Gärtnern über Grenzen hinweg
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Langzeitarbeitslose sollen durch Gärtnern wieder Anschluss an den Arbeitsmarkt finden. Dabei lernen sie viel über Europa, denn in dem europäischen Projekt "KreaVert" geht es auch um den Aufbau sozialer Kontakte - über Landesgrenzen hinweg.
Tamara kniet in einem Beet und jätet Unkraut: "Das Unkraut nimmt halt, wenn die Beete bepflanzt sind, den Sauerstoff und deshalb sollte man dahinter sein und was man sieht, rausholen." Eine Pflanze lässt sie stehen: "Das ist Beinwell, wenn ich mich nicht irre, das ist Futter für die Bienen."
Seit vergangenem Oktober gehört die alleinerziehende Mutter einer kleinen Tochter zu einer Gruppe von 15 Langzeitarbeitslosen, die über das europäische Projekt "KreaVert" wieder in den Arbeitsmarkt zurückfinden soll. "Ich würde gerne eine Umschulung zur Gärtnerin machen", sagt sie.
Mit gärtnern zurück auf den Arbeitsmarkt
In Deutschland ist das Gartenprojekt besser bekannt unter dem Titel "Essbare Stadt". Fünf Partner aus vier verschiedenen Ländern sind an "KreaVert" beteiligt. Darunter das rheinland-pfälzische Andernach, dessen essbare Stadtgärten eine Vorbildfunktion haben.
Weitere Projektpartner sind Völklingen im Saarland, das französische Saargemünd sowie Esch in Luxemburg und Haccourt in Belgien. Alle verfolgen die gleiche Zielsetzung, sagt die Völklinger Projektleiterin Susann Gregor:
"Wir wollen Langzeitarbeitslose, Migranten und Flüchtlinge in den Arbeitsprozess so einspannen, dass sie später auf dem Arbeitsmarkt eine Chance bekommen und dieses Wissen, das sie sich bei uns aneignen, im Gartenbau anzuwenden."
Die Perspektiven für ihre Schützlinge seien vielversprechend, glaubt die Gärtnermeisterin:
"Im Moment gibt es im Garten-Landschaftsbau im Blumen- und Zierpflanzenbereich einen Mangel an Arbeitskräften. Wenn man hier die Grundlagen lernt − Bodenbearbeitung, Aussaat und auch die Beständigkeit, an Dingen dran zu bleiben − hat man sehr gute Chancen, auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzukommen."
In Workshops über Europa lernen
Insgesamt 30 Stunden pro Woche sind die Kursteileilnehmer im Völklinger Stadtgarten beschäftigt. 20 Stunden wird vor Ort gearbeitet und nach dem Muster von Ein-Euro-Jobs mit 1,25 Euro die Stunde vergütet. In den restlichen 10 Stunden finden Qualifizierungsmaßnahmen statt. Dafür gibt es kein Geld, gleichwohl sind sie verpflichtend, erläutert Jürgen Quint vom zuständigen Berufsbildungszentrum:
"Wir haben das miteinander so verzahnt, so dass man sich der Qualifizierung nicht entziehen kann."
Neben theoretischem Wissen zur Unterstützung der praktischen Arbeit vor Ort gehe es dabei auch um andere Inhalte. Vor allem Europa und seine Grundlagen stünden auf der Agenda. Sie habe zum ersten Mal etwas über den europäischen Fond für regionale Entwicklung erfahren, sagt Tamara:
"Wir wurden drüber informiert, dass fünf Partner halt in diesem Projekt sind. Das fand ich ganz spannend und toll − wie auch diesen Austausch, um mal zu sehen, wie es woanders ist."
So nah sei sie Europa noch nie gekommen und ohne europäische Finanzierung wäre "KreaVert" höchstwahrscheinlich nicht aufgelegt worden, ist die junge Mutter überzeugt. Insgesamt stehen drei Millionen Euro für die Dauer von drei Jahren zur Verfügung, gut die Hälfte steuert die EU bei. Der Rest wird von verschiedenen Projektpartnern, darunter die Länder und das Jobcenter, kofinanziert.
Bei "KreaVert" geht es auch ums Kennenlernen, um den Aufbau sozialer Kontakte über die Landesgrenzen hinweg. In gemeinsamen Workshops werden zum Beispiel alte Kulturtechniken wiederbelebt wie der Lehmhüttenbau. In zahlreichen archäologischen Projekten ist diese Technik bei der Rekonstruktion keltischer Bauwerke grenzüberschreitend gefragt.
Ebenso die historische Pflasterung von Wegen mit gefundenen Feldsteinen. Ein Workshop, der Tamara nachhaltig beeindruckt hat: "Das war sehr interessant, ja, hat Spaß gemacht, selbst mal solche Muster zu legen und zu sehen, wie solche tollen Wege entstehen."
Keine Perspektive für jeden
Für alle Projektteilnehmer würden sich nach den drei Jahren sicherlich keine Perspektive am ersten Arbeitsmarkt abzeichnen, dafür seien die Voraussetzungen zu unterschiedlich, sagt Susann Gregor. Angefangen von der körperlichen Fitness der Teilnehmer über die geistige Beweglichkeit bis hin zur Motivation. Entsprechend hoch sei die Fluktuation:
"Es ist eine Kernmannschaft, die da ist, das sind fünf, sechs Leute, und die anderen wechseln. Aber diese Kernmannschaft erlaubt es uns, die Arbeit zu machen, weil sie begeisterungsfähig sind, an der Arbeit dran bleiben, pünktlich sind und an der Arbeit Spaß haben."
An Begeisterung fehlt es Paul nicht, aber ob er eine Chance bekommt? Er ist skeptisch: "Mit 58, das ist nicht so gut, aber ich gucke, dass ich gärtnerisch noch was mache."
Projekt läuft noch bis 2020
Paul war, bevor er arbeitslos wurde, als Lagerarbeiter tätig. Ein Aushilfsjob in einer Gärtnerei sei für ihn vielleicht noch drin, hofft er zumindest. Mike, Mitte 20, hat eine Lehre zum Landschaftsgärtner abgeschlossen und sucht in erster Linie nach Stabilität.
"Dass ich hier wieder ein bisschen in dieses Arbeitsverhalten reinkomme und dann hoffentlich mal eine Zusage bekomme, wenn ich mich mal irgendwo bewerbe", sagt er.
Warum er das nicht längst getan habe? Na ja, so ein paar Dinge, auch privat, seien bei ihm nicht so gut gelaufen. An gärtnerischem Interesse zumindest mangelt es nicht. Mike erläutert die Anordnung der Beete. "Hier oben haben wir verschiedene Salatsorten, ab hier haben wir Sellerie, verschiedene Sorten, das ist Mangold und das da ist Rote Beete."
Das Interreg-Projekt "KreaVert" läuft noch bis Ende 2020. Und alle hoffen, dass es danach weiter geht. Zusätzliche Partner sollen gewonnen werden − weitere Städte und Schulen, die den öffentlichen Raum für Gärten öffnen und benachteiligten Menschen einen Weg öffnen, wieder näher an die Mitte der Gesellschaft heranzurücken.