Fußball für Frauenrechte
"Discover Football - entdecke den Fußball" - unter diesem Motto machen sich 20 Spielerinnen aus Berlin weltweit für Frauenrechte stark. Auf ihren Festivals verbinden sie Turniere mit Workshops, Ausstellungen mit Konzerten.
Ihre Projekte haben sie in den Iran geführt, in die Ukraine oder nach Brasilien. Im Sommer 2015 wirkte "Discover Football" bei einem Festival im Libanon mit. Es ging um die Vernetzung von Fußballerinnen aus dem Nahen Osten - und um einen Austausch auf Augenhöhe.
Im kleinen Stadion von Bhamdoun ist es lebendig wie lange nicht mehr. 120 Mädchen und Frauen aus sechs Ländern singen, spielen, diskutieren. Bhamdoun ist eine von vier Spielstätten des ersten Frauen-Fußballfestivals im Libanon. Ein darbender Touristenort auf 1000 Metern Höhe, zwanzig Kilometer östlich von Beirut gelegen. In den Stadionkabinen bröckelt der Putz von den Wänden und die Wasserhähne spucken nur dicke Tropfen aus.
Die Spielerinnen bereiten das Mittagessen vor, bauen schmale Pinnwände für Workshops auf, tragen Bälle, Leibchen und Wasserflaschen auf das Spielfeld. Für die Gäste des Berliner Projekts Discover Football ist das Routine, für viele Kolleginnen aus dem Nahen Osten dürfte es ein neues Gefühl der Selbstbestimmung sein. Zum Beispiel für Fadwa El Bahi aus Libyen. In ihrer Heimatstadt Tripolis hat sie als Mädchen auf der Straße gekickt, doch als sie älter wurde, hat man es ihr verboten.
"Wir haben keine Vereine. Es gibt nur eine Veranstaltung pro Jahr, da spielen Studentinnen gegeneinander. Auch ich bin in der Uni wieder zum Fußball gekommen. Wir versuchen etwas aufzubauen, aber das ist schwer. Meine Familie unterstützt mich, doch viele andere Familien erlauben nicht, dass ihre Töchter spielen. Wir können zwar trainieren, ohne Publikum, aber wir haben keine offiziellen Spiele. Es gibt kein Nationalteam. Jedes Mal, wenn sich das ändern könnte, werden wir aufgehalten."
Milizen, Stämme und Clans kämpfen in Libyen um die Macht. Die Profiteure des Chaos: der sogenannte Islamische Staat. 2013 hatten die Spielerinnen um Fadwa El Bahi die Erlaubnis erhalten, zu einem Festival von Discover Football nach Berlin zu reisen. Der libysche Fußballverband sagte die Teilnahme kurzfristig ab, mit der Begründung, dass das Turnier im Fastenmonat Ramadan stattfindet.
Auf der Tribüne von Bhamdoun klatschen die Libyerinnen, singen, liegen sich freundschaftlich in den Armen. Der Libanon ist für sie das erste Reiseziel außerhalb ihrer Heimat. Sie stammen aus unterschiedlichen Regionen und gehören rivalisierenden Clans an. Einige waren Gaddafi-Anhängerinnen, andere standen ihm sehr kritisch gegenüber. Zwei Drittel von ihnen tragen Kopftuch, ihre Trikots sind einige Nummern zu groß. Sie genießen die Freizügigkeit, sagt die 27 Jahre alte Fadwa El Bahi, die das Team anführt:
"Ich habe vor unserer Reise keines der Mädchen gekannt. Am Anfang war ich nervös und ängstlich, weil kulturelle Unterschiede uns trennen. Aber mit der Zeit sind wir zusammengewachsen. Ich liebe sie alle, wir helfen uns gegenseitig. Es spielt keine Rolle, ob man arm oder reich ist: Wir sind ein Team. Das ist toll."
Sechs Teams nehmen am Festival teil. Neben Libyen kommen sie aus Ägypten, Jordanien, Palästina, Deutschland und dem Libanon. Die Libyerinnen wirken wie eine eingeschworene Gruppe, sie sitzen meist dicht neben einander unter dem Stadiondach und bleiben unter sich.
