Fehlt Ihnen der Livesport?
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In der Coronakrise ist der Sport in der Zwangspause. Viele Fans vermissen es, in die Stadien zu gehen und sich Spiele anzusehen. Andere finden die Auszeit gar nicht schlecht. Sie nutzen sie, um selbst Sport zu treiben. Ein Pro und Contra.
Notfalls helfen auch Geisterspiele – Pro von Wolf-Sören Treusch
Am schlimmsten ist es samstagnachmittags: Wenn ich eigentlich die Bundesliga-Konferenz im Radio höre und jedes Mal hoffe, dass mein Verein gerade ein Tor geschossen hat, wenn die Wortkaskaden der Reporter und der Jubel der Zuschauer miteinander verschmelzen – zu diesem unnachahmlichen, seit Jahrzehnten geliebten Samstagnachmittagssound. In diesen Wochen herrscht Stille. Nichts. Nur das Vogelgezwitscher in meinem Garten.
Ich gestehe: Ich bin ein Live-Sport-Junkie. Wo andere nebenbei Musik hören, lasse ich am Wochenende Radio und Fernsehen laufen, bei sportlichen Großereignissen auch gern rund um die Uhr. Nach Höchstleistungen zu streben, hat für mich etwas Universelles, Sport bietet mir Gefühle und Geschichten, Unterhaltung und – ganz wichtig – jede Menge Überraschungsmomente.
Das Golden Goal von Oliver Bierhoff bei der EM 1996 oder den 800-Meter-Olympiasieg von Nils Schumann in Sydney 2000 will ich live erleben, egal zu welcher Uhrzeit. Nicht als Endlosschleife aus der Konserve. In ihrer Not plündern die Fernsehsender zurzeit ihre Archive, wiederholen große Sportmomente. Für mich ist das kein Ersatz.
Ganz schlimm finde ich die Vorstellung, nicht mehr mit anderen Menschen zusammen den Sport erleben zu können. Vielleicht auf Jahre hinaus, unken die ärgsten Prognostiker. Ob im Stadion selbst, beim Public Viewing auf einem großen Platz oder vor dem Fernsehschirm in der Stammkneipe: Nichts stiftet mir mehr Trost und Zuversicht als gemeinsam durchlittene und gefeierte Sportereignisse.
Fürs Erste allerdings wäre ich schon froh, wenn es überhaupt wieder Live-Übertragungen von Sportevents gäbe. Radfahrern stundenlang dabei zuschauen, wie sie gleichförmig in die Pedale treten: Es wäre wunderbar. Selbst mit Geisterspielen könnte ich mich nun arrangieren. Hauptsache, samstagnachmittags ist es nicht mehr so still.
Weiterspielen ist unsolidarisch – Contra von Thomas Wheeler
Es wird manch einen sicherlich befremden und Menschen, die mir nahestehen umso mehr überraschen. Aber mir fehlt trotz meiner jahrzehntelangen Arbeit als Sportjournalist momentan weder das Live-Erlebnis im Stadion oder in der Sporthalle, noch Sport-Übertragungen im Fernsehen oder Radio.
Ich empfinde diese Zeit eher wie eine vorgezogene Sommerpause, in der die meisten Mannschaftssportsarten ja normalerweise zunächst in den Ferien und dann in der Vorbereitung auf die neue Spielzeit sind. Für mich ist diese unterbrochene Saison als Berichterstatter und Konsument im Kopf bereits abgehakt. Was mir gegenwärtig mehr fehlt, ist meine Badminton-Betriebssportgruppe. Aber ohne sie habe ich für mich eine Individual-Beschäftigung wieder entdeckt, die ich noch nie so aktiv betrieben habe, wie jetzt: das Radfahren.
Wenn ich gerade nicht radle, mache ich mir natürlich auch Gedanken, welche Auswirkungen die Corona-Krise auf den hiesigen Spitzen- und Amateursport haben könnte. Dabei kann ich die Haltung der Deutschen Fußball-Liga, die Saison – wenn irgendwie machbar – zu Ende zu spielen, nicht nachvollziehen. Klar, es gibt auch in der ersten und zweiten Liga einige Vereine, die im Falle eines Saisonabbruchs wahrscheinlich extreme wirtschaftliche Probleme bekommen werden. Vor allem dann, wenn die eingeplanten Fernsehgelder nicht fließen. Aber die ökonomischen Konsequenzen dürften für fast alle anderen Sportarten noch viel heftiger ausfallen.
Gernot Tripcke, der Geschäftsführer der Deutschen Eishockey-Liga, hat bereits davor gewarnt, dass eine neue Saison ohne Zuschauer zum Zusammenbruch der DEL führen könnte. Und was sollen erst die zahlreichen Amateurklubs in dieser Republik sagen? Deshalb sollte der deutsche Profifußball wirklich noch mal in sich gehen, ob er die unterbrochene Spielzeit ernsthaft mit Geisterspielen zum Abschluss bringen will.
Ja, Fußball hat eine enorme gesellschaftliche Bedeutung, und er hat auch eine extrem verbindende Wirkung. Aber deshalb einfach weitermachen? Also: survival of the fittest. In dieser Zeit? Für mich wäre das arrogant und egoistisch. Zumal ich doch jetzt immer wieder höre, dass wir in dieser Krise alle miteinander solidarisch sein sollen.