Integration durch Wandern
Wie kann man im Voralpenraum Flüchtlinge integrieren? Durch Wandern, dachte sich der Deutsche Alpenverein und bietet deshalb zusammen mit dem Malteser Hilfsdienst geführte Wanderungen an: Flüchtlinge und Einheimische ziehen dabei gemeinsam in die Berge hinauf. Und kommen sich näher.
Die Gruppe, die sich an diesem Sonntagvormittag auf dem Wanderparkplatz von Flintsbach am Inn zusammengefunden hat, wirkt ein wenig aufgeregt. Hände werden vorsichtig geschüttelt, erste Worte ausgetauscht:
"Hallo servus, grüß Dich. Ich bin Saoib Sultani, ich bin Schüler, mein Hobby ist viel Sport."
Saoib, gebürtig aus Afghanistan, redet einfach drauflos. Ob man nun alles gleich versteht ist egal. Er freut sich auf den Ausflug, den der Alpenverein gemeinsam mit den Maltesern für diesen Morgen organisiert hat.
"Berge und ein bissl essen und dann runter zurück."
In die Berge, etwas essen und dann wieder runter gehen, das klinge doch gut, meint Saoib lächelnd.
Die Info zu der Wanderung bekam er von seinem Betreuer des Maltester Hilfsdienstes Am Morgen gegen halb neun wurden er und elf weitere Flüchtlinge von ihren Unterkünften in der Umgebung abgeholt und hergefahren. Eine Premiere an diesem Ort. Die wenigsten kennen sich, sagt Organisatorin Anja Pinzel:
"Heute ist die allererste Tour in Rosenheim. Schön, gleich so viele Leute mit dabei zu haben. Anfangs war es noch ein bisschen schleppend, bis das dann bekannt geworden ist und jetzt beginnt das Ganze."
Man kommt ins Gespräch
Drei junge Eriträer , etwas abseits, beobachten die Gruppe. Auch die zwei Somalier stehen getrennt von den anderen, unterhalten sich leise. Gemeinsam mit den sieben Afghanen, elf Einheimischen und zwei Bergführern vom Alpenverein soll es an diesem Vormittag auf die Hohen Asten gehen. Keine große Tour, 650 Höhenmeter, zwei Stunden bergauf auf 1104 Meter Höhe.
Fehlende Ausrüstung kommt aus der Kleiderbörse des Alpenvereins Rosenheim: Bergschuhe, Rucksäcke, Wanderkleidung, Regenjacken, Wanderstöcke. Auf Wanderstöcke verzichten die jungen Männer, auch auf Profi-Bergstiefel. Joggingschuhe reichen ihnen, im Gegensatz zu den Einheimischen in der Gruppe.
Einer der afghanischen Männer, Habib, kommt schnell mit anderen ins Gespräch. Er zeigt stolz ein Bild auf seinem Handy, in seiner Heimat hat er Portraits gezeichnet, als Glasbläser gearbeitet, dann musste er vor den Taliban fliehen. Das Reden darüber hilft. Jetzt freut er sich auf die Wanderung:
"Ja, sehr gut, viel spazieren und ein bisschen Training, mein Fuß schmerzt zwar, aber gut, ich gehe gern."
Die Flüchtlinge legen enormes Tempo vor
Und los geht’s. Es ist zwar Regen angesagt. Aber noch hält das Wetter. Die einheimischen Gruppenmitglieder sind erstaunt. Einige der Flüchtlinge legen ein enormes Tempo vor, sind bald hinter der ersten Kurve verschwunden:
"Das sind ja schon überwiegend junge Männer, muss man ehrlich sagen, ich bin ja schon älteres Semester, von daher dachte ich schon, dass die mir davon ziehen, auch vom Schuhwerk her, eher joggingmäßig unterwegs, aber das ist hier vielleicht auch nicht verkehrt, hier mit Joggingschuhen hoch zu joggen."
Eyasu: "Ja, die müssen warten. Kannst Du sie mal ein bisschen bremsen, sie sollen etwas langsamer und warten auf die anderen."
Einer der Betreuer versucht die schnellen Wanderer zu bremsen, aber im Grunde freut er sich über ihren Elan. Eyasu Adebabay kam in den 1980er-Jahren selbst aus Äthiopien nach Deutschland. Jetzt versucht er den oftmals frustrierten jungen Asylbewerbern eine Perspektive zu geben:
"Jetzt sind sie froh, dass sie gekommen sind. Aber heute früh war schlimm, schaust du, die haben keine Arbeit, die gehen nicht in die Schule, besonders jetzt, wir haben Probleme, die Lehrer kommen und stehen vor leeren Klassen, weil durch diese Abschiebebescheid, sie haben keine Lust mehr rauszugehen aus ihrem Schlafzimmer.
"Du musst ihnen klarmachen: Was machst Du hier? Du liegst hier nur den ganzen Tag. Der Sinn der Sache ist, dass die Einheimischen haben überlegt, vielleicht habt ihr hier eine Zukunft hier. Und vielleicht arbeitest mal am Berg, auf einer Alm oder so, dann musst du den Berg kennen, das kannst Du nur mit den Einheimischen."
Nach einer halben Stunde Forstweg öffnet sich der Wald, auf einer Alm liegen Kühe. Durch die Bäume kann man im Tal denn Inn fließen sehen:
Ibrahim: "Ja, das ist sehr hoch ja, wir dachten, da kommt ein kleiner Berg, ja, und jetzt ist sehr schön und sehr hoch, ja. Das macht mehr Spaß, so eine Aussicht, ja, sehr schön."