"Wir sind ein bisschen schüchtern, wir sind es nicht gewohnt, mit fremden Leuten zu sprechen. Außerdem haben wir hier eine Betreuung, die uns stark kontrolliert. Die nicht möchte, dass wir Kontakte zu anderen aufbauen. Wir müssen zusammenhocken, wir müssen die gleiche Kleidung tragen, und eigentlich dürfen wir auch keine Interviews geben. Der Fußballverband vertraut uns nicht. Deshalb bezeichnen wir uns auch nicht als Nationalteam, so haben wir weniger Druck von oben. Aber wir wollen nicht mehr so leicht nachgeben. Wir möchten für unsere Rechte eintreten – und deshalb sind wir hier."
Nach Angaben es Weltverbandes Fifa spielen mehr als 250 Millionen Menschen Fußball, dreißig Millionen sind weiblich. Die Fifa verlangt von ihren 209 Mitgliedsverbänden die Förderung des Frauenfußballs. Viele machen widerwillig mit, andere verweigern sich. Studien belegen: Die Stärkung von Frauenrechten fördert demokratische Strukturen. Aber, so berichtet die Frauenrechtsorganisation Terre de Femmes: Weltweit war jede vierte Frau Opfer von Gewalt. Die Organisationen, die sich im Fußball für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen, lassen sich an zwei Händen zählen. Eine von ihnen ist Discover Football: Entdecke den Fußball. Seit 2009 schaffen die Berlinerinnen sichere Orte der Begegnung. Der Fußball dient ihnen als verbindende Leidenschaft. Gegen Bewegungsarmut. Für Selbstverwirklichung. Gegen Ausgrenzung.
In Bhamdoon wird Fußball gespielt, daneben diskutieren die Frauen über Ernährung, Selbstverteidigung, Diskriminierung. Einige moderieren die Workshops, andere führen auf dem Spielfeld Taktikübungen durch. Mit dabei sind dutzende libanesische Mädchen aus benachbarten Grundschulen. Die wenigen männlichen Trainer und Betreuer bleiben im Hintergrund. Die Organisatorinnen wollen engagierte Frauen sichtbar machen, sagt Lea Gölnitz. Sie ist seit drei Jahren ehrenamtlich bei Discover Football.
"Weil oft ist es ja so: Als Kind kannst du machen, was du willst, aber dann ist halt mal Schluss mit Fußball, ist halt eine Männersache. Und da ist es total gut, wenn einem eingeredet wird, dass sich das nicht gehört. Dass man jemanden sieht, der über zwanzig ist, der das immer noch macht. Das ist eine gute Vorbildfunktion, das einfach zu sehen."
Keine Reaktion vom libanesischen Fußballverband
Lea Gölnitz hat ähnliche Erfahrungen gemacht wie ihre Mitstreiterinnen aus dem zwanzigköpfigen Team von Discover aus Berlin. Sie hat Internationale Politik und Menschenrechte studiert, in Maastricht, Sofia und Glasgow. Sie arbeitete für Nichtregierungsorganisationen, zum Beispiel in Indien. Bei Discover schätzt sie die Basisdemokratie: Alle Mitglieder, die meisten sind zwischen 25 und 35, diskutieren gleichberechtigt und bringen ihre Talente ein. Für die Organisation ihrer Festivals und Konferenzen innerhalb und außerhalb Deutschlands bilden sie Arbeitsgruppen: Für Förderanträge, Pressearbeit oder Visa-Angelegenheiten. Das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium finanzieren sie projektbezogen, doch für den Libanon mussten sie sich andere Partner suchen, schließlich gelten die Gebiete außerhalb Beiruts als unsicher.
"Wir sind deswegen im März hingefahren, auch um organisatorische Sachen ins Laufen zu bringen, aber auch um selbst ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sicher man sich eben fühlt. Also überall in diesen Gebieten leben Menschen jeden Tag ganz normal. Wenn man denen erzählen würde, was die USA oder Deutschland alles für unsicher oder zu schlimm erklären würden, das ist auch ein bisschen absurd. Klar haben wir das jetzt schon ernstgenommen. Wir wollen ja Mädchen in ländlichen Gebieten erreichen. Und die fallen immer hinten runter, in allen offiziellen Sachen. Wenn das unsere Arbeit ist, können wir das nicht auslassen."
