"Höhepunkt und Schlusspunkt dieser großartigen Musik"
09:43 Minuten
Mehr als 46 Jahre lag eine Perle der Musikgeschichte im Archiv: die Filmaufnahmen zu Aretha Franklins Gospel-Album „Amazing Grace“. Nun hat Produzent Joe Boyd diesen Schatz gehoben und auf die Leinwand gebracht.
Im Januar 1972 war Aretha Franklin noch keine 30 Jahre alt. Aber sie hatte ihre größten Erfolge schon hinter sich: Hits wie "Respect" oder "Think", die der Sängerin aus Detroit beziehungsweise Memphis den Titel "Queen of Soul" einbrachten und zu Hymnen der Bürgerbewegung in den USA wurden.
Es war Zeit für einen musikalischen Bruch: Franklin besann sich zurück auf die Musik ihrer Kindheit, den Gospel. In demselben Jahr nahm sie das Album "Amazing Grace" in einer Kirche in Watts im US-Bundesstaat Los Angeles innerhalb von nur zwei Tagen vor Publikum auf. Eigentlich sollte zu dem Album auch ein Filmmitschnitt des Konzerts erscheinen, daraus wurde aber nichts. Denn das Filmteam um Regisseur Sydney Pollack hatte Bild und Ton nicht miteinander synchronisiert und die Aufnahmen verschwanden in den Archiven von Warner Bros. 46 Jahre später ist das sagenhafte Konzert nun in dem Kinofilm "Amazing Grace" auf der Leinwand zu sehen. Joe Boyd war damals als Produzent beteiligt.
Mathias Mauersberger: Herr Boyd, Sie waren bei den Dreharbeiten um die 30 Jahre alt und damit im selben Alter wie Aretha Franklin. Sie hatten schon erfolgreich in Großbritannien als Produzent für Nick Drake oder Fairport Convention gearbeitet. Jetzt sollten Sie für Warner Bros. den Konzertfilm "Amazing Grace" produzieren. Kurz vor den Aufnahmen wurde Sydney Pollack als Regisseur engagiert, der offensichtlich keinerlei Erfahrung im Filmen von Musikdokumentationen hatte. War er letzten Endes verantwortlich für das Scheitern des Projekts?
Joe Boyd: Ich wollte natürlich mit einem Team arbeiten, das Erfahrungen mit Livemusik-Aufnahmen hatte. Aber dem Studio gefiel die Idee, dass der berühmte Sydney Pollack den Job machen würde, er hatte schon viel für Warner gearbeitet. Er war ein großer Fan von Aretha Franklin und hatte sofort mit Begeisterung zugesagt. Ich fragte meinen Boss, den Studiochef: Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist? Ja, um es kurz zu machen: Sie dachten, sie wüssten, was sie da tun, aber es hat am Ende nicht funktioniert, und die Aufnahmen sind in der Versenkung verschwunden.
Mathias Mauersberger: Herr Boyd, Sie waren bei den Dreharbeiten um die 30 Jahre alt und damit im selben Alter wie Aretha Franklin. Sie hatten schon erfolgreich in Großbritannien als Produzent für Nick Drake oder Fairport Convention gearbeitet. Jetzt sollten Sie für Warner Bros. den Konzertfilm "Amazing Grace" produzieren. Kurz vor den Aufnahmen wurde Sydney Pollack als Regisseur engagiert, der offensichtlich keinerlei Erfahrung im Filmen von Musikdokumentationen hatte. War er letzten Endes verantwortlich für das Scheitern des Projekts?
Joe Boyd: Ich wollte natürlich mit einem Team arbeiten, das Erfahrungen mit Livemusik-Aufnahmen hatte. Aber dem Studio gefiel die Idee, dass der berühmte Sydney Pollack den Job machen würde, er hatte schon viel für Warner gearbeitet. Er war ein großer Fan von Aretha Franklin und hatte sofort mit Begeisterung zugesagt. Ich fragte meinen Boss, den Studiochef: Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist? Ja, um es kurz zu machen: Sie dachten, sie wüssten, was sie da tun, aber es hat am Ende nicht funktioniert, und die Aufnahmen sind in der Versenkung verschwunden.
Mauersberger: Die Filmaufnahmen wirken aus heutiger Sicht geradezu schlicht. Sie zeigen Franklin, die meistens wie eine Predigerin an der Kanzel der Kirche steht und singt: Hinter ihr befindet sich die Band und der "Southern California Community Choir", am Klavier sitzt Reverend James Cleveland. Gleichzeitig sind aber die musikalische Wucht dieser Gospel-Stücke und Franklins Stimme spürbar. Heutzutage gilt das Album "Amazing Grace" als Klassiker. Waren Sie sich damals der musikhistorischen Dimension dieser Aufnahmen bewusst?