Als Elfjähriger die Eltern verlassen
Ibrahim scherzt und erzählt beim Wandern. Als Elfjähriger musste er den Bauernhof seiner Eltern in den afghanischen Bergen verlassen, schlug sich dann in Pakistan durch und lebt jetzt seit zwei Jahren in Bayern. Ärzte in München hätten ihm gesagt, er sei 17 Jahre alt, amüsiert er sich über die deutsche Bürokratie:
"Meine Vater und meine Mutter wussten selbst nicht, wie alt ich bin. Bei uns ist das nicht so wichtig. Wenn jemand in der Stadt wohnt, schon wichtig, aber wir haben im Gebirge gewohnt als Viehbauer. Für uns ist das nicht wichtig."
Langsam fängt es an zu regnen.
Die ersten merken, dass sie keine Regenjacke eingepackt haben, stattdessen Bergschuhe, die nicht passen. Die Bergführer erklären, was man alles auf so eine Wanderung mitnehmen sollte: eine Flasche Wasser, Wechselkleidung, Regenjacke.
Für einige zieht sich der steile Weg mittlerweile. Der sportliche Saoib hingegen marschiert flott die Anhöhe hinauf. Der junge Afghane wartet ungeduldig an der Lichtung, an der es hinaus auf die Alm Richtung Bergbauernhof geht. Oben auf 1104 Metern Höhe in der Gastwirtschaft erklärt er stolz:
"Ich war als erster da, eine Stunde warten und dann waren die anderen da. Also ich warte eine Stunde und dann kommen die anderen."
Bei Käsebrot, Obst und Johannisbeerschorle erzählt Saoib irgendwann, dass er dreimal im Gefängnis saß während seiner Flucht von Afghanistan nach Deutschland. Immer wieder wurde er aufgegriffen.
Die Wanderung lenkt von der drohenden Abschiebung ab
Zuhause habe er in der Computerbranche gearbeitet. Habe repariert und verkauft. Seit anderthalb Jahren lebt er nun in Bruckmühl bei Rosenheim, geht zur Berufsschule, wie die meisten der acht Asylbewerber dieser Wanderung. Er hofft auf die Anerkennung seines Asylantrages. Die Wanderung lenkt ihn von diesen Gedanken ab. Sein Landsmann Shefi wurde bereits abgelehnt:
Shefi: "Ja, da muss man ein bisschen rausgehen, weil denken wir nicht darüber, wenn du zuhause bist, musst du immer denken, was kommt morgen, warum hab ich Ablehnung gekriegt, aber gehst du mit den anderen raus, da lässt du alle schlimmen Sachen zuhause."
Er gehe derzeit gegen seine Ablehnung vor, erzählt Shefi. Das könne bis zu einem Jahr dauern. Solange versucht er sich abzulenken mit Aktivitäten wie eben der Wanderung hoch zu Deutschlands höchstem Bergbauernhof Hohe Asten:
"Bitte schön, erstmal hersetzen. Ich räume das mal zur Seite."
"Also wir haben jetzt schon noch Zeit. Eine Stunde haben wir. Wir können hier jetzt noch ganz gemütlich sitzen, also Gott sei Dank. Also wollen Sie sich noch zu uns dazusetzen?"
Die Organisatorin Anja Pinzel ist begeistert, dass sich Gespräche entwickeln während der Wanderung, dass die jungen Flüchtlinge scherzen und lachen und die Holzhäuser mit den Geranien auf der Alm bewundern. Wie nebenbei lässt sie Bemerkungen zum Umwelt- und Gewässerschutz fallen und auch zu den Jesusfiguren am Weg. Bei einer Kapelle sagt Ibrahim, der afghanische Bauernsohn:
"Das ist Eure Religion und deswegen kapiere ich, das hat mit Eurer Religion etwas zu tun. Denn wir haben Moschee und ihr habt Kirche und so Kapelle. Nein, warum komisch? Ist Eure Religion, ist für uns interessant, weil wir wissen, Ihr habt so Religion."
Wandern als Integration - auf einer Tagung hätten sich die Chefs vom Malteser-Hilfsdienst und vom Alpenverein das jetzt preisgekrönte Projekt "Alpen.Leben. Menschen" ausgedacht, erzählt Anja Pinzel.
"Das war wirklich eine schöne Wanderung"
Jede Woche lädt irgendwo in den bayerischen Alpen eine der lokalen Sektionen Flüchtlinge aus nahegelegenen Unterkünften ein zum Wandern. Ob in Oberstorf, in Berchtesgaden oder Garmisch-Partenkirchen. Je nach Lage der Unterkunft und bis zu 25 Personen.
"Da ist noch Platz da hinten, da ist Platz."
Zurück auf dem Wanderparkplatz von Flintsbach bildet die Gruppe zum Schluss einen Kreis, alle können sich noch einmal anschauen:
"Wir sind jetzt am Ende der Tour. Ich danke Euch, dass Ihr dabei wart. Mir hat es sehr gut gefallen. Ich möchte jedem die Gelegenheit geben, zu sagen, wie es ihm gefallen hat, Ihr müsst aber nicht..."
Behutsam bittet der Alpenverein-Wanderleiter Peter um die Meinungen zu dem Ausflug. Die Antworten kommen zögerlich, aber jeder sagt etwas, bedankt sich, ist froh, dabei gewesen zu sein:
"Für mich viele Leute, wir sind spazieren gegangen in den Bergen, ein bisschen Sport gemacht und dann zurück, sehr gut."
Peter: "Das war wirklich eine schöne Wanderung. Mein Eindruck war, die waren total offenherzig, wissbegierig und total gut in Kontakt und machen das super. Und wenn die alle so dabei sind und integriert sind, dann mache ich mir keine Sorgen."
"Auch für mich sehr gut die Berge, diese Gruppe, danke schön."