Im Zentrum von Beirut. Hunderte Menschen demonstrieren gegen Korruption in der Politik. Der Staat ist geprägt von religiösem Proporz, von 18 anerkannten Glaubensgemeinschaften: die größten sind maronitische Christen, schiitische und sunnitische Muslime. Nicht weit von der Demonstration entfernt, am Platz der Märtyrer, liegt die Mohamed-al-Amin-Moschee.
Die vier Minarette der Moschee ragen 70 Meter in die Höhe. Wenige Gäste schauen sich die beeindruckende blaue Kuppel von innen an. Die Folgen des libanesischen Bürgerkrieges sind noch heute spürbar: Zwischen 1975 und 1990 wurden 90.000 Menschen getötet. Nur langsam läuft der internationale Tourismus nun wieder an. Der Libanon ist im Vergleich zu anderen Ländern im Nahen Osten stabil, doch er hat seit bald 500 Tagen kein Staatsoberhaupt. Laut Verfassung kann nur ein maronitischer Christ Präsident werden.
Das Fußballfestival im Libanon bietet einen Kontrast: Die junge Generation hat sich von der Politik abgewendet. Weltoffene Libanesen wollen ihrem Land auf andere Weise helfen. Walid Arakji und Nadia Assaf haben 2011 die Girls Football Academy gegründet, die erste Organisation, die sich im Nahen Osten ausschließlich um die Förderung von Mädchen kümmert. Walid Arakji ist in Frankreich aufgewachsen, Nadia Assaf in Australien. Ihre Familien haben im Libanon während des Bürgerkrieges keine Zukunft gesehen, doch nun, sagt Nadia Assaf, sei es an der Zeit, Kindern und Jugendlichen einen Weg zur gesellschaftlichen Teilhabe zu ebnen.
"Wir haben viele E-Mails an den libanesischen Fußballverband geschickt. Nicht nur wir, auch unsere Partnerinnen von Discover Football. Wir haben gefragt, ob sich der Verband an unserem Festival beteiligen möchte. In irgendeiner Form, nicht unbedingt finanziell, aber vielleicht mit ihrem Logo auf unseren T-Shirts. Wir haben keine ernsthafte Antwort erhalten. Es gibt im Verband ein Frauenkomitee, das 37.500 Dollar von der Fifa erhält. Wir sehen von diesem Geld nichts. Wahrscheinlich landet es in irgendwelchen Taschen."
Die letzten drei Tage des Festivals finden in Beirut statt. Von ihrem Hotel aus gehen die Spielerinnen durch die verstopften Straßen Richtung Nejmeh-Stadion, das direkt am Mittelmeer liegt. Nadia Assaf wirkt müde. Sie hat Flüge gebucht, Busunternehmen angerufen, Kontakte zu Schulen und Förderern aufgebaut. Sie ist ausgebildete Trainerin, spielt als Stürmerin für das libanesische Nationalteam. Auch in der Liga, die von zehn auf fünf Teams geschrumpft ist, weil die Sportplatzmieten kaum bezahlbar sind. Die Girls Football Academy wirbt ihre Mitglieder in sozialen Medien. Zeitungen und Radiosender berichten über ihre Arbeit kaum.
Im Nejmeh-Stadion bittet eine Fotografin darum, dass sich Spielerinnen aus mehreren Ländern gemeinsam für ein Foto aufstellen. Auch sonst arbeiten die Teilnehmerinnen zusammen. Es gibt im Libanon wie in den meisten Ländern des Nahen Osten kaum Strukturen im Breitensport. Nadia Assaf findet es wichtig, dass Mädchen sich in Wettbewerben messen. Dass sie nicht auf ihre Weiblichkeit reduziert werden. Und dass sie früh über religiöse Grenzen hinweg schauen. Denn die Gesellschaft ist gespalten, wie eine Studie der Amerikanischen Universität in Beirut aus dem Jahr 2010 belegt: Ein Drittel der libanesischen Jugend bekennt sich zu feindlichen Vorurteilen gegenüber anderen Religionen, zwei Drittel würden niemals interkonfessionell heiraten.
