ist es längst überfällig, dass auch die Brit Awards nicht mehr nach Künstlerin und Künstler unterscheiden. Denn selbst die Grammys, die sich in den letzten Jahren wirklich nicht mit Ruhm bekleckert haben in Sachen Diversität und absolut nicht für Fortschrittlichkeit stehen, vergeben ihre Preise schon seit 2012 in geschlechtsneutralen Kategorien.
Das ist auch gut so, denn allein diese Unterscheidung - „beste Künstlerin“, „bester Künstler“ - suggeriert ja, dass es in der Popmusik zuginge wie im Sport: Was von Frauen käme, könne man ja gar nicht mit dem vergleichen, was Männer imstande sind, künstlerisch aus sich heraus zu pressen. Außerdem verleiten explizite Frauenkategorien dazu, wie ein Feigenblatt über all die anderen Kategorien hinwegzutäuschen, in denen allzu oft einfach nur Männer neben Jungs und anderen Typen aufgelistet sind.
Aber nicht nur deshalb sind geschlechtsneutrale Kategorien bei Preisvergaben wichtig: Was ist mit Künstler*innen, die sich nicht eindeutig als Mann oder Frau identifizieren? Das ist nicht nur eine theoretische Überlegung, sondern betrifft beispielsweise Sam Smith: Nachdem Smith öffentlich gemacht hatte, sich als non-binär, also weder eindeutig als Frau noch als Mann zu verstehen – und das war 2019 – konnte Smith nur deswegen nicht mehr in den Kategorien „bester britischer Solokünstler“ oder „beste britische Solokünstlerin“ nominiert werden.
Es ist also eigentlich viel zu spät, was die Brit Awards da schulterklopfend verkünden. Aber besser spät als nie.
Ina Plodroch
Contra: Die Sammelkategorie ist Augenwischerei
Bei großen Preisen und Festivals ist das Geschlechter-Paradies ausgebrochen. Könnte man denken. Die Brit Awards sollen also jetzt auch geschlechtsneutral vergeben werden. Vergleichbar mit der Berlinale.
Nichts Neues also im Kulturbetrieb, dass Geschlechter bei Preisvergaben keine Rolle mehr spielen sollen. Das ist sicher gut gemeint - die Brit Awards sprechen davon, „so inklusiv und relevant wie möglich“ sein zu wollen. Aber hilft dieser Schritt wirklich, mehr Gerechtigkeit im Kulturbetrieb herzustellen?
Wer das glaubt, den kann man nur naiv nennen. Oder illusionär. Verschwindet durch das Nicht-Benennen von Frauen tatsächlich auch nur eine einzige Benachteiligung? Bekommen sie jetzt dieselben Gagen?
Bekommen sie gute Rollen auch jenseits der 40? Oder gute Plattenverträge? Werden sie jetzt weniger von männlichen Kollegen belästigt? Halten sich jetzt männliche Produzenten mit sexuellen Übergriffen zurück?
Bekommen jetzt Musikerinnen und Schauspielerinnen weniger sexistische Kommentare in den sozialen Medien? Werden sie jetzt so anerkannt, wie sie sind: aufgrund ihrer künstlerischen Qualität und nicht, ob sie kurze oder lange Haare haben, Falten oder keine, oder wie sie sich kleiden?
Und werden Menschen, die sich als nicht-binär verstehen, jetzt mehr Respekt und Anerkennung erfahren?
Wenn das wirklich so wäre! Schön wäre es! Aber solche oberflächlichen Marketing-Entscheidungen, die gerade sehr en vogue sind, wie das Weglassen von Geschlechterkategorien bei Preisvergaben, bringen der Geschlechtergerechtigkeit nichts.
Auch hier gilt: Wenn man ein Problem nicht benennt, wird es vielleicht weniger sichtbar. Aber es wird ganz bestimmt nicht kleiner.
Vladimir Balzer