Projekt der Uniklinik Dresden

Letzte Chance für Crystal-Meth-Mütter

Die geerbte Sucht: Crystal-Meth Babys auf der Intensivstation des Leipziger St. Georg Krankenhaus.
Die geerbte Sucht: Crystal-Meth-Babys auf der Intensivstation. © Deutschlandradio / Sabine Demmer
Von Bastian Brandau und Iris Milde |
Kinder von crystal-abhängigen Frauen wachsen oft bei Pflegefamilien auf. Damit es nicht soweit kommt, will die Uniklinik Dresden die Zeit vor und nach der Geburt nutzen, damit Mütter von der Droge loskommen und Familien nicht getrennt werden.
Aus dem Raum Dresden sei sie, sagt die 33-jährige Frau, die an diesem Mittag im Juli auf ihrem Krankenhausbett sitzt. Unter ihrem T-Shirt zeichnet sich unübersehbar ein Baby-Bauch ab. Sie sei hier, weil sie einen Ausweg finden möchte. Ausweg aus der Sucht nach Crystal Meth:
"Warum ich jetzt weg will? Na, wegen den Kindern, weil ich meine Kinder zurückhaben will. Ich will meine Kinder zurückhaben und wieder ein normales Leben leben, wie jeder normale Mensch auch. Weil es einen kaputt macht einfach. Menschlicher Zerfall nennt man das. Sieht man. Sieht man, und merkt man und will man nicht. Es zerstört die Familie einfach. Und ich will mir nicht meine Familie kaputt machen."
2010 habe sie mit der Droge angefangen. Erst habe es Spaß gemacht, dann sei es nur noch Sucht gewesen. Vier Kinder hat sie, alle sind in der Obhut des Jugendamtes. Das will sie bei ihrem jüngsten auf jeden Fall vermeiden. Und hat sich daher an das Uniklinikum Dresden gewandt.
"Die Motivation war vorher auch schon da. Aber jetzt gibt es wenigstens ein Projekt, was hier in der Nähe ist, also im Wohnraum machbar ist. Also was ja vorher nicht so war, es gab ja vorher keine Optionen irgendwo. Es war ja alles viel, viel weiter weg und man hätte auf die anderen Kontakte mit den Kindern verzichten müssen, was ich ja jetzt nicht muss. Die können mich ja hier besuchen, was ja in einer anderen Stadt nicht möglich gewesen wäre. Und solche Projekte gab es vorher nicht. Das ist der Unterschied, dass es das jetzt gibt in der Nähe."
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Mode-Droge Crystal Meth - auch für Ungeborene ist die Droge schon gefährlich.© picture alliance / dpa

Sucht mit schwerwiegenden Folgen für das Kind

Crystal-abhängigen Müttern zu helfen und ein Zusammenleben mit ihren Kindern zu ermöglichen. Das ist das erklärte Ziel der Initiative "Mama, denk an mich" des Universitätsklinikums Dresden. Dabei arbeiten mehrere Einrichtungen eng zusammen. Zum Zeitpunkt des Interviews befindet sich die Frau in der Gynäkologischen Klinik bei Oberärztin Katharina Nietzsche. Der Crystal-Konsum der Mütter gehe durch die Plazenta auch auf ihre Babys über. Mit Folgen:
"Es gibt eine Tendenz, dass die relativ kleine Köpfe haben, wir wissen ja auch, dass das im Hirn Probleme macht. Es gibt jetzt keine nachgewiesene Fehlbildung, wo du sagst, 'okay, das Kind hat genau diese Fehlbildung, guck mal, ob die Frau Crystal nimmt'. Die Frühgeburtsrate ist extrem hoch, drei- bis vierfach so hoch wie im Normalkollektiv bei uns. Und es gibt auch richtig schwere Komplikationen in der Geburtshilfe für die Kinder, die durchaus mit dem Nichtüberleben enden."
Für die werdende Mutter gehe es nun darum, so schnell wie möglich mit dem Entzug zu beginnen.
"Da hat sie schon Hinweise bekommen, wie das zu geschehen ist, und jetzt wird eine psychiatrische Mitbetreuung und eine soziale Mitbetreuung organisiert über die Jugendämter und mögliche Therapie-Optionen auch nach Geburt des Kindes."
In der Frühchenstation des Universitätsklinikums Dresden herrscht eine warme und ruhige Atmosphäre. Die Wände sind mit hellem Holz getäfelt, auf dem Gang stehen Inkubatoren, auf dem Empfangstresen ein Weidenstrauß mit gehäkelten Schnullern.
"Wir haben oft Frauen, die in der Schwangerschaft konsumiert haben wie sonstwas, weil es so ungreifbar war, dieses Kind. Wenn es dann geboren ist und tatsächlich vor ihnen liegt und sie wissen, es steht jetzt auf dem Spiel, dieses Kind wieder loslassen zu müssen, ist die Motivation so groß, wie wir vielleicht in diesem gesamten Zeitfenster nie wieder eine Situation haben werden. Die müssen wir nutzen."
Nicola Zöllner ist Sozialpädagogin. Sie und ihr Team sprechen täglich mit den Frauen, helfen ihnen, ihre Therapien zu organisieren und bei der Kommunikation mit dem Jugendamt. Denn letztlich geht es darum, ein so stabiles Netz um die Familie zu spannen, dass das Kind bei der Mutter bleiben kann.

Den Frauen eine Chance geben

"Unser Ziel ist es, nicht die Mütter und die Kinder zu trennen, sondern wirklich den Frauen die Chance zu geben, trotz dieses Drogenkonsums ihrer Verantwortung als Mutter gerecht zu werden. Und das auch so unterstützt, dass sie wirklich eine Chance haben, mit ihrem Kind gemeinsam das Leben zu verbringen."
Ein frisch gebackener Vater versucht seinem Sprössling einen Strampler anzuziehen. An diesem Tag ist keine Mutter mit Drogenproblemen auf der Station. Aber Nicola Zöllner sieht sie hier immer öfter. Vor zehn Jahren hätten sie und ihre Kollegen sieben drogenabhängige Mütter pro Jahr betreut, inzwischen seien es über 30. Kinder, die in zwei Dritteln der Fälle in Pflegefamilien kamen. Doch seit dem Start von "Mama, denk an mich" im Jahr 2016 hat sich das Verhältnis umgekehrt, erzählt Sozialarbeiterin Judith Hennig.
"Wir hatten halt, bevor wir diese enge Zusammenarbeit mit der Psychiatrie, mit der Suchtambulanz hatten, oft den Fall, dass die Mütter hier angekommen sind, ohne dass sie bisher irgendwo angebunden waren. Und dass wir dann natürlich diese Meldung zum Jugendamt geben mussten und halt wenig Zeit hatten, um noch etwas zu tun. Die Termine bei der Suchtberatung gab es dann erst im weiten Vorlauf. Sodass es in den Zeiten halt häufig so war, dass die Familien aus der Not heraus getrennt wurden."

Therapieplätze sind Mangelware

"Mama, denk an mich" heißt Betreuung für Mutter und Kind. Die Frau kann sich ihrer Sucht stellen, entgiften und Therapien besuchen, noch während ihr Baby in der Klinik ist. Alles an einem Ort und ambulant. Das jüngste Kind der fünffachen Mutter ist inzwischen geboren. Wie es ihr ergangen ist, wissen wir nicht. Ein zweites Treffen war aus medizinischen Gründen nicht möglich. Vor der Geburt sagte sie:
"Der Plan ist ja erstmal Paartherapie und dann wegziehen. Mehr weiß ich noch nicht. Ob das alles so hinhaut, kann man natürlich auch nicht sagen."
Doch Therapieplätze sind Mangelware, so Sozialarbeiterin Nicola Zöllner. Viel zu selten könnten Frauen direkt an die 20-wöchige Behandlung in der Uniklinik eine Langzeittherapie anschließen. Und die wenigsten Einrichtungen sind auf crystal-süchtige Mütter und deren Kinder eingestellt. Sie erinnert sich an eine Mutter mit einem extrem Frühgeborenen.
"Und da ist die Therapie nach einer gewissen Zeit abgebrochen worden, weil die Einrichtung nicht auf die Bedürfnisse dieses extrem früh geborenen Kindes eingehen konnte. Und das ist auch etwas, was wir wissen müssen, dass natürlich viele crystal-abhängige Mütter Kinder bekommen, die früher geboren werden. Und auch das muss längerfristig begleitet werden, und dafür muss auch eine Therapieeinrichtung ausgelegt sein."
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