"Wir wollten für unser Festival so viele Teilnehmerinnen wie möglich erreichen, aus unterschiedlichen Regionen. Das hat die Organisation komplizierter gemacht, aber es hat sich gelohnt. Am letzten Turniertag treffen sich alle Teilnehmerinnen der Mädchen-Workshops in Beirut und lernen sich kennen. Diese Erfahrungen helfen ihnen langfristig, denn auf dem Spielfeld fragt niemand nach, woher sie kommen und welcher Religion sie angehören. Auch für unsere Gäste aus Ägypten, Libyen, Jordanien und Deutschland ist das kulturell etwas Besonderes."
"Football Under Cover" lief auf der Berlinale
Der Weltfußballverband Fifa behauptet, gegen das Männlichkeitsideal im Fußball vorzugehen. Aber in seiner Exekutive, dem Führungsgremium, sind nur zwei von 25 Mitgliedern weiblich. Nach einer Studie von Fare, Football Against Racism in Europe, sind lediglich 3,7 Prozent der Führungspositionen im europäischen Spitzenfußball von Frauen besetzt. Wenn Verbände die Geschlechterhierarchie im Fußball zementieren, ist die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen umso wichtiger. Organisationen wie "Right to Play" aus Kanada, "Woman win" aus den Niederlanden. Oder Discover Football aus Berlin.
Doch wie hat alles begonnen? Die Anfänge von Discover liegen fast zehn Jahre zurück. Aus dem Gründungsteam übrig geblieben sind noch drei Spielerinnen, darunter die Schwestern Marlene und Valerie Assmann. In ihrer Kindheit haben sie oft den Wohnort wechseln müssen. Jerusalem, Los Angeles, Heidelberg. Der Fußball hat ihnen geholfen, Freunde zu finden. Als sie mit Anfang zwanzig nach Berlin kamen, kickten sie für Al Dersimspor in Kreuzberg.
Mit dem multikulturellen Team Al Dersimspor spielten die Assmanns nach langen Bemühungen 2006 in Teheran gegen die iranische Auswahl, im ersten Frauenspiel seit 1979. Auf den Tribünen sangen 1000 Zuschauerinnen. Marlene Assmann:
"Und wir konnten jetzt nicht wirklich miteinander reden. Wir haben dann Fotos gemeinsam gemacht und uns zusammengesetzt. Und es war dann wirklich schön, noch mal die Möglichkeit zu haben sich zu treffen und sich, auch wenn wir nicht reden konnten, Sympathie zu zeigen."
Über ihre Begegnungen im Iran entstand ein Film. "Football Under Cover" lief auf der Berlinale. Das Rückspiel gegen den Iran sollte 2007 in Berlin stattfinden. 4000 Tickets waren verkauft, doch kurz vor der Partie kam die Nachricht aus Teheran: das Team dürfe nicht ausreisen. Aus der Enttäuschung erwuchs das Projekt Discover Football. Denn, so dachten die Gründerinnen, ein ganzes Festival könne nicht durch eine Absage ins Wasser fallen. Mit den Jahren ist das Netzwerk der Berlinerinnen gewachsen. Doch sie würden sich nie als Entwicklungshelferinnen bezeichnen. Sie spielen Fußball, um Wissen auszutauschen. Auf Augenhöhe. Ein Beispiel dafür ist die Reise in den Libanon. Ein anderes Beispiel ist das heimische Fußballkulturfestival in Berlin. Viermal hat es Discover veranstaltet, zuletzt im Sommer 2015. Noch vor der Reise in den Nahen Osten.
Das Festival 2015 in Berlin führt 110 Spielerinnen aus 27 Ländern auch ins Kanzleramt. Auf einer steilen Treppe empfangen sie jubelnd Angela Merkel zum gemeinsamen Fototermin. Das heimische Festival ist die Kernaufgabe der Spielerinnen, neben Konferenzen und Seminaren, die sie 2012 in die Ukraine oder 2014 nach Brasilien geführt haben. Marlene Assmann:
"Ein Foto mit der Kanzlerin ist eine Anerkennung für die Spielerinnen. Auch wenn zum Beispiel die Botschaften kommen, dann ist es immer ein positives Zeichen der Regierungen oder der Gesellschaften, dass sie sich interessieren und ihre Fußballspielerinnen anfeuern. Also vor zwei Jahren war der libanesische Botschafter ganz viel da, auch mit der ganzen Familie. Aber auch der afghanische Botschafter war bei jedem Spiel von Afghanistan, als die bei uns gespielt haben."