Boyd: Aretha war damals eine der berühmtesten Sängerinnen der Welt. Sie war mit 29 Jahren auf der Höhe ihrer stimmlichen Kraft. Es war ein enormer Schritt für sie, diese Aufnahmen zu machen, nach Los Angeles zu kommen und ein Live-Album aufzunehmen, vor Publikum und mit einem Chor. Und es war ja auch eine Art Heimkehr, wieder mit ihrem alten Freund James Cleveland zu arbeiten. Es waren damals alle überzeugt, dass das Album ein Erfolg werden würde, und das wurde es ja auch, mit über zwei Millionen verkauften Exemplaren. Was wir 1972 allerdings nicht wussten war, dass in irgendeiner Garage bereits ein Tüftler an der Erfindung des Drumcomputers arbeitete. Das sollte das gesamte Musikbusiness in den folgenden Jahren auf den Kopf stellen. Insofern markiert diese Aufnahme auch ein Ende, das Finale einer Ära. Aber natürlich hat amerikanischer Gospel die Popmusik bis heute massiv beeinflusst, und "Amazing Grace" ist der Höhepunkt, aber auch ein Schlusspunkt dieser großartigen Musik.
Schwarz und weiß zusammengebracht
Mauersberger: Sie waren als Weißer damals in der Kirche in Kalifornien klar in der Unterzahl. Im Publikum saßen aber auch Mick Jagger und Charlie Watts von den "Rolling Stones": zwei Musiker, die die afroamerikanische Musik für einen weißen Markt "adaptiert" hatten. Im Januar 1972 veröffentlichte Franklin ihr Album "To Be Young Gifted And Black", benannt nach einem Song von Nina Simone, der zu einer weiteren Hymne der Bürgerrechtsbewegung wurde. Wie politisch ist der Film "Amazing Grace"?
Boyd: Ich glaube nicht, dass der Film an sich politisch ist. Aber er ist eine Art Zeitkapsel, in der man die Black Consciousness dieser Zeit studieren kann. Es war eine interessante Zeit. Arethas Hits in den späten Sechzigerjahren haben ja ein schwarzes und ein weißes Publikum zusammengebracht, alle haben diese Platten gekauft. Aber Mitte der Siebzigerjahre hat sich der Markt wieder stärker geteilt, es gab einen schwarzen und einen weißen Sound, die Eagles waren die Helden des weißen Publikums, und auf der anderen Seite hatte man Kool And The Gang oder George Clinton mit einem ganz anderen Vibe.
"Amazing Grace" markiert hier auch den letzten Punkt vor dieser Trennung, und die fand sicher nicht nur in der Musik statt, sondern auch politisch. Reverend Franklin, Arethas Vater, war eine sehr wichtige Figur in der Bürgerrechtsbewegung, seine Stimme hatte großes Gewicht, und das hatte Aretha natürlich auch von ihm mitbekommen. Und es gab damals ja schon zwei Richtungen in der schwarzen Kirche, die Konfrontative, die sehr stark die Bürgerrechtsbewegung unterstützte, und eine andere, die weniger konfrontativ und eher spirituell war. Und Aretha gehörte auf jeden Fall zur ersten Gruppe.
Schüchtern, nachdenklich, konzentriert
Mauersberger: Franklin sagt während des gesamten Konzerts keinen Ton, stattdessen lässt sie nur ihren Gesang für sich sprechen. Wie haben Sie die "Queen of Soul" an diesen zwei Tagen erlebt?
Boyd: Aretha war auf eine Weise schüchtern. Viele Menschen haben schon gesagt, dass sie auf diesen Aufnahmen irgendwie unglücklich aussieht. Der Grund dafür, dass sie so still war, ist, dass diese Aufnahmen für sie extrem wichtig waren und eine sehr intensive Erfahrung. Sie war auf der Höhe ihres Erfolges und machte musikalisch eine Kehrtwende, mit einer Verbeugung vor der Musik, die sie so groß hat werden lassen. Und die Aufnahmen waren live, in zwei Tagen aufgenommen. Es war von Anfang an klar, dass James Cleveland derjenige sein würde, der die Witze macht und durch die Veranstaltung führt. Aretha brauchte ihre volle Konzentration. Sie wusste zwar, dass die Kameras da waren, aber sie hatte sicher nicht damit gerechnet, dass sie auch zwischen den Songs zu sehen sein würde. Sydney Pollack hatte sicherlich geplant, eigene Interviewsequenzen zwischen die Songs zu schneiden. Und genau das gefällt mir so gut an Alan Elliotts Version des Films, er fängt die Atmosphäre im Saal ein und auch Arethas Nachdenklichkeit und Konzentration.
Boyd: Aretha war auf eine Weise schüchtern. Viele Menschen haben schon gesagt, dass sie auf diesen Aufnahmen irgendwie unglücklich aussieht. Der Grund dafür, dass sie so still war, ist, dass diese Aufnahmen für sie extrem wichtig waren und eine sehr intensive Erfahrung. Sie war auf der Höhe ihres Erfolges und machte musikalisch eine Kehrtwende, mit einer Verbeugung vor der Musik, die sie so groß hat werden lassen. Und die Aufnahmen waren live, in zwei Tagen aufgenommen. Es war von Anfang an klar, dass James Cleveland derjenige sein würde, der die Witze macht und durch die Veranstaltung führt. Aretha brauchte ihre volle Konzentration. Sie wusste zwar, dass die Kameras da waren, aber sie hatte sicher nicht damit gerechnet, dass sie auch zwischen den Songs zu sehen sein würde. Sydney Pollack hatte sicherlich geplant, eigene Interviewsequenzen zwischen die Songs zu schneiden. Und genau das gefällt mir so gut an Alan Elliotts Version des Films, er fängt die Atmosphäre im Saal ein und auch Arethas Nachdenklichkeit und Konzentration.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.