Progressive fantastische Literatur

Mit Fantasy die Welt verstehen

09:28 Minuten
Zwei Teilnehmerinnen des Annotopia Fantasy-Festival stehen in ihren Kostümen auf dem Festivalgelände.
Keine Weltflucht, sondern Verständnis über die Realität: Fantasy-Autoren fordern, dass sich die Literatur verändern muss. © picture alliance / dpa / Lino Mirgeler
Lars Schmeink im Gespräch mit Boussa Thiam · 30.12.2021
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Fantasy, Science-Fiction und Horror sind in Filmen und Serien längst die bestimmenden Genres, fantastische Bücher aber werden oft als "Kinderkram" abgetan. Dabei sei Fantastik ein wichtiger Ausdruck unserer komplexen Zeit, sagt Lars Schmeink.
Fantastische Themen haben im Moment Hochkonjunktur. Ein Grund dafür dürfte sein, dass sie ein „ideales Mittel sind, um sich unserer Realität zu nähern“, sagt der Literatur- und Medienwissenschaftler Lars Schmeink.
Denn wenn die Welt nicht verstanden werden kann, weil sie wie in der Coronapandemie komplex erscheine und es Unsicherheit gebe, dann könne die Fantastik dabei helfen, einen "anderen Blick" auf bekannte Dinge einzunehmen, so Schmeink. Dazu diene das Stilmittel der Verfremdung, das in Genres wie Science-Fiction oder Fantasy zur Anwendung komme.

Völker-Fantasy prägt deutschen Buchmarkt

Auch in anderen Bereichen der Literatur werde mit fantastischen Texten gearbeitet, doch scheuten sich viele Autorinnen und Autoren davor, sich in das Genre Fantastik einordnen zu lassen. Denn dieses werde oftmals als „Kinderkram“ abgetan, wie Schmeink erläutert.
Und auch im deutschen Feuilleton werde weiterhin zwischen ernster und unterhaltender Literatur unterschieden. Doch, so der Medienwissenschaftler, „Literatur ist immer eine Form von Weltflucht", denn man gehe in die erzählte Welt hinein. Und auch die fantastische Literatur beziehe die Themen aus "unserer Welt, nur dass die Verfremdung etwas höher ist".
In Deutschland komme hinzu, dass nach dem Kinoerfolg von „Herr der Ringe“ auf dem Buchmarkt alles eingekauft wurde, was dem Film und der Buchvorlage entsprach. Dieses Muster der sogenannten Völker-Fantasy präge noch bis heute den deutschen Markt.

Neue Impulse aus den USA

Doch fuße das durch die Völker-Fantasy vermittelte Weltbild auf Klischees, etwa von Krieg als Mittel zur Konfliktlösung oder das Streben nach Macht. Das Problem sei, dass, wenn sich solche Muster etabliert hätten, es dann für Innovationen schwierig sei, sagt Schmeink. Dies sei ein Teufelskreis.
In den USA habe sich mittlerweile eine Gegenbewegung entwickelt, berichtet der Literaturwissenschaftler. Dort geben neue Autorinnen und Autoren bisher unterrepräsentierten Gruppen wie Schwarzen oder LGBTQI+-Personen eine Stimme.
Und auch hierzulande seien diese Impulse aufgegriffen worden. Schriftstellerinnen und Schriftsteller hätten sich zusammengeschlossen, um Veränderungen anzustoßen, sagt der Literaturwissenschaftler. So haben Judith C. Vogt und James Sullivan ein Manifest vorgelegt, worin sie ein dezidiertes Schreiben von „progressiver Fantastik“ forderten.
Unter „progressiver Fantastik“ werde verstanden "Traditionen und Mustern aufzubrechen", sagt Schmeink. Das gelte sowohl inhaltlich als auch formell. Denn wenn sich die Themen und Probleme in der realen Welt änderten, dann müsste sich auch die fantastische Literatur daran anpassen. Dazu gehöre auch, kritisch zu hinterfragen und nicht immer wieder konservative Muster zu ergänzen.

Positive Zukunftsvision

So würden in Vogts jüngsten Romanen unter anderem eine genderneutrale Sprache verwendet und verschiedene Identitäten zugelassen, die Figuren seien zudem deutlich diverser. Dadurch würden die deutschsprachige Fantastik eine Erneuerung erfahren. So versucht die Autorin Theresa Hannig, utopische Inhalte mit einer positiven Zukunftsvision zu entwickeln.
Andere Autorinnen und Autoren würden in der deutschsprachigen Fantasy-Literatur Probleme wie Rassismus oder die Nazi-Vergangenheit aufgreifen, so Schmeink. Auch bei klassischeren Themen wie Mythologie würden neuen Inhalte in die Werke einfließen. Beispielsweise wenn die Positionen von Frauen oder queeren Personen gestärkt werden; damit werde der klassische Einzelheldenmythos gebrochen. Als Beispiele nennt Schmeink etwa Nora Bendzko oder James Sullivan.
(rzr)

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