Das einwöchige Festival damals findet im Willy-Kressmann-Stadion in Kreuzberg statt. An den Ständen liegen Sammelalben aus, in die Spielerinnen Fotos kleben können. Daneben spielen sie an einem Kicker-Tisch. Zur Kulisse gehört eine Ausstellung, eine Konzert-Bühne, eine Spiele-Ecke für Kinder. 400 Teams und Einzelspielerinnen hatten sich für das Festival mit Motivationsschreiben beworben. Die Gäste spielen nicht im Nationen-Vergleich gegeneinander, sondern in gemischten Teams, über sprachliche und kulturelle Grenzen hinweg.
"In unserer Gegend gibt es einen Fußballplatz, es gibt so viele Mädchen, aber höchstens ein Prozent Mädchen. Hier in Berlin haben wir eine wunderbare Chance. Wir können uns unterhalten, das war früher unmöglich."
Ungefilterter Zugang zu engagierten Menschen
Phuntsok Dolma stammt aus Tibet. Ihre Eltern haben sie für eine bessere Bildung über den Himalaya nach Indien geschickt, dort lebt sie in der Stadt Dehradun. In Berlin treffen nun sieben Spielerinnen aus Tibet auch auf Studentinnen aus Shanghai. Es ist die erste dokumentierte Sport-Begegnung zwischen Chinesen und Flüchtlingen aus Tibet seit mehr als fünfzig Jahren. Phuntsok Dolma trägt ein violettes Trikot mit der Nummer vier, stolz deutet sie auf eine kleine tibetische Flagge auf ihrer Tasche. Den verschneiten Berg und die roten Sonnen-Strahlen haben die Chinesinnen noch nie gesehen. Phuntsok Dolma.
"Sie wissen nichts von den Problemen zwischen Tibet und China. In den Schulen und Universitäten wird nicht die Wahrheit unterrichtet. Eine Spielerin aus Shanghai spricht Englisch. Sie hat uns gefragt, warum wir in Indien studieren und nicht in China. Wir haben ihr von der tibetischen Exilregierung und von der Unterdrückung unseres Volks berichtet. Sie war schockiert, aber wir hören uns gegenseitig aufmerksam zu. Wir sind Freunde geworden, wie eine Familie."
Im Männerfußball wäre eine solche Begegnung wohl kaum möglich gewesen. Diplomaten, Sicherheitsorgane und Medien hätten die Planungen überschattet. Bei den Frauen scheint die Annäherung direkter zu verlaufen, weil sie nicht so symbolisch aufgeladen ist. Immerhin: Auch in chinesischen Medien wird über das Berliner Treffen mit den Tibeterinnen berichtet.
Wer sich für internationale Politik und ferne Kulturen interessiert, erhält bei Discover Football einen ungefilterten Zugang zu engagierten Menschen, ohne protokollarische Zwänge: In Uganda klären Spielerinnen über HIV auf. In Jordanien machen sie deutlich, dass der Fußball und das Tragen eines Kopftuchs kein Widerspruch sein muss. In Ruanda fördern sie den Versöhnungsprozess zwischen Hutu und Tutsi. Sie alle werfen in Berlin ihre Erfahrungen in die Runde. Und Discover Football bringt sich mit dem Wissen beim Berliner Fußball-Verband ein. Das Projekt möchte fortschrittliche Bilder in Medien erzeugen, frei von Sexualisierung. Forscher der Sporthochschule Köln haben herausgefunden, dass der Frauenanteil der Sportberichterstattung nur bei 15 Prozent liegt. Aber langfristig planen kann Discover nicht, erzählt Lea Gölnitz.
