"Professionalität" und "Bescheidenheit"

12.09.2013
Otto Sander war ein Mann der Manieren. Höflich, zuvorkommend und freundlich. Das sagt Regisseur Bernd Böhlich über den verstorbenen Schauspieler Otto Sander. Allein durch Sanders Anwesenheit habe sich das Arbeitsklima am Set positiv verändert.
Matthias Hanselmann: Otto Sander, deutsche Schauspielerlegende, ist tot. Sie haben es in den Nachrichten gehört und vielleicht auch unseren Nachruf vor den Nachrichten. Wir sprechen jetzt mit Bernd Böhlich, er ist deutscher Regisseur und hat zuletzt 2011 mit Otto Sander zusammengearbeitet bei seinem Film "Bis zum Horizont, dann links". Guten Tag, Herr Böhlich.

Bernd Böhlich: Ich grüße Sie, hallo.

Hanselmann: Wann haben Sie vom Tode Otto Sanders gehört?

Böhlich: Vor einer Stunde.

Hanselmann: Wie Sie reagiert haben, brauche ich, glaube ich, nicht zu fragen, denn Sie hatten eine sehr intensive Zusammenarbeit. Ich habe es eben gesagt, zum Schluss beim Film "Bis zum Horizont, dann links". Vielleicht für die Zuhörerinnen und Zuhörer, die den Film nicht gesehen haben: Da spielt Otto Sander einen mürrischen alten Herren, Tietgen, der will noch was erleben, und dann beginnt er eine Rundreise mit einer alten Propellermaschine – entführt das Flugzeug, zwingt den Piloten mit vorgehaltener Pistole zu einer Änderung der Route, und dann gibt es eine abenteuerliche Reise mit Otto Sander und den alten Herrschaften in diesem Flugzeug. Hatten Sie von Anfang an vor, Otto Sander mit dieser Hauptrolle zu besetzen?

Böhlich: Das war eine Entscheidung ohne Wenn und Aber! Also der Stoff hat eine lange Entwicklung genommen, weil die Finanzierung auch nicht so ganz leicht war, aber die Besetzung der Hauptrolle mit Otto Sander, also das war immer, immer für mich völlig unstrittig.

"Eine sehr prägnante Stimme und ein sehr trockener Humor"
Hanselmann: War es schwer, ihn dafür zu bekommen, ihn dafür zu begeistern?

Böhlich: Es war nie schwer, Otto Sander zu überzeugen, eine gute Rolle zu spielen. Und das machte er nicht abhängig von der Anzahl der Drehtage oder ob das jetzt Kino oder Fernsehen war, sondern er machte es absolut abhängig von der Qualität des Buches und der Figur, die ihm da angeboten wurde. Und das machte eben auch eine seiner ganz großen Qualitäten aus. Also er war unbestechlich in seinem Urteil. Man konnte ihm jetzt auch nicht eine Sache einreden, weil man ihn einfach gerne haben wollte, weil man sich vielleicht mit dem Namen schmücken wollte. Also das alles funktionierte überhaupt nicht. Man musste ihm schon auch begründen, warum er und kein anderer für diese Rolle vorgesehen ist.

Hanselmann: Wissen Sie noch, wie Sie es begründet haben?

Böhlich: Sie haben ja den Film teilweise sehr treffend beschrieben. Das ist ein knorriger, leicht melancholischer, älterer Herr, der vom Leben nicht mehr allzu viel erwartet und der noch mal alles auf eine Karte setzt. Und ich habe beim Schreiben des Drehbuches auch mir immer ihn natürlich vorgestellt. Und diese Stimme im Ohr gehabt, da half mir, dass wir bis zu diesem Zeitpunkt schon sehr viel auch fürs Fernsehen gedreht hatten.

Also er war für mich auch kein Unbekannter natürlich in der Arbeit. Und dieses Bild vor Augen und diese Stimme im Ohr, das half auch einfach sehr, weil Sander ja auch eine sehr prägnante Stimme hatte, und eben auch einen sehr trockenen Humor. Also das ist ja das – er war ja ein Meister des Minimalismus. Da wo andere sich wahnsinnig anstrengen müssen und nicht annähernd so eine Wirkung erzielen, ist das oder war es – es fällt mir immer noch schwer, dass man das in der Vergangenheit formulieren muss – war das ja bei ihm eine ungeheure, präzise Arbeit, die er eben auch mit einer wahnsinnigen Vorbereitung verband.

Es war zum Beispiel so bei dem Film: Er hatte sich eine Dame genommen vom Berliner Theater als Coaching, die mit ihm das gesamte Drehbuch durchging und am ersten Drehtag hatte Otto Sander das Buch wirklich – kannte es auswendig. Also egal, welche Seite man aufschlug, welche Szene man vorschlug, die zu besprechen war, er kannte dieses Buch komplett auswendig. Und das ist eine Arbeitsleistung, also, da fällt mir kein Vergleich ein.

Hanselmann: Unglaublich. Wie war denn eigentlich Ihre Reaktion, als er zugesagt hat?

