Pro und Kontra Krippe

Von Volkart Wildermuth |
Kleine Kinder können neben der Bindung an die Eltern weitere enge Beziehungen auch zu den Erzieherinnen einer Krippe aufbauen. Dabei entwickeln sie sich in guten Einrichtungen deutlich schneller und haben in der Schule einen Vorsprung. Die Krippen müssen dafür in Räume, in Erzieherinnen und in deren Ausbildung investieren.
Hier spielen zwölf Kinder zwischen zwei und drei Jahren. Seit neun Uhr morgens sind sie in der Kindertagesstätte. Die meisten werden erst nachmittags um vier abgeholt. Im Raum sind zwei Erzieherinnen und eine Praktikantin. Auf dem Wickeltisch bekommt ein Kind gerade eine frische Windel, am Tisch malen zwei andere. Der Großteil der Kinder spielt auf dem Boden mit der Murmelbahn, mit kleinen Holzautos. Idyllisch. Doch viele fürchten, dass Kleinkinder Schaden nehmen, wenn sie nicht von ihren Eltern betreut werden. So bemerkte die Publizistin Gabriele Kuby in einer Talkshow:

"Die Gehirnforschung heute zeigt, dass Kinder auf eine Bezugsperson angewiesen sind, und sie zeigt auch, dass die Mutter von der Natur ausgestattet ist, diese Person zu sein."

Weil das Kind schon bei der Geburt seine Mutter erkennt. Für diese Beobachtung gibt es viele Belege. Daraus zu folgern, niemand außer der Mutter könne ein Kind erfolgreich aufziehen, ist allerdings gewagt.

Hier ist auch weniger die Hirn- als die Bindungsforschung zuständig. Dr. Karin Grossmann beobachtet zusammen mit ihrem Mann an der Universität Bielefeld seit über dreißig Jahren die langfristigen Folgen der Beziehungen zwischen Kindern und ihren Eltern. Wichtigstes Ergebnis: Babys, die feinfühlige Eltern hatten, sind als Erwachsene eher in der Lage, eine erfolgreiche Partnerschaft zu führen. Die ersten Jahre sind also unzweifelhaft entscheidend.

Aber auch kleine Kinder können, neben der Bindung an die Eltern, weitere enge Beziehungen aufbauen, auch zu den Erzieherinnen einer Krippe. Entscheidend ist nach den Beobachtungen von Karin Grossmann eine behutsame Eingewöhnungsphase und eine an die Kleinkinder angepasste Gruppengröße:

"Ein sehr kleines Kind kann eigentlich nur lernen, dass sich jemand um es kümmert. Wenn die Person sich schnell kümmert und möglichst auch um das Leid, bevor es allzu groß wird, schnell trösten kann."

Kleine Gruppen für Krabbelkinder, so lautet die wichtigste Forderung der Bindungsforschung. Ideale Verhältnisse sind allerdings eher selten und so zeigen große Studien aus den USA und Großbritannien, dass es durchaus einen Unterschied macht, ob ein Kind zuhause oder in der Krippe betreut wird.

Beim Schuleintritt sind die Krippenkinder geistig und sozial ein wenig weiter entwickelt, neigen aber etwas mehr zu aggressivem Verhalten. Allerdings sind positive wie negative Effekte überraschend klein. Letztlich kommt es auf die Qualität der Betreuung an, und gerade die ist in Deutschland sehr unterschiedlich, bedauert Prof. Wolfgang Tietze von der Freien Universität Berlin:

"Wir haben also die gesamte Spannbreite von Einrichtungen, wo man spontan sagen würde, die gehören eigentlich geschlossen, wenn hier nichts wirklich Nachhaltiges passiert, bis zu wirklich guter und sehr guter Qualität."

Diese große Streuung zeigt, hierzulande ist die Qualität in der Betreuung weder für die Politik noch für die Verwaltung ein vordringliches Ziel. Die einzelnen Einrichtungen werden weitgehend sich selbst überlassen.

Das will Wolfgang Tietze ändern. Mit seinen Mitarbeitern hat er ein Gütesiegel für Krippen und Kindergärten entwickelt. Neben den Räumlichkeiten, dem Konzept und der Zahl der Erzieherinnen wird vor allem der Umgang mit den Kindern bewertet. Hier kommt es, so Tietze, vor allem darauf an, Alltagssituationen zu nutzen, zum Beispiel beim Malen:

"Die Erzieherin kann jetzt im Hinblick auf Sprachförderung sagen: Schön, hast du gut gemacht! Mach weiter, setz´ dich oder sie kann neugierig werden. "Ein Hund, seit wann habt ihr denn einen schwarzen Hund?", "Nein, das ist nicht unser Hund, der ist aus der Nachbarschaft", also sie kommt in ein Gespräch, nimmt die Situation auf und erweitert auch die sprachlichen oder sonst auch kognitiven Möglichkeiten des Kindes."

Diese Art von erzieherischer Qualität zahlt sich aus, Kinder aus guten Einrichtungen entwickeln sich deutlich schneller, haben noch in der Schule einen Vorsprung. Doch Qualität kommt nicht von selbst. Zuerst muss investiert werden in großzügige Räume, in Erzieherinnen und in deren Ausbildung.