Exotisierung des Rechtsextremismus statt Analyse
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Eine Pro7-Reportage führte offenbar zum Rauswurf des früheren Sprechers der AfD-Bundestagsfraktion. Die Doku schreibt ihm Tötungsfantasien gegenüber Migranten zu. Der Soziologe David Begrich kritisiert, der Film liefere zu wenig Analyse.
Offenbar als Reaktion auf eine am Montagabend gesendete TV-Dokumentation von Pro7 hat die Bundestagsfraktion der AfD ihren ehemaligen Presseprecher Christian Lüth fristlos entlassen. Seit April war er freigestellt gewesen. Die Reportage von Thilo Mischke zeigt ein im Februar heimlich gefilmtes Gespräch mit einem "hohen AfD-Funktionär", bei dem es sich laut einem Bericht von Zeit Online um Lüth handeln soll. In dieser Szene werden dem Mann Tötungsfantasien gegenüber Migranten zugeschrieben. Noch vor der Ausstrahlung der Reportage gab der Fraktionsvorstand am Montag Lüths fristlose Entlassung bekannt.
Ikonische Bilder von Nazis in Springerstiefeln
Der Soziologe David Begrich anerkennt die Leistung des Privatsenders Pro7, der sich Zeit genommen habe für eine lange Recherche und die Sendung ohne Werbeunterbrechung ausgestrahlt habe, kritisiert aber den vereinfachenden Ansatz der Sendung. Der erste Teil der Dokumentation liefere die klassischen, ikonischen Bilder von Springerstiefeln und tätowierten Nazis und arbeite dadurch an einer Exotisierung des Rechtsextremismus.
Die durchaus starken Bilder der Doku lässt Begrich nicht gelten: "Es gibt keinen Mangel an starken Bildern zum Thema Rechtsextremismus. Worauf es ankäme, wäre, diese Gewalt ästhetisierenden Bilder zu dekonstruieren. Das gelingt in ganz wenigen Dokumentationen, und auch in dieser ist es nicht gelungen."
Analytische Tiefenschärfe fehlt
Das liege daran, dass der Film Moral statt Analyse liefere: "Dagegen ist eigentlich nichts einzuwenden. Aber wenn dann keine Analyse nachgeliefert wird oder nur ein Teil davon, dann ist das für so eine große Doku, die sich soviel Zeit nimmt, zu wenig."
Der Versuch, einem breiteren Publikum das Phänomen Rechtsextremismus näher zu bringen, sei aber teilweise gelungen, so Begrich. Das liege am zweiten Teil des Films, der sich mit dem "oft verharmlosenden Begriff" Rechtspopulismus, der Pegida und der AfD und mit der Frage über die Wirkungsweise der sozialen Medien befasse.
Auf die falsche Strategie gesetzt
"Das ganze Stück hat Empörungs- und Moralqualitäten. Das will ich auch gar nicht in Abrede stellen", sagt Begrich. Für eine Frage nach Kontinuität, Herkunft und Attraktivität von rechtsextremen Politikangeboten liefere es aber keine Antwort. Dass Leute wie Lüth, der sich laut Zeit Online selbst als Faschist tituliert haben soll, extreme Aussagen von sich geben, sei kaum überraschend.
"Ich finde, es ist eine falsche Strategie, die rechtsextreme Szene in Deutschland als moralisch verlottert vorzuführen", sagt Begrich. "Was es braucht ist eine analytische Tiefenschärfe, die aufzeigt, wo die Gefahren für die Demokratie liegen."
(rja)