Böhlich: Das ist – oder war, Entschuldigung, immer sehr zwiespältig, so verrückt das klingen mag. Weil auf der einen Seite ist man wahnsinnig erleichtert und glücklich, völlig klar. Also, wenn der Anruf kommt und dann meldet sich diese absolut unverwechselbare Stimme am Telefon und sagt: Ich hab's gelesen, wir sind zusammen im Boot. So, und dann weiß man natürlich auch, dass man ab jetzt sich keinerlei Ungenauigkeiten erlauben darf. Und das hat mich zum Beispiel auch wirklich in all den Jahren immer auch sehr geprägt, ob wir jetzt persönlich zusammengearbeitet haben oder nicht. Aber einfach diese Lehre, man arbeitet in diesem Beruf genau. Und man lässt einfach nichts durchgehen, man redet sich nicht Dinge schön, von denen man weiß, dass sie so einfach nicht stimmen, weil das wird dann spätestens bestraft, wenn ein Film auf der Leinwand läuft. Also das alles, das alles hat mich durch diese Begegnung mit ihm und durch diese sehr frühe Zusammenarbeit, die schon Anfang der 90er-Jahre stattgefunden oder begonnen hat, hat mich das wahnsinnig geprägt.

Hanselmann: Erinnern Sie sich jetzt an Ihr erstes Zusammentreffen, wenn Sie sagen, Anfang der 90er-Jahre?

Böhlich: Das war ein "Polizeiruf" '92, und ich hatte vorher ein Fernsehspiel gedreht mit Ben Becker, und ich fragte ihn, also fragte Ben, ob er Lust hätte, den nächsten Film, dass wir den nächsten Film zusammen machen, und ich suche aber eben ganz dringend nach einer Besetzung eines älteren Herrn. Und da sagte Ben so ganz selbstverständlich: Ja, da frag doch mal Otto. Und ich – mir war jetzt gar nicht klar, wen meint er jetzt mit Otto – sagt er: Na, Otto Sander. Ich sag, Ben, also jetzt Otto Sander für einen "Polizeiruf" zu fragen, "Totes Gleis" hieß der, war eine RBB-Produktion, und sagt er: Na, das ist doch eine schöne Rolle, na sicher, ist doch gar kein Problem.

Also jedenfalls, ich hab dann meinen Kloß im Hals runtergeschluckt, habe angerufen. Es war völlig unkompliziert, uneitel, und wir haben uns getroffen, haben uns sofort sehr, sehr gut verstanden, und ich habe dann natürlich sofort festgestellt, bei den Kostümproben, bei den Textproben und, und, und, also welches hohe Maß an Professionalität, aber eben auch Bescheidenheit da sich in einer Person vereint.

"Ein bisschen altmodisch im absolut positiven Sinn"
Hanselmann: Und ich muss an der Stelle wirklich mal lobend erwähnen, da ich diesen "Polizeiruf" gesehen habe, dass er wirklich positiv aus dem "Polizeiruf"-Rahmen richtig rausfiel. Ganz großartig, wie auch Otto Sander dort gespielt hat. Wie war eigentlich – wie war Otto Sander am Set. Also, man kennt das ja so klischeehaft, da kommen die Stars an mit einer dicken Limousine, die Bremsen quietschen, und haben dann schon ihren ersten Auftritt, indem sie "Hallo, da bin ich!" sagen. Wie war es bei Otto Sander?

Böhlich: Ich habe ihn eigentlich immer in Erinnerung als ein bisschen altmodisch im absolut positiven Sinne. Also ein Mann mit Manieren, der höflich, zuvorkommend, freundlich ist, nie launisch, aber auch wirklich nie, und der durch dieses Auftreten eine ganz natürliche Autorität ausgestrahlt hat, und zwar bei allen und gegenüber allen. Also ob das Techniker sind, ob das Bühnenleute sind, Beleuchter, ob das künstlerische Mitarbeiter sind, völlig egal.

Also, wenn Otto Sander am Drehort erschien, wenn er aus dem Auto stieg und eben jetzt nicht, wie Sie es auch gerade beschrieben haben, was ja durchaus auch vorkommt, dass Schauspieler der Meinung sind, sie müssen also mit ihrem Erscheinen sofort erst mal unter Beweis stellen, dass sie Schauspieler sind und jetzt erst mal alle lautstark unterhalten oder so. Bei Otto keine Spur davon. Also da erscheint jemand am Drehort, fast ein bisschen scheu, und man merkt im ersten Moment gar nicht, dass er da ist, dann machen die Leute sich gegenseitig aufmerksam und flüstern sich zu: Du, Otto Sander ist gekommen. Und dann verändert sich plötzlich auch das Klima. Ja, man hat das Gefühl, es gibt jetzt, es wird leiser gesprochen, es wird behutsamer miteinander umgegangen, und das alles hängt zusammen mit diesem Wort, das man eben sehr, sehr schwer beschreiben kann, mit einer Aura. Und die hatte Otto Sander in der Tat.

Hanselmann: Herr Böhlich, Sie selbst haben, wie man so schön sagt, DDR-Sozialisation. Wie war Otto Sander eigentlich früher in der DDR angesehen?

Böhlich: Er war hoch respektiert. Nur hatte man jetzt nicht die Möglichkeit, sich diese vielen wunderbaren Theateraufführungen anzugucken. Aber das, was an Kinofilmen beziehungsweise auch an Synchronarbeit von ihm kennenzulernen war, also damit war er, war der Name natürlich ein Begriff. Und Sie können sich vorstellen, was es für mich bedeutet hat, nach dem Fall der Mauer diesem Schauspieler zu begegnen und mit ihm zu drehen. Also das ist – bis heute ist das für mich eine der schönsten Einlösungen des Mauerfalls.

Hanselmann: Hatten Sie noch Pläne mit Otto Sander?

Böhlich: Ja.

Hanselmann: Ich bedanke mich ganz herzlich. Bernd Böhlich war das. Ich bedanke mich für diese wunderbare Schilderung eines wunderbaren Schauspielers. Danke, Bernd Böhlich!

Böhlich: Bitte schön!

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