Musik, die britische Geschichte erzählt
Wer sich das künstlerische Schaffen des Produzenten Adrian Sherwood anschaut, blickt gleichzeitig auf vierzig Jahre britischer Musikgeschichte. Sein neues Album macht die vier Dekaden hörbar.
Wie viel englische Musikgeschichte Adrian Sherwood aufgesogen haben muss, erkennt man beim ersten Blick auf die Trackliste seiner neuen CD. Seit 1979 steht er schon hinter dem Mischpult. Und beeindruckend sind auch die Namen derer, mit denen er zu tun hatte: The Slits, The Fall, Johnny Rotten von den Sex Pistols, Daniel Miller, den Entdecker von Depeche Mode. Wie ein unsichtbarer Chronist ist Sherwood die letzten vierzig Jahre britische Musikgeschichte mitgelaufen, hat Karrieren befördert, Remixe gefertigt und immer wieder viel produziert.
Mit der neuen CD "Sherwood at the Controls" besucht der Produzent Adrian Sherwood seine frühen Tage. Die Zeit: Ende der 70er im rauen Londoner Untergrund. Punk verlor langsam an Kraft. Und an seine Stelle trat New Wave und bei Sherwood auch die ersten Dub-Produktionen. Am liebsten erinnert sich Sherwood an die Arbeit mit der Band The Fall und ihrem Sänger Mark E. Smith.
"Einige Tracks habe ich 30 Jahre lang nicht mehr gehört. Und heute denke ich: Wow - man hört richtig meinen Lern-Prozess. Ich habe wirklich schwer dran gearbeitet, meinen eigenen Sound zu finden. Aber von jemandem wie Mark E. Smith habe ich sowas wie 'Anti-Produktions-Techniken' gelernt - kein Hall, kein Echo, keine Effekte. Er wollte lieber einen alten Sound aus den 50ern und 60ern nachbilden. Naja, und von ihm und Leuten wie Mark Stewart habe ich viel gelernt und Stück für Stück wurde daraus mein eigener Sound."
Wenn man ihm zuhört, ist es ein wenig, als würde man in einem Geschichtsbuch lesen. Oral History, sozusagen. Adrian Sherwoods Erzählungen über seine Anfänge als Produzent fangen ganz treffend den Geist der End-70er ein.
"Um ehrlich zu sein: Wir dachten, wir könnten die Welt verändern. Ich glaube auch, wir waren ziemlich arrogant. Naiv an der damaligen Zeit war eigentllich nur mein junges Alter und meine Unerfahrenheit. Aber ehrlich, wir dachten wirklich, wir könnten etwas verändern mit Musik. Heute geht's den Leuten vielleicht eher um Geld und Ruhm. Das war eben nicht unsere Sache. Wir waren einfach nur pleite, wollten Musik herausbringen - aber unsicher oder so, das waren wir wirklich nicht."
In den 80ern war Sherwoods Karriere exemplarisch für den Indie-Betrieb in England
Nachdem er sich als Produzent von Post-Punk und Wave Bands wie The Slits oder The Fall einen kleinen Namen gemacht hatte, wollte es Adrian Sherwood wissen und fing als Labelmacher an. Aber gleich drei Label-Versuche in Folge gingen schief. Mit Anfang 20 stand Sherwood dann bei Banken und Studios mit einem großen Schuldenberg in der Kreide. Seine Rettung war ein alter Freund – Daniel Miller, der gerade mit seinem Label Mute und einer jungen Londoner Band riesige Erfolge feierte: Depeche Mode.
"Es war für alle riskant damals. Weil es kaum gute Vertriebe gab. Ich verkaufte die ersten Platten aus dem Kofferraum meines Autos. Also, ich brachte zwar Platten heraus, aber verlor wiederum Geld, sie herzustellen. Aber wenigstens habe ich die Sachen herausgebracht. Mein alter Kumpel Daniel Miller bot mir dann an, Remixe von Depeche Mode zu machen. Und dadurch bekam ich mehr Remix-Jobs. Aber ich brauchte, bis ich 25 war, um meine Schulden zurückzuzahlen."
Adrian Sherwoods Karriere in den 80ern war exemplarisch für den Indie-Betrieb in England zu der Zeit. Wie ihm ging es vielen unabhängigen Labelmachern damals. Viel Arbeit, wenig Ruhm, prekärste Verhältnisse. Eine universelle Geschichte, die mitschwingt in den Songs und den Texten im Booklet zu dem Sampler "Sherwood at the Controls".
Adrian Sherwood hat sich in den letzten Jahren noch ein anderes Feld erobert – er arbeitet auch als DJ. Ein Tontechniker, der auch auflegen kann. Eine seltene, aber spannende Kombination. Wie hat das seine Arbeit als Produzent und Solokünstler beeinflusst?
"Also, beim DJ-ing nehme ich als Model das der jamaikanischen Sound Systems: Also, ich spiele an einem Abend so viel Musik wie möglich, die ich auch selbst produziert habe. Oder ich spiele Dubplates – also Unikate, die niemand sonst hat. Und so produziere ich jetzt auch meinen eigenen Sachen. Wie bei meinem letztes Soloalbum mit Rob Pinch zum Beispiel. Rob und ich sind da nicht herangegangen mit einem Album im Kopf, sondern wir dachten eher: Wie machen wir einzigartige Stücke, die niemand anderes spielen kann, außer wir beide."
Auch wenn Adrian Sherwood als Produzent nicht in die Königsklasse anderer Pop-Produzenten-Kollegen vordringen konnte - er hat einen ganz eigenen Produzenten-Stil kreiert und ist bis heute ein wichtiger Strippenzieher abseits des britischen Mainstreams. Und: Er hat mit seinem Label On U Sound das Genre des Dub entscheidend geformt. All das kann man hören auf dieser CD "Sherwood at the Controls", entlang der frühen Produktionen von Adrian Sherwood aus den Jahren 1979-1984. Und man bekommt vor allem noch ein wertvolles Stück britische Musikgeschichte miterzählt.