"Der Kern, der jetzt regelmäßig beim Plenum ist, ist vielleicht ein bisschen kleiner. Es ist ja ehrenamtlich, deswegen steigt man zwischendurch auch mal aus, weil man gerade was anderes zu tun hat. Wenn man viel Arbeit hat oder auch andere Projekte. Die Arbeit ist auch anders, weil wir uns viel von Projekt zu Projekt hangeln. Wir machen immer ein großes Projekt und müssen uns dann schon ein neues ausdenken, um halt Projektfinanzierung zu bekommen. Und können dadurch aber auch nicht so wachsen, und haben ja jetzt nicht mehrere Abteilungen und arbeiten an mehreren Baustellen. Das ist einerseits gut, alle können sich in eine Sache reinhängen. Aber andererseits ist es auch ein bisschen ausbremsend. Oder schade, denn wir haben super viele Ideen und müssen uns dann immer einigen. Und versuchen, eins nach dem anderen zu machen."
Noch einmal zurück nach Beirut, zum ersten Fußballfrauenfestival im Libanon. Dutzende Kinder sind gekommen und unterstützen die Gäste aus Deutschland. Auf ihren Trikots wirbt Discover Football für das Lesbenmagazin L-Mag. Ihr Engagement gegen Sexismus ist für sie nicht von dem Engagement gegen Homophobie zu trennen, denn oft werden Fußballerinnen auf ihre Sexualität reduziert. In mehr als siebzig Staaten müssen Homosexuelle mit Bestrafung rechnen. In sieben Ländern droht ihnen das Todesurteil. Nun in Beirut gehen sie mit ihren arabischen Mitstreiterinnen sensibel auf das Thema ein, und suchen sich Verbündete. Eine von ihnen ist Juliana Roman Lozano. Die Anthropologin baut im größten Elendsviertel von Buenos Aires einen Frauenfußballverein auf. Eine sichere Begegnungsstätte, auch für lesbische Frauen und alleinerziehende Mütter, die dem Druck ihres Umfelds für eine Weile entkommen wollen. Juliana Lozano verbringt nun den Sommer im Libanon, um Kontakte zu knüpfen.
"In Argentinien mussten wir in Männer-Trikots spielen. Auf unseren Plätzen gab es keine Beleuchtung. Alle Trainingszeiten waren zunächst für Männer reserviert. Wir sind dann einfach auf einen Platz gegangen und haben gesagt: So, jetzt sind wir dran! Die Jungs haben sich gewehrt. Einmal haben sie uns mit Steinen und Stöcken beworfen. Wir sind dann an den Mittelkreis des Platzes gegangen, eine unserer Spielerinnen blutete am Kopf. Irgendwann sind wir gegangen und die Männer haben applaudiert. Aber am nächsten Tag sind wir wiedergekommen. So ist der Widerstand zurückgegangen. Und jetzt trainieren wir dreimal pro Woche für jeweils zwei Stunden. Das Spielfeld ist als Frauen-Spielfeld bekannt geworden. Wir haben unser Recht eingefordert, im öffentlichen Raum zu sein. Und dem Sport nachzugehen, den wir lieben."
La nuestra Futból Femenino. Unser Frauenfußball. So heißt der Verein, der neunzig Mädchen und Frauen in Buenos Aires erreicht. Juliana Lozano hat früher für das argentinische Nationalteam gespielt, doch sie sagt, dass der Verband Frauen nicht ernst nehme. An der Basis, glaubt sie, habe sie mehr Einfluss. Fußball sei eine Plattform, auf der sich viele Themen diskutieren lassen. Das Recht auf Abtreibung oder Prävention gegen familiäre Gewalt.
"Es ist eine politische Entscheidung, sich dem Fußball zu widmen und freie Räume zu schaffen. Der Sport sollte noch mehr Platz einnehmen auf der feministischen Agenda. Diese Arbeit macht mir Spaß. Fußball ist meine Leidenschaft, durch Fußball kann ich mich ausdrücken."
Für Juliana Lozano ist das der Anfang. Sie kann sich vorstellen, irgendwann in die Politik zu gehen. Wobei: Sie, die Spielerinnen im Libanon und die Aktivistinnen von Discover Football sind längst in der Politik. Ohne Mandat, aber mit Ideen. Und mit viel